Urteil im AMIA-Prozess erwartet
22. Dezember 2020Carlos Telleldín besitzt nicht den besten Leumund. Im Laufe seiner Karriere soll er in zahlreiche illegale Aktivitäten verwickelt gewesen sein: Frauenhandel, Dollarfälschung, Schmuggel, Diebstahl und Fahrzeugschieberei. Vor allem aber war er laut der Fahrzeug-Papiere der letzte Besitzer jenes Kleinlasters, der bei dem Anschlag auf das Gemeindezentrum AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina) als Autobombe verwendet wurde. Bei dem verheerenden Attentat vom 18. Juli 1994 starben 85 Menschen, mehr als 300 wurden verletzt.
Im Jahr 1996 erklärte Telleldín vor Gericht – er saß zu jenem Zeitpunkt bereits zwei Jahre in Haft – er habe das Fahrzeug an eine Gruppe von Polizisten aus der Provinz Buenos Aires übergeben. Vier ehemalige Beamte wurden festgenommen und zusammen mit Telleldín ab 2001 vor Gericht gestellt.
400.000 US-Dollar für eine Falschaussage
Dort wurde festgestellt, dass Telleldín auf Weisung eines Bundesrichters vom mittlerweile aufgelösten Geheimdienst SIDE 400.000 US-Dollar erhalten hatte, damit er die Polizisten beschuldige, Verbindungen zu den AMIA-Attentätern zu haben. Das Gericht sprach daraufhin 2004 alle Angeklagten frei. In einer Berufungsverhandlung bestätigte das Oberste Gericht 2009 den Freispruch der Polizisten, befand jedoch, dass Telleldín erneut vor Gericht gestellt werden könne.
Das laufende Verfahren begann im Mai 2019, war wegen der Corona-Pandemie zeitweilig unterbrochen und wurde ab Juni als Videokonferenz fortgesetzt. Telleldín habe gewusst oder war sich zumindest der Möglichkeit bewusst, dass der von ihm übergebene Van für einen Anschlag verwendet werden würde, sagt AMIA-Anwalt Miguel Bronfman.
Nach dem Attentat floh Telleldín an die Grenze zu Paraguay; nach seiner Verhaftung machte er Falschaussagen. "Es ist offensichtlich, dass seine Lügen verbergen, wem er den Kleinlaster wirklich übergeben hat, und dass er die Wahrheit nicht sagen kann, weil die Wahrheit ihn kompromittiert", so Bronfman.
Bis heute ist das Attentat nicht vollständig aufgeklärt. Als Urheber gilt die vom Iran unterstützte Hisbollah. Die Entscheidung für die Anschläge sei aber an höchster Stelle in Teheran gefallen, so eine argentinische Untersuchungskommission. Die Komplizenschaft bei dem Attentat in Argentinien selbst ist nie ausreichend beleuchtet worden.
Anfang 2013 vereinbarten Iran und Argentinien unter der damaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in einem Memorandum, den Terroranschlag gemeinsam aufzuklären. Dies rief seinerzeit heftige Reaktionen und Ablehnung in der Jüdischen Gemeinde hervor. Aus ihrer Sicht wurde damit in gewisser Weise der Bock zum Gärtner gemacht.
Nismans Tod gibt immer noch Fragen auf
Mitte Januar 2015 wurde der ermittelnde Sonderstaatsanwalt Alberto Nisman mit einer Schusswunde tot in seiner Wohnung aufgefunden. Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob es sich um einen Mord oder Suizid handelte. In einem Bericht hatte Nisman Cristina Kirchner vorgeworfen, aus wirtschaftlichen und diplomatischen Interessen die Verfolgung der Hauptverdächtigen des Anschlags zu sabotieren. Hintergrund des Iran-Deals seien geplante Ölgeschäfte.
Die Regierung Mauricio Macri hob die Vereinbarung kurz nach ihrem Amtsantritt 2015 auf. Ende Februar 2019 wurde Argentiniens früherer Präsident Carlos Menem (1989-99) von dem Vorwurf freigesprochen, den Anschlag während seiner Amtszeit gedeckt zu haben. Telleldín dagegen wurde wegen Vertuschung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis und der Rückzahlung jener 400.000 US Dollar verurteilt, die er vom Geheimdienst erhalten hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und Telleldín, der zwischen 1994 und 2004 zehn Jahre Haft verbüßte, weiter auf freiem Fuß.
Hoffnung auf späte Gerechtigkeit
Am Mittwoch nun soll in dem laufenden Verfahren das Urteil gesprochen werden. Telleldíns Verteidigung plädiert auf Freispruch, da ihr Mandant den Kleinlaster verkauft habe, ohne zu wissen, dass er für einen Anschlag verwendet werden würde. AMIA und DAIA (Delegación de Asociaciones Israelitas Argentinas) fordern dagegen die Verhaftung Telleldíns und zwanzig Jahre Haft; Staatsanwaltschaft und die Familien der Opfer sogar lebenslänglich. Gerade für die jüdische Gemeinde wäre eine Verurteilung 26 Jahre nach dem Anschlag ein wegweisender Moment.