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Ausstellung "Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland"

Klaus Krämer
21. September 2018

Waffen, Kunst, Schmuck aus vielen Jahrtausenden, darunter die Himmelsscheibe von Nebra. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt mit der Archäologie-Schau "Bewegte Zeiten", dass Europäer ständig mobil waren.

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Pressebilder Ausstellung Gropius Bau | Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland | Himmelscheibe von Nebra
Bild: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/J. Lipták

Erst zum zweiten Mal gibt es in Deutschland eine Archäologie-Ausstellung, an der alle Landesarchäologen mitwirken. "Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland" zeigt anhand von über 1000 Funden, was das kulturelle Erbe Europas aus archäologischer Sicht ausmacht. Die Federführung hat das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin. Dessen Direktor, Prof. Matthias Wemhoff, zugleich Landesarchäologe des Bundeslandes Berlin, kuratiert die Schau. Im DW-Gespräch berichtet er über ein Europa, das ständigen Einflüssen und Veränderungen unterworfen war.

DW: Herr Professor Wemhoff, was ist das Besondere an dieser Schau?

Prof. Matthias Wemhoff: Sie zieht erstmals die besten und spannendsten archäologischen Neufunde der letzten 20 Jahre in Deutschland unter einem thematischen Gesichtspunkt zusammen. Wir präsentieren keine Leistungsschau der deutschen Archäologie, sondern wir sagen: Archäologie ist relevant für die heutige Gesellschaft, denn sie zeigt uns, dass die Menschen zu allen Zeiten mit ähnlichen Herausforderungen zu tun hatten, wie wir heute. Das lohnt es sich anzuschauen – und wie die Menschen damals damit umgegangen sind.

Welchen historischen Zeitraum umfasst denn die Ausstellung?

Prof. Dr. Matthias Wemhoff
Prof. Dr. Matthias WemhoffBild: Achim Kleuker

Unsere Ausstellung reicht von der ältesten Steinzeit - wir haben die Speere von Schöningen zum Beispiel, die 200.000 Jahre alt sind - bis in das 20. Jahrhundert. Die jüngsten Objekte gehören zum Berliner Skulpturen-Fund, der im Zweiten Weltkrieg vor dem Roten Rathaus in den Boden gelangte. 16 Figuren insgesamt, die von den Nazis als "entartet" beschlagnahmt worden waren.

Mobilität, Konflikte, Austausch und Innovationen sind die vier Themenfelder die sie in den Fokus nehmen. Was fällt unter diese vier Begriffe?

Wir sind ausgegangen von dem Begriff der sich auch im Titel findet: Bewegung, bewegte Zeiten. Wir haben gesagt: Eigentlich muss man deutlich machen, dass nicht die Statik die Geschichte dominiert, sondern dass es extreme Veränderungen, extremen Wandel gibt und dass das in gewisser Weise auch Beschleunigung von gesellschaftlicher Entwicklung gewesen ist. Und diese Bewegung lässt sich für uns in drei Bereichen gut fassen: Das ist einmal die Bewegung von Menschen, also Mobilität oder Migration. Das ist zum Zweiten die Bewegung von Sachen - also eigentlich der Handel, der Austausch, der schon unglaublich früh die Menschheit bewegt hat. Und das Dritte ist der Austausch von Ideen - also einer technischen oder kulturellen Innovation - und die wandern am Schnellsten. Wir möchten deutlich machen, dass das heutige Deutschland zu allen Zeiten von ganz vielen Einflüssen geprägt gewesen ist.

Ausstellung Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland
Ein Blick in die Ausstellung. Mehr als 1000 Kostbarkeiten aus rund 40 000 Jahren sind zu bestaunenBild: SMB/Museum für Vor- und Frühgeschichte/David von Becker

Sie sagen, beim Stichwort Mobilität geht es auch um Migrationsbewegungen. Und davon sei der Genpool der Europäer nachhaltig geformt worden. Was genau ist darunter zu verstehen?

