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Angriff auf Gaza-Klinik: Direktor laut Israel "Terror-Kader"

29. Dezember 2024

Durch eine israelische Militäraktion ist jetzt wohl auch das letzte Großkrankenhaus im nördlichen Gazastreifen außer Betrieb. Laut Israel wurden dort 240 mutmaßliche Hamas-Kämpfer gefasst, darunter auch der Klinik-Chef.

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Gazastreifen: Zerstörungen an Gebäuden und Trümmer im Innenhof des Kamal-Adwan-Hospitals in Beit Lahia nach einem israelischem Luftangriff (25.12.2024)
Zerstörter Innenhof des Kamal-Adwan-Hospitals in Beit Lahia (am Mittwoch)Bild: Khalil Ramzi Alkahlut/Anadolu/picture alliance

Israels Streitkräfte haben ihren dreitägigen Großeinsatz im Kamal-Adwan-Krankenhaus im Norden des Gazastreifens beendet - und dabei nach eigenen Angaben 240 mutmaßliche Hamas-Kämpfer gefangen genommen. Wie die israelische Armee mitteilte, war unter den Festgenommenen auch der Direktor der betroffenen Klinik in Beit Lahia, Hussam Abu Safeia. Er werde verdächtigt, ein "Terror-Kader" der islamistischen Hamas zu sein.

Die israelischen Streitkräfte hatten am Freitagmorgen das Krankenhaus in dem Palästinensergebiet am Mittelmeer angegriffen. In der Klinik war nach Angaben des Militärs eine Kommandozentrale der Hamas aktiv. Unter den Festgenommenen seien auch Kämpfer des mit der Hamas verbündeten Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ). Einige Milizionäre hätten sich als Patienten verkleidet, andere Widerstand geleistet. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die israelische Armee betonte, sie habe bei ihrem Vorgehen Zivilisten, Patienten und Mitarbeiter des Kamal-Adwan-Krankenhauses "geschont" und "im Einklang mit dem Völkerrecht" behandelt. Aus medizinischen Kreisen im Gazastreifen hieß es, es habe mehrere Verletzte bei dem Einsatz gegeben.

Die Hamas gab ihrerseits an, israelische Streitkräfte hätten die Klinik gestürmt. Das "medizinische Personal, die Patienten, die Verletzten und die Flüchtlinge" seien "zur Evakuierung gezwungen" worden. Die radikalislamische Gruppe bestritt zudem "kategorisch die Anwesenheit von militärischen Aktivitäten oder Widerstandskämpfern in dem Krankenhaus".

WHO in Sorge

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO wurde durch den israelischen Militäreinsatz das letzte große Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen "außer Betrieb" gesetzt. "Erste Berichte deuten darauf hin, dass einige wichtige Abteilungen bei der Razzia stark verbrannt und zerstört wurden", teilte die WHO am Samstag mit.

Berichten zufolge befinden sich 60 medizinische Angestellte und 25 Patienten in lebensbedrohlichem Zustand weiterhin in dem Spital. Darunter seien an Beatmungsgeräte angeschlossene Patienten. Die UN-Gesundheitsorganisation mache sich "große Sorgen um ihre Sicherheit", hieß es.

Ein aus dem Krankenhaus in Sicherheit gebrachter Palästinenser sagte am Samstag der Nachrichtenagentur AFP, die israelische Armee habe alle jungen Männer "aufgefordert, ihre Kleidung auszuziehen und das Krankenhaus zu verlassen". Dutzende Männer, darunter Ärzte und Patienten, seien an "einen unbekannten Ort" gebracht worden, wo sie verhört und zu "Widerstandskämpfern, der Hamas und Waffen" befragt worden seien, so die Aussage des Mannes.

Der nun unter Terrorverdacht festgenommene Krankenhausleiter Abu Safijeh hatte in den Tagen vor dem Einsatz wiederholt auf die prekäre Lage der Einrichtung hingewiesen. Am Montag warf er Israel in einer Erklärung vor, das Spital "mit der Absicht anzugreifen, die Menschen darin zu töten und gewaltsam zu vertreiben". Am Donnerstag waren nach Angaben des Krankenhauschefs bei einem israelischen Angriff fünf Mitarbeiter getötet worden - ein Kinderarzt, eine Laborantin, zwei Krankenwagenfahrer und ein Haustechniker.

Bericht beschreibt grausame Folter an Geiseln

In Israel wächst die Sorge um die rund 100 Geiseln, sie sich noch im Gazastreifen in der Hand von palästinensischen Terroristen befinden. Am Samstagabend demonstrierten erneut 1000 Menschen in Tel Aviv für deren Freilassung aus der Gewalt der Hamas. Das israelische Gesundheitsministerium legte einen Bericht an die UN-Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Jill Edwards, vor, in dem die schweren Misshandlungen der Geiseln durch ihre Entführer beschrieben werden.

Israel Tel Aviv | Demonstration zur Freilassung der Hamas-Geiseln (28.12.2024): zahlreiche Personen - viele mit Israel-Fahnen - auf einer Straße
Demonstration zur Freilassung der Hamas-Geiseln in Tel Aviv (am Samstagabend)Bild: JACK GUEZ/AFP

Er stützt sich auf die Erkenntnisse von Ärztinnen und Ärzten, die mehr als 100 Geiseln behandelten, die entweder freigelassen oder befreit wurden. Unter ihnen waren Männer, Frauen und Kinder. Nahezu alle waren körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt unterworfen. Typisch seien Methoden, die Willenskraft der Gekidnappten zu brechen, etwa durch Isolationshaft, Hunger, Schlafentzug, Gewalt, Drohungen und Nicht-Behandlung von Verletzungen und chronischen Erkrankungen.

Schläge, sexualisierte Gewalt, Nahrungs- und Schlafentzug

Geiseln wurden dem Bericht zufolge von ihren Peinigern geschlagen, gefesselt und an den Haaren gezogen, ihnen wurden Nahrung und Wasser verweigert und Brandwunden zugefügt. Oft wurden sie unter schlimmsten hygienischen Bedingungen festgehalten. Manchmal wurden schmerzhafte medizinische Behandlungen ohne Betäubung vorgenommen. Frauen waren sexuellen Angriffen ausgesetzt, mussten sich etwa vor ihren männlichen Geiselnehmern ausziehen und Berührungen erdulden.

Geiselnahme und Gefangenschaft waren für die Betroffenen traumatische Erfahrungen. "Die medizinischen und psychosozialen Teams gehen davon aus, dass substanzielle Mittel und maßgeschneiderte Therapien nötig sind, um die Rehabilitation und Reintegration der zurückgekehrten Geiseln zu bewerkstelligen", heißt es in dem Bericht.

Mutmaßlich schon mehr als 45.000 Tote

Beim Terrorüberfall auf den Süden Israels am 7. Oktober des Vorjahrs hatten die Hamas und ihre Verbündeten 1200 Menschen getötet und weitere 250 in den Gazastreifen verschleppt. Viele der Gekidnappten, die noch nicht wieder in Freiheit kamen, sind mittlerweile vermutlich ums Leben gekommen. Das Massaker der Islamisten war Auslöser des Gaza-Kriegs.

Israel geht seitdem massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 45.480 im Gazastreifen Menschen getötet. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Die Hamas wird von vielen Staaten, darunter Deutschland, als Terrororganisation eingestuft.

AR/kle/sti (dpa, afp)