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Amazon-Zustellpartner: Chef mit Fahrerlöhnen untergetaucht

Grzegorz Szymanowski
15. August 2021

Ausländische Kuriere eines Subunternehmens lieferten fleißig Amazon-Pakete in Deutschland aus, als ihr Chef mit den Löhnen verschwand. Jetzt müssen sie um ihre Rechte kämpfen. Von Amazon wünschen sie sich mehr Hilfe.

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Mihai Autu, Adam Stelmaszek und Edyta Autu
Adam Stelmaszek (Mitte) und das Paar Mihai und Edyta Autu arbeiteten bei Beta LogisticsBild: Grzegorz Szymanowski

Schon zweimal während der Corona-Pandemie verlor Adam Stelmaszek seinen Job. Nachdem in England seine Bauaufträge im "harten Lockdown" verloren gingen, zog der Pole mit seiner Familie nach Sachsen um. Denn hierzulande suchte gerade eine Branche nach Arbeitern: Als Kurier fuhr Stelmaszek seit Mai 2020 für das Subunternehmen Beta Logistics im Raum Dresden Pakete aus - im Auftrag des Online-Versandriesen Amazon.

Die Firma beschäftigt Kuriere, die Amazon-Pakete an drei deutschen Standorten des US-Konzerns ausliefern. Stelmaszek arbeitete im sächsischen Lampertswalde. Der 37-jährige Pole, Vater von zwei Kindern, packte die Arbeit gut an. Schnell stieg er zu einem Disponenten auf. Seine Kollegen mochten ihn. Das gleiche dachte er über seinen Chef, Krzysztof Lajca, der auch aus Polen stammt. Bis ihm im Mai per E-Mail gekündigt wurde. Zu der Zeit schuldete ihm die Firma noch zweieinhalb Monatslöhne.

Doch plötzlich war Lajca nicht mehr zu erreichen. "Noch eine Woche zuvor hat mir der Chef zur Geburt meines Sohnes gratuliert", sagt Stelmaszek aufgeregt. "Man muss sich doch mental vorbereiten, um mehr als 40 Leute zu betrügen". Die Betroffenen sind ausländische Werkarbeiter aus Polen, Rumänien und Griechenland.

Subunternehmer nicht mehr auffindbar

Viele von ihnen waren während der Pandemie in die Paketbranche gewechselt. Das Paar Edyta und Mihai Autu bediente vorher Touristen auf Kreuzfahrten. Ardian Lupu (Name geändert) war früher Koch. "Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um von Sozialhilfe zu leben, sondern um zu arbeiten", sagt Lupu. Nun musste er sich das Geld für die Miete von seiner Mutter und von Freunden leihen. Beta Logistics schulde ihm etwa 5000 Euro, erzählt der Mann aus Südosteuropa. Bei Stelmaszek sind es über 9000 Euro.

Amazon-Verteilzentrum in Lampertswalde (Sachsen)
Amazon-Verteilzentrum in Lampertswalde (Sachsen)Bild: Grzegorz Szymanowski

Die DW hat mit sieben Angestellten von Beta Logistics gesprochen. Die Geschäftsleitung konnte nicht erreicht werden. Alle Telefonate führen zu einer Voicemail, E-Mails kommen automatisch zurück, unter der Berliner Adresse ist kein Büro mehr aufzufinden. Anfragen an den Firmengründer Krzysztof Lajca blieben unbeantwortet.

Amazon teilte auf DW-Anfrage schriftlich mit, das Schicksal der Beta Logistics-Fahrer stelle "nicht die Wirklichkeit für tausende Menschen dar, die bei kleinen und mittelständischen Lieferunternehmen in ganz Deutschland beschäftigt sind und jeden Tag Pakete zu Amazon-Kund:innen bringen". Doch der Fall zeigt, wie unehrliche Subunternehmer das Werkvertrag-Modell in der Paketbranche missbrauchen.

Beta Logistics fuhr für Amazon

Seit 2018 baut Amazon die eigene Paketzustellung in Deutschland auf, um schneller liefern zu können. Für diese Arbeit beschäftigt der Konzern, wie üblich in der Branche, viele Subunternehmer. Wie Beta Logistics.

Deutschland Amazon
Amazon hat während der Pandemie viele neue Standorte in Deutschland eröffnet, wie dieses Logistikzentrum bei MagdeburgBild: Ronny Hartmann/Getty Images/AFP

Im September 2019 wurde die Firma von Krzysztof Lajca in Berlin gegründet. Das Gründungskapital: 25.000 Euro. Das sind die erforderlichen Mittel, um bei Amazon Subunternehmer oder Delivery Service Partner (DSP) zu werden. "Als Teil der DSP-Gemeinschaft betreiben Sie Ihr eigenes Lieferunternehmen mit 20 bis 40 Lieferwagen und 40 bis 70 Fahrern. Wir schaffen die notwendigen Voraussetzungen für den Start Ihres Geschäftsbetriebs", schreibt der Konzern in einem Flyer, der zur Gründung solcher Firma überzeugen soll. Als jährliches Gewinnpotenzial gibt Amazon 60.000 bis 140.000 Euro an.

"Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, zuverlässige Fahrer, die Ihren fortlaufenden Erfolg ermöglichen, auszuwählen und zu binden", wirbt Amazon weiter. Diese Aufgabe hat Beta Logistics nicht erfüllt. "Jeden Monat mussten wir um unser Geld kämpfen", sagt Adam Stelmaszek. "Auf den Lohnzetteln wurde uns Geld für fiktive Autoschäden abgezogen, erst später bekamen wir es bar in Umschlägen ausgehändigt", berichtet Stelmaszek. Für jeden wirklichen Schaden am Auto würden 850 Euro Selbstbeteiligung abgezogen. Eine üppige Summe beim einem Stundenlohn von zwölf Euro.

Schwangere Disponentin entlassen

Der Disponentin Edyta Autu wurde gekündigt, obwohl sie schwanger ist. Weil das in Deutschland mit dem Mutterschutzgesetz nicht vereinbar ist, erklärte das Arbeitsgericht die Kündigung für nichtig. Die Frau bangt jedoch weiter: "Der Chef ist nach wie vor nicht zu finden. Am meisten sorge ich mich um die Versicherung. Gott behüte, dass etwas Schlimmes passiert, denn wenn ich ins Krankenhaus müsste, würden mir immense Kosten entstehen," sagt die 32-jährige Polin.

Die DW hat mit der Frau des Unternehmers Krzysztof Lajca am Telefon gesprochen. Laut den Angestellten war sie bei Beta Logistics für die Buchhaltung zuständig. Sie bestritt, dass ihr Mann die Fahrer betