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Angst vor neuer Gaskrise in Europa

Arthur Sullivan
4. Dezember 2024

Ein kalter November, steigende Gaspreise und das wahrscheinliche Auslaufen eines wichtigen Gas-Pipeline-Vertrages werfen ihre Schatten auf die Energie-Versorgungslage.

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LNG-Flüssiggastanker an einer Anlegestelle
Alternativen zu russischem Gas: LNG-Flüssiggastanker wird in Katar beladenBild: Thomas Koehler/photothek/picture alliance

Die steigenden Gaspreise der letzten Wochen haben bei europäischen Energiehändlern und auch bei Politikern schlechte Erinnerungen geweckt an die Erschütterungen, die die Energiemärkte nach der Invasion Russlands in der Ukraine im Jahr 2022 erfasst haben. Als der Kontinent in aller Eile seine Abhängigkeit von russischem Gas beenden wollte, waren die Preise in die Höhe geschossen.

Dies hatte nicht nur die bereits hohe Inflation weiter angeheizt, sondern auch Sorgen über mögliche Stromausfälle ausgelöst. Die anhaltend hohen Preise belasteten auch energieintensive Industrien und führten zu Schließungen und Arbeitsplatzverlusten.

Doch Europa hat die letzten beiden Winter letztendlich gut überstanden, vor allem dank des Wetters, das milder als erwartet ausgefallen war und den Energieverbrauch für das Heizen niedrig hielt.

Ein Kälteeinbruch im November hatte dann aber wieder zu einem Anstieg der Erdgaspreise geführt. Die Preise stiegen sprunghaft an und erreichten am 21. November fast 49 Euro pro Megawattstunde (MWh), das höchste Niveau seit über einem Jahr.

Luftaufnahme des Kovykta-Gasfeldes in Sibirien im Winter
Das fossile Gold des neuen Zaren: Wladimir Putin ist auf Gas- und Ölexporte angewiesenBild: Gazprom/dpa/picture alliance

Sind die Ängste berechtigt?

Das kalte Novemberwetter hatte zu einem stärkeren Energiebedarf für Heizungen geführt. In Kombination mit den niedrigen Windgeschwindigkeiten in Nordeuropa und dem daraus resultierenden Rückgang des Angebots an Windenergieerträgen ist die Nachfrage nach Gas gestiegen.

Dennoch liegen die Preise immer noch weit unter den Höchstwerten des Jahres 2022, besonders, weil die Gesamtnachfrage nach Gas seitdem gesunken ist. Der Schock des November-Preisanstiegs lässt sich auch dadurch erklären, dass die Preise im gesamten Jahr 2024 weitaus niedriger gewesen waren als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn des Krieges.

"Die Preise sind seit Mitte September um etwa 40 Prozent gestiegen", sagte Petras Katinas, Energieanalyst am Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA), zur DW. "Das war plötzlich ein ziemlich großer Sprung." Die Aussicht auf einen kälteren Winter hat Angst ausgelöst, dass die bis vor kurzem noch vollen Lagerbestände erschöpft sein und einen zyklischen Preisanstieg auslösen könnten.

Katinas sagt jedoch auch, dass Russlands Einfluss auf den europäischen Markt seit 2022 stark nachgelassen habe und die Rede von einer "Krise" übertrieben sei. "Ich würde es nicht als Krise bezeichnen, vor allem wenn wir vergleichen, was 2022 und 2023 tatsächlich passiert ist", sagte er. "Die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten ist nicht mehr so stark von russischem Gas abhängig."

Wie Gas aus Russland ersetzt werden kann

Aber was ist mit russischem Gas?

Russland ist, was die Gasversorgung der EU betrifft, längst nicht mehr der Gigant, der es einmal war. Der Anteil des von den Mitgliedstaaten importierten russischen Pipelinegases sank von 40 Prozent der Gesamtmenge im Jahr 2021 auf etwa neun Prozent im Jahr 2023.

Inzwischen scheinen die russischen Gaslieferungen via Pipeline an die Union zu Ende zu gehen. Österreich, eines der letzten europäischen Länder, das noch Pipelinegas aus Russland bezieht, hat nach einem Rechtsstreit mit dem staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom die Lieferung des fossilen Rohstoffes endgültig eingestellt.

Die Slowakei und Ungarn erhalten derzeit noch russisches Gas, doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass dieser Import am Ende dieses Jahres endet. Der fünfjährige Gastransitvertrag zwischen Gazprom und dem ukrainischen Staatsunternehmen Naftogaz für den Transport russischen Gases durch ukrainisches Territorium läuft mit diesem Jahr aus und die ukrainische Regierung hat angekündigt, ihn nicht zu verlängern.

Borys Dodonow, Leiter des Zentrums für Energie- und Klimastudien an der Hochschule für Wirtschaftswissenschaften in Kyjiv, erwartet das Ende des Gastransitvertrags, weil "die Ukraine keine wirtschaftlichen Gründe hat, diesen Vertrag zu verlängern".

Ein Arbeiter kontrolliert den Gasdurchfluss am Übergang einer Pipeline von Russland in die Ukraine
Das Ende des Gastransports durch die Ukraine steht bevorBild: Maxim Shipenkov/epa/dpa/picture-alliance

LNG - die Lösung aller Probleme?

Da die russische Pipelinegaslieferung nach Europa im Jahr 2022 weitgehend eingestellt wurde, ist Flüssigerdgas (LNG) für beide Parteien wichtiger geworden. Die russischen LNG-Einfuhren in die EU sind in diesem Jahr bisher um fast 15 Prozent gestiegen.

Dodonow beharrt darauf, dass Europa aufgrund des LNG-Angebotes aus den USA kein russisches Gas zur Deckung seines Energiebedarfs mehr benötigen wird. Er erwartet, dass der künftige US-Präsident Donald Trump die LNG-Produktion steigern wird, und glaubt, dass Europa für ein großes Gashandelsabkommen mit den USA bereit sein könnte.

Ed Cox, Leiter für globales Flüssigerdgas beim unabhängigen Rohstoffdatenanbieter ICIS, weist darauf hin, dass Flüssigerdgas seit der Invasion im Jahr 2022 nun 34 Prozent des gesamten europäischen Gasanteils ausmacht - das ist doppelt so viel wie zuvor. Die Umstellung auf Flüssigerdgas bedeute aber, dass Europa nun anfälliger für den globalen Preisdruck ist. "Europa ist stärker als je zuvor mit den Fundamentaldaten eines globalen Marktes verbunden", sagte er der DW.

Flüssiggas: Pipelinebau in Rekordzeit

Cox glaubt, dass Europa im Falle eines kalten Winters und eines Endes des Transitabkommens mit der Ukraine seinen Gasbedarf immer noch mit Flüssigerdgas decken könnte. Allerdings besteht die Gefahr deutlich höherer Preise, da das Angebot kurzfristig nicht dramatisch ausgeweitet werden könne. "Europa wird genug Flüssigerdgas bekommen, wenn es das braucht. Aber das könnte bedeuten, dass die europäischen Preise steigen, um mit der asiatischen Nachfrage konkurrieren zu können."

Höhere Gaspreise, um die Vorräte nach dem Winter wieder aufzufüllen, würden sich auf den Winter 2025 und darüber hinaus auswirken, fügte er hinzu: "Es geht nicht darum, ob wir genug LNG oder Gas haben, es geht um die Frage, wie teuer das wird."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.