ARD-Deutschlandtrend: Ukraine sollte selbst entscheiden
2. März 2023Ein Ende des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine ist auch gut ein Jahr nach dem Überfall auf die Ukraine am 24.Februar 2022 nicht in Sicht. Zahllose zerstörte Städte, tote und verletzte Soldaten und Zivilisten. Russland hält derzeit ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzt - und sein Präsident Wladimir Putin will mehr. Gleichzeitig betont der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, man wolle alles russisch besetzte Territorium einschließlich der Krim zurückerobern. Doch auch der Krieg gegen die Ukraine wird irgendwann ein Ende finden; möglicherweise am Verhandlungstisch.
Doch was wären die Voraussetzungen für eine Beendigung des Ukraine-Krieges? Das wollten die Meinungsforscher von infratest-dimap im Auftrag der ARD-Nachrichtensendung "Tagesthemen" in einer repräsentativen Befragung herausfinden. Im Februar 2023 wurden dazu 1311 Wahlberechtigte befragt. Eine große Mehrheit von 73 Prozent ist der Meinung, die Ukraine sollte selbst entscheiden, wann sie sich auf Verhandlungen mit Russland einlässt. Diese Entscheidung sollte nicht von den Unterstützern in den USA oder Europa beeinflusst werden. Dem stimmen im Prinzip die Anhänger aller Parteien zu. Besonders groß ist die Unterstützung bei den Grünen (83%).
Die Meinungsforscher wollten auch wissen, ob die Ukraine für einen Friedensschluss mit Russland Staatsgebiet abtreten sollte. Nur eine Minderheit von 35 Prozent ist der Meinung, dass die Ukraine sich darauf einlassen sollte. Diese Haltung ist vor allem in der rechtspopulistischen AfD (64 Prozent) verbreitet. Die Mehrheit von 54 Prozent ist gegen jegliche Gebietsabtretungen. Vor allem die Anhänger der Grünen und der SPD vertreten diese Haltung.
Auch wenn die Betroffenheit in der ersten Zeit nach dem Kriegsausbruch größer war, machen sich die Menschen Sorgen wegen der Auswirkungen des Krieges auf ihr Leben. 58 Prozent befürchten, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Dass sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland weiter verschlechtern könnte, glauben 69 Prozent der Deutschen.
Viel Streit hatte es vor allem in den vergangen Woche um das Thema Waffenlieferungen gegeben. Menschen waren zum Jahrestag des Kriegsausbruches für und gegen Waffenlieferungen auf die Straße gegangen. Die größte Gruppe der Bundesbürger betrachtet Waffenlieferungen an die Ukraine als angemessen (47 Prozent). Gleichzeitig überwiegt das Urteil, dass die bisherigen Anstrengungen Deutschlands zur Beendigung des Krieges nicht weit genug gehen (53 Prozent).
In Zeiten des Krieges ist für die Bürger eine Frage besonders wichtig: Wer leitet das Verteidigungsministerium? Es ist seit anderthalb Monaten der Sozialdemokrat Boris Pistorius, den die meisten Bürger vor Amtsantritt gar nicht kannten. Pistorius hat es mit seiner zupackenden, offenen Art, seiner Entschlossenheit und einem guten Draht zur Truppe geschafft, innerhalb kürzester Zeit ganz nach oben auf die Beliebtheitsskala der deutschen Politiker vorzurücken. 52 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von Boris Pistorius zufrieden. Es folgen die beiden Grünen-Politiker Annalena Baerbock (47 Prozent) und Robert Habeck (41 Prozent). Mit der Arbeit von Kanzler Olaf Scholzsind 38 Prozent zufrieden.
Der deutsche Bundeskanzler reist in diesen Wochen viel zu den Mächtigen in aller Welt. Gerade wird er erneut zu einem Gespräch mit seinem Freund "Joe" (Biden) in Washington erwartet. Es ist bereits das zweite Mal, dass US Präsident Joe Biden Kanzler Olaf Scholz im Weißen Haus empfängt. Bei der Unterstützung im Ukraine-Krieg sind die beiden Länder engste Partner.
Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock wollen die deutsche Außenpolitik neu ausrichten, suchen nach engeren Verbündeten. Russland ist nach dem Überfall auf die Ukraine kein Partner mehr. Auch die Skepsis gegenüber der großen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von China ist größer geworden - auch wenn sich das Land als möglicher Vermittler im Ukraine-Krieg ins Gespräch gebracht hat. Fragt man die Deutschen nach dem vertrauenswürdigsten Partner weltweit, so antworten 59 Prozent das seien die USA. Platz zwei belegt die Ukraine mit 47 Prozent. Indien folgt mit 33 Prozent. Nur für 8 Prozent der Deutschen ist China ein wichtiger außenpolitischer Partner.
Rekordwert für CDU/CSU
Die Außenpolitik wird maßgeblich von der regierenden Koalition aus SPD, Grünen und FDP bestimmt. Bei der Beurteilung der Arbeit der Bundesregierung haben sich kaum Veränderungen ergeben. Ein Drittel äußert sich positiv, zwei Drittel üben Kritik. Profitieren kann von dieser Einschätzung deutlich die Opposition.
Fragt man die Deutschen, welche Partei sie wählen würden, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahlen wären, erreicht die Union aus CDU und CSU einen Zwei-Jahres-Rekordwert. Sie kann vier Prozentpunkte zulegen und kommt auf 31 Prozent. Die drei Parteien der Regierungskoalition müssen hingegen Einbußen hinnehmen. Die SPD käme auf 18 Prozent (-2). Die Grünen würden 17 Prozent (-1) erreichen. Und auch die angeschlagene FDP müsste noch einmal einen Prozentpunkt einbüßen und käme auf sechs Prozent. Die Werte für die AfD verändern sich kaum: 14 Prozent (-1). Die Linke könnte mit 5 Prozent rechnen (+1).
Auch Deutschland ist von Gleichberechtigung noch weit entfernt
Schon lange hatte sich die Regierung eines vorgenommen: eine feministische Außenpolitik. In dieser Woche hatte Außenministerin Annalena Baerbock ihr Konzept dazu vorgestellt. Weibliche Perspektiven sollen demnach eine größere Relevanz bekommen.
Der Termin für die Präsentation der neuen, weiblicheren Außenpolitik, war mit Bedacht gewählt; nur wenige Tage vor dem 8. März, dem internationalen Frauentag, mit dem weltweit auf die Ungleichbehandlung von Frauen aufmerksam gemacht werden soll. Doch in vielen Teilen der Welt - auch in Deutschland - ist die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern immer noch eher Traum als Wirklichkeit. So hat zum Beispiel des Statistische Bundesamt ermittelt, dass in Deutschland Frauen pro Stunde Arbeit durchschnittlich 18 Prozent weniger verdienen als Männer.
Bei Löhnen und Gehältern fühlen sich 77 Prozent der Frauen benachteiligt. Auch bei der Absicherung im Alter (71 Prozent) und der Pflege von Angehörigen (69 Prozent) sehen sich Frauen klar im Nachteil. Männer sehen das mehrheitlich auch so. Doch gerade bei der Besetzung von Frauen in Führungsposition gehen die Meinungen zwischen Männern und Frauen weit auseinander. Nur 47 Prozent der Männer sehen Frauen in diesem Feld benachteiligt, haben die Meinungsforscher von infratest-dimap herausgefunden. Frauen sehen das ziemlich anders: Bei ihnen liegt der Anteil bei 61 Prozent.