Es ist vielleicht eine der spannendsten Entdeckungen der letzten Jahre in der Archäologie gewesen, dass die Genetik eine ganze Fülle von neuen Informationen gebracht hat, die jetzt in Verbindung gebracht werden müssen mit den archäologischen Kulturen, mit den archäologischen Befunden, die schon lange diskutiert worden sind. Das Interessante ist, dass man sagen kann, unser europäischer Genpool besteht aus drei oder vier großen Wanderungsereignissen, die ihre Spuren hinterlassen haben. Wir haben inzwischen verschiedene gut datierbare Ereignisse, von denen wir sagen können, dass sie ihre Spuren im Genpool hinterlassen haben. Und danach hat sich eigentlich die europäische Menschheit so stark miteinander verbunden, dass wir von einem europäischen Genpool sprechen können, der sich nicht mehr stark differenzieren lässt.

Gut 1000 Exponate zeigen, auf welche Weise die Menschen in Europa wechselseitig mit einander umgegangen sind. Welche Erkenntnisse haben Sie zu diesem Aufeinander-Einwirken gewonnen?

Pressebilder Ausstellung Gropius Bau | Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland | Jadeitbeile
Jadeitbeile - schon vor 6000 Jahren ein ExportschlagerBild: LVR-Landesmuseum Bonn/J. Vogel

Ein Phänomen, das wir immer wieder finden, ist, dass das Fremdartige, das Exotische Menschen immer schon angezogen hat, etwa bei Luxusgütern. Das finden wir schon in der in der Steinzeit. Eine der faszinierendsten Sachen, die das zeigt, sind sogenannte Jadeitbeile. Jadeit ist ein Stein, der in Europa eigentlich nur am Monte Viso vorkommt, einem Berg in den Cottischen Alpen, im Nordwesten Italiens, nahe der Grenze zu Frankreich. Auf über 2000 Metern Höhe hat man da vor 6000 Jahren diesen Stein abgebaut und dann weiterverarbeitet, Beile daraus geschliffen. Diese Beile finden wir in einem ganz großen Teil Mitteuropas und in ganz Deutschland. Die sind weit, weit gehandelt worden, denn alle, die einen gewissen Status hatten und diesen präsentieren mussten, wollten so etwas besitzen. So etwas können wir in allen Epochen sehen.

Sie haben schon Monate vor der Ausstellung angekündigt, dass sie auch spektakuläre neue Funde zeigen werden. Welche sind das?

Das meiste, was wir zeigen, sind neue Funde der deutschen Archäologie aus den letzten zehn bis 15 Jahren. Vieles ist so noch gar nicht ausgestellt worden. Wenn man das wahrnehmen möchte, muss man eigentlich durch die ganze Republik reisen. Nun hat man die Ergebnisse aus 16 Bundesländern hier bei uns zusammengezogen.

Was sticht da für Sie persönlich besonders heraus?

Ich hatte vorhin schon mal den Berliner Skulpturenfund angesprochen. Das letzte Depot dieser beschlagnahmten, verkauften oder zerstörten 16 Objekte aus der Nazi-Propaganda- Ausstellungen "Entartete Kunst" befand sich gegenüber dem Roten Rathaus im Schutt eines kriegszerstörten KellersDieser Fund war eine Initialzündung für uns, zu sagen: Dieses Phänomen Bildersturm ist etwas was wir durch alle Zeiten erfassen können. Wir haben hier einen Bereich, wo wir zeigen, dass Objekte bewusst zerstört wurden. Also das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben durch Taliban oder den IS, ist etwas, was gar nicht so weit zurückliegend auch in unserem Kulturbereich passiert ist - die Aggression gegenüber Bildern anderer Gottheiten, anderer Herrscher, die man überwinden will und wo man sich am Bild abarbeitet. Wir zeigen das mit gestürzten Jupitergiganten-Säulen, von denen einige in Nordrhein-Westfalen oder am Mainlimes in Bayern gefunden worden sind. Wir zeigen das mit den Resten der zerschlagenen jüdischen Synagoge, die in Köln ausgegraben wurden.

Pressebilder Ausstellung Gropius Bau | Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland | Fritz Wrampe Reiter
Ein Exemplare aus dem SkulpturenfundBild: Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin/A. Kleuker

Sie sind bei all dem zu der Überzeugung gekommen, dass es in Europa von der Steinzeit bis in die jüngere Vergangenheit ein Netzwerk kultureller Interaktion gibt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus für die Gegenwart oder vielleicht sogar für die Zukunft?

Das ist erstens eine ganz deutlich eine Absage an alle, die meinen, man könnte sich abkapseln und man könnte sein eigenes Ding einfach so durchziehen. Das hat noch nie funktioniert. Wenn das versucht worden ist, war hinterher der Rückstoß umso stärker. Es ist immer so, dass sich Kultur entwickelt im Austausch und in Interaktion. Das ist eine ganz wichtige und auch eine beruhigende Erkenntnis. Und vielleicht kann man sich auch vor Augen führen, dass es Zeiten gab, die viel stärker etwa von Migration geprägt gewesen sind als das unsere Zeit heute ist. Das kann manchmal auch ein bisschen Aufregung nehmen. Also der Blick zurück kann auch ermutigen und Sicherheit schaffen. Er kann auch zu der Akzeptanz führen, dass wir unsere Kultur und unsere Geschichte eigentlich nie im nationalen Maßstab entwickelt haben, sondern dass es immer einen europäischen Austausch gegeben hat.

Wie haben Sie die Ausstellung konzipiert?

Nicht chronologisch. Im Martin-Gropius-Bau ist eine wunderbare Ausstellungsfläche entstanden, eine, die ich wirklich liebe - diesen großen Lichthof und die Räume drum herum. Wir beginnen in der Mitte mit einem großen Aufschlag aus Köln. In Köln hat vor dem U-Bahnbau eine der spektakulärsten und größten Ausgrabungen der letzten Jahre stattgefunden. Diese U-Bahn Trasse verläuft direkt im Bereich der hafenseitigen Stadtmauer und des Hafens aus der Römerzeit. Wir haben uns auf diese Ausgrabung konzentriert. Da sind riesige Eichenbohlen aus römischer Zeit herausgekommen, die man damals als Spundwand für den Bau der Mauer eingeschlagen hat. Die sehen aus, wie aus dem neunzehnten Jahrhundert oder fast wie frisch gesägt. Man sieht diese unglaubliche Perfektion des römischen Bauens, der römischen Bauhandwerker.

Der Hafen des römischen Köln steht also im Mittelpunkt der Ausstellung?

Pressebilder Ausstellung Gropius Bau | Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland | Kölner Hafen Spundwand
Kernige Eiche - die Spundwand der Römer aus dem Hafen von KölnBild: Römisch-Germanisches MuseumRömisch-Germanisches Museum der Stadt Köln/A.Thünker, DGPh

Ja, wir deuten die Stadtmauer an, vor der diese Planken stehen. Und davor liegen tausende von römischen Funden aus dem Hafenschlamm. Und Diese Funde haben es wirklich in sich, denn die zeigen, wie das römische Netzwerk aussah. Die waren in einer Art und Weise vernetzt, wie man sich das lange Zeit kaum vorzustellen wagte. Wir können dieses Netzwerk rekonstruieren - insofern steht dieser Mittelpunkt bei uns für alle vier Bereiche. Und damit haben wir alle Bereiche verbunden Mobilität, natürlich auch Migration. Die ganzen vielen Völkerschaften die letztlich in Köln zusammenkommen. Damit haben wir das Thema richtig weit aufgerissen. Und dann werden wir uns in diesen vier Bereichen Mobilität, Konflikte, Austausch und Innovation jeweils einem konkreten Thema stellen.

Prof. Matthias Wemhoff (*1964) studierte Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Mittlere- sowie Kirchengeschichte. Seit 2008 ist er Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz sowie Landesarchäologe des Bundeslandes Berlin. Seit 2011 ist Wemhoff außerdem Geschäftsführer des Deutschen Verbandes für Archäologie und Herausgeber der Zeitschrift Blickpunkt Archäologie.

Das Gespräch führte Klaus Krämer