Tusk in Berlin - Annäherung zwischen Deutschland und Polen
11. Februar 2024Es wird nur ein Blitzbesuch in zwei westeuropäischen Hauptstädten sein, aber die Reise ist von Bedeutung. Donald Tusk trifft sich am Montag (12.02.2024) zunächst in Paris mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Noch am selben Tag fliegt er weiter zu Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin.
Für den liberalen polnischen Premier wird vor allem der Besuch an der Spree zum Drahtseilakt. Er will das ramponierte Verhältnis zu Deutschland reparieren, muss sich aber vor allzu großer Nähe zum westlichen Nachbarn hüten. Denn die nationalkonservative Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski, die Tusk zum "deutschen Agenten" abgestempelt hat, wird jeden unbedachten Schritt auf dem Berliner Parkett als "Landesverrat" denunzieren.
Kaczynski: Tusk wie Hitler
Kaczynskis Partei, die Polen während der vergangenen acht Jahre regiert hatte, hinterließ in der europäischen Politik ein Trümmerfeld. Sie setzte auf das enge Militärbündnis mit den USA, wobei ihr Lieblingspartner in Washington Donald Trump hieß, und ruinierte die Beziehungen zu Frankreich und Deutschland. Die deutsch-polnischen Beziehungen steckten in der tiefsten Krise seit dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl im vergangenen Oktober erklärte die PiS Deutschland gar zur größten Gefahr für Polens Souveränität und Tusk zum Vertreter fremder, nämlich deutscher, Interessen. Nach der Wahlniederlage steigerte Kaczynski sogar seine antideutsche Rhetorik. Er verglich Tusks Versuche, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, mit den Methoden von Adolf Hitler.
Scholz gratuliert und lädt ein, Tusk zögert
Als Mitte Dezember 2023 die neue polnische Mitte-Links-Regierung endlich vereidigt wurde, war die Begeisterung in Berlin nicht zu übersehen. Im Bundestag gratulierte Kanzler Scholz seinem neuen Amtskollegen Tusk spontan zur Regierungsübernahme und bot ihm Zusammenarbeit an. "Polens Rolle in und für Europa ist heute größer denn je", sagte Scholz in einer Regierungserklärung und äußerte die Hoffnung, dass nun Deutschland und Polen die bilateralen Beziehungen "Seite an Seite" voranbringen werden. Er hoffe, Tusk "in den kommenden Wochen" in Berlin zu begrüßen, so Scholz.
Es mussten allerdings fast zwei Monate vergehen, bis Tusk sich auf den Weg in die deutsche Hauptstadt machte. Der schwierige Prozess der Machtübernahme, der durch die totale Blockadepolitik der PiS erschwert und verzögert wurde, hatte die Außenpolitik zunächst in den Hintergrund gerückt. Die Auseinandersetzung um die Medien und die ersten Schritte zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit wurden als wichtiger befunden als außenpolitische Initiativen.
Doch es gab auch andere Gründe. "Tusk agiert gegenüber Deutschland extrem vorsichtig, um den Rechtspopulisten keinen Vorwand für Kritik zu geben", sagt Piotr Buras, Chef der Warschauer Vertretung des European Council on Foreign Relations (ECFR) der Deutschen Welle. Der Politologe erinnert daran, dass Tusk in seiner ersten Regierungserklärung Deutschland mit keinem Wort erwähnte. Auch die gewählte Reihenfolge der Besuche - zunächst Paris, erst dann Berlin - ist seiner Ansicht nach nicht zufällig.
Antideutsche Ressentiments in Polen
"Acht Jahre antideutscher Propaganda haben in der polnischen Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Die PiS hat in den Debatten über Deutschland die Deutungshoheit gewonnen", erklärt Buras. Deshalb werde sich Tusk mindestens bis zur Europawahl im Juni zurückhalten. "Er braucht mehr Zeit", betont der Wissenschaftler.
"Tusk ist eine Art Geisel der PiS-Rhetorik über Deutschland", bestätigt Agnieszka Lada-Konefal, Vize-Direktorin des Deutschen Polen-Instituts (DPI) in Darmstadt. Sie betont, dass die deutsche Seite die Situation des polnischen Regierungschefs gut verstehe. "Berlin zeigt keine Enttäuschung, Ungeduld oder Misstrauen", sagt Lada-Konefal anerkennend. Die Deutschen hätten begriffen, dass sie Warschau nichts aufdrängen sollten, dass sie "nicht als großer Bruder auftreten sollten, der den kleinen Bruder immer wieder belehrt".
Sowohl Buras, als auch Lada-Konefal sind sich einig, dass es in den deutsch-polnischen Beziehungen kein Zurück zu den Zeiten vor der Machtübernahme durch die PiS geben wird.
Polen will kein kleiner Bruder Deutschlands sein
Nach der demokratischen Wende von 1989 hatte der erste nichtkommunistische Außenminister Krzysztof Skubiszewski die deutsch-polnische Interessengemeinschaft ausgerufen. Später sprach er sogar von einer Schicksalsgemeinschaft. Der große Bruder - Deutschland - wurde zu Polens Anwalt und ebnete dem kleinen Bruder hinter der Oder den Weg in die EU und die NATO.
"Wir befinden uns heute in einer ganz anderen Situation", unterstreicht Lada-Konefal. Tusks Einfluss als ein erfahrener Politiker, der fünf Jahre lang dem Europäischen Rat vorstand, sei enorm gewachsen. Auch Polens Rolle in der Welt habe sich wegen der schnellen und großzügigen Militärhilfe für die Ukraine sowie der Aufnahme von Millionen ukrainischer Flüchtlinge stark verändert. Gleichzeitig habe Deutschland wegen seiner falschen Russland-Politik und innenpolitischen Problemen viel von seinem Glanz verloren. Das Kräfteverhältnis habe sich zugunsten Polens verschoben, so die DPI-Vizechefin.
Unterdessen hat der Normalisierungsprozess zwischen den beiden Ländern mit kleinen Schritten begonnen. Die polnische Regierung kündigte an, dass die durch die Vorgängerregierung gesperrten Gelder für den Deutschunterricht für Kinder der deutschen Minderheit in Polen freigegeben werden sollen. Ein aus politischen Gründen blockiertes deutsch-polnisches Schulbuch für den Geschichtsunterricht soll bald zugelassen werden.
Wer bietet mehr Sicherheit: USA oder Frankreich und Deutschland?
Bei der Migrationspolitik und der Reform der EU, vor allem bei den von Berlin forcierten Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik, gibt es Gesprächsbedarf. Und wie ein Damoklesschwert hängt über den deutsch-polnischen Beziehungen die Frage der Wiedergutmachung für polnische Kriegsopfer. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski appellierte in der vergangenen Woche an die deutsche Kreativität in dieser Frage. Die Antwort steht noch aus.
Zwischen Polen und Deutschland wird es wahrscheinlich nicht zur Neuauflage der Schicksalsgemeinschaft aus den 1990er Jahren kommen. Die neue Führung in Warschau ist sich aber bewusst, dass angesichts der Krise in den USA, wo Trumps Republikaner die Hilfen für die Ukraine blockieren, sowie der wachsenden Aggressivität Russlands die größte Chance für Polen in einem engen Bündnis mit Berlin und Paris liegt. "Polen setzt stärker auf Frankreich und Deutschland, auf Kosten der Beziehungen zu den USA", schreibt der Kommentator Jedrzej Bielecki in der Tageszeitung Rzeczpospolita.