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„An der territorialen Integrität Georgiens muss man festhalten“

14. August 2008

Dieter Boden war jahrelang UN-Vermittler in Georgien. Im Interview mit der Deutschen Welle fordert er eine politische Konfliktlösung unter Beteiligung von OSZE und UN.

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Dieter BodenBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Herr Boden, Sie haben jahrelang für die OSZE in Georgien vermittelt und versucht, einen neuen Krieg im Kaukasus zu verhindern. Nun ist der Konflikt um die abtrünnige georgische Provinz Südossetien doch wieder eskaliert. Hat Sie das überrascht?

Dieter Boden: Überraschen konnte das zuletzt kaum noch jemanden. Im Grunde hat sich die Situation seit Jahren verschlechtert, der Verhandlungsprozess stockt schon seit 2004. Und seither haben beide Seiten militärisch aufgerüstet. Bis es eben zu einem richtigen Krieg kam.

Der Krieg begann mit der Entscheidung Georgiens, Südossetien zurückzuerobern. Warum hat Georgien sich zum Krieg entschlossen?

Es ist noch strittig, wer zuerst geschossen hat. Wenn eine solche militärische Drohkulisse erstmal aufgebaut ist, wird die Situation schnell unberechenbar. Warum der Krieg jetzt begonnen wurde, darüber kann man nur spekulieren. In der georgischen Regierung haben bestimmte Politiker schon seit längerem darauf gedrängt. Vielleicht hat man gedacht, im Windschatten der Olympischen Spiele könne man so etwas machen. Aber auch auf russischer Seite gibt es genug Scharfmacher.

Sie waren Leiter der UN-Beobachtermission in Georgien. Woran sind die bisherigen Vermittlungs- und Friedensmissionen gescheitert?

Die sind gescheitert an der Unvereinbarkeit der Positionen: Georgien will die abtrünnigen Gebiete wieder in den Staatsverband zurückholen, Südossetien und Abchasien wollen die Unabhängigkeit. Es wurde zwar verhandelt, und es gab zum Beispiel vertrauensbildende Maßnahmen und kleinere wirtschaftliche Projekte, die von der EU mitfinanziert wurden. Wir hatten Ansätze für einen Weg, der zur Konfliktregelung hätte führen können. Aber es hat auf beiden Seiten an Geduld und Konsequenz im Verhandlungsprozess gefehlt. Auch Russland hat diese Ansätze nicht genug unterstützt. Und der Westen hat das Konfliktpotenzial im Kaukasus zu lange unterschätzt und die Verhandlungsbemühungen nicht genug unterstützt. Das habe ich immer wieder selbst bemerkt: Wir haben eigentlich keinen richtigen Rückhalt für unsere Arbeit in westlichen Hauptstädten erfahren.

Vor wenigen Wochen ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach Georgien gereist, um zu vermitteln. Kam diese Initiative zu spät?

Diesen Vermittlungsversuch sollte man durchaus würdigen. Aber er ist sehr spät gekommen und zu einem Zeitpunkt, als bei den Verhandlungen schon längst Stillstand herrschte.

Wenn Sie Bilanz ziehen: Was haben Sie als Diplomat in Georgien erreicht?

Ich war in einer Zeit da, als man an einzelnen Projekten wie der Rückkehr von Flüchtlingen konstruktiv arbeiten konnte. Damals wurden auch Konzepte für eine Konfliktregelung entwickelt, die man heute noch anwenden kann. Was gefehlt hat, war der politische Wille auf allen Seiten, das umzusetzen. Aber ich selbst habe schon das Gefühl, versagt zu haben: Denn wenn ein Krieg ausbricht, war alles vergebens, was man bis dahin unternommen hat.

Wie sieht so ein Konzept für die Beilegung des Konflikts aus?

Für den Abchasien-Konflikt gibt es einen Vorschlag, wie man beide Seiten zu Verhandlungen bringen kann. Grundlage ist dabei, dass Georgien als Staat unangetastet bleibt. Ich habe ein solches Konzept 2001 selbst entworfen. Und es ist immer noch gültig – wenn man am Prinzip der territorialen Integrität festhält.

Georgien besteht auf seine territoriale Integrität, die abtrünnigen Provinzen wollen sich abspalten. Das schließt sich doch grundsätzlich aus.

Das sind Maximalpositionen, die aber verhandelbar sein sollten. Bei Verhandlungen geht man immer von der Annahme aus, dass es eine Bereitschaft zu Kompromissen gibt. Deshalb kommt es auf den politischen Willen der Beteiligten wie auch auf die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft an. Auch Russland kann kein Interesse an einem instabilen Georgien haben. Und es kann kein Interesse daran haben, dass man das Prinzip der territorialen Integrität aufgibt. Sonst steht sofort der Status von Tschetschenien als Teil Russlands infrage. Es sollte also Kompromissmöglichkeiten geben.

Unter welchen Bedingungen könnte denn Südossetien bereit sein, Teil von Georgien zu bleiben?

Das muss man natürlich die Osseten fragen. Dieser Krieg hat ungeheuren Schaden angerichtet, wir wissen noch nicht, was alles an Brutalitäten begangen wurde in Zchinwali. Durch den Krieg wird alles noch schwieriger. Aber das Verhältnis von Osseten und Georgiern ist grundsätzlich weniger zerrüttet als das zwischen Georgiern und Abchasen, das habe ich vor Ort immer wieder gespürt. Wenn man das voraussetzt, sollte eine Lösung möglich sein, indem man den abtrünnigen Gebieten weitgehende Autonomie gibt. Und zwar nicht nur eine folkloristische Autonomie wie in der Sowjetzeit, sondern eine mit politischen Rechten. Dafür gibt es Modelle, und darüber müsste man ernsthaft reden.

Welche Rolle könnten internationale Organisationen wie UNO oder OSZE bei einer Beilegung des Konflikts spielen?

Beide haben eine enorme Verantwortung. Die OSZE hat ein festes Mandat für Südossetien, die UNO für Abchasien. Das sollte man meiner Meinung nach so lassen. Aber man muss diese Organisationen auch entsprechend unterstützen.

Die UNO ist aber handlungsunfähig, weil die USA im Sicherheitsrat an der Seite Georgiens stehen und Russland Südossetien unterstützt.

Ich kenne diese Konfrontation – ich war ja etliche Male zum Abchasien-Konflikt im Sicherheitsrat. Bedingt durch die militärische Auseinandersetzung hat das sehr krasse Formen angenommen. Aber weder Russland noch die USA haben ein Interesse an einer größeren Konfrontation. Schließlich haben sie noch genügend andere Probleme, bei denen sie zusammenarbeiten müssen – zum Beispiel Iran, zum Beispiel Terrorismus. Deswegen ist das meines Erachtens nicht das letzte Wort, das wir im Sicherheitsrat gehört haben.

Georgien strebt die Aufnahme in die NATO an. Hätte der Krieg verhindert werden können, wenn die NATO Georgien bei ihrem Gipfel im April 2008 in Bukarest aufgenommen hätte, wie die USA das wollten?

Da habe ich erhebliche Zweifel. Georgien wäre ja nicht in einem Handstreich Mitglied der NATO geworden. Um Vollmitglied der NATO zu werden, hätte Georgien in jedem Fall noch etliche Jahre gebraucht. Außerdem nimmt die NATO aus gutem Grund keine Staaten mit offenen Konflikten auf. Sonst sind wir alle Geisel von Artikel 15 des NATO-Vertrages, wonach bei einem Angriff auf ein Mitglied alle anderen zum Beistand verpflichtet sind. Wenn man sich das bei Georgien vorstellt, kann es einem nur kalt den Rücken runterlaufen.

Das Interview führte Dirk Eckert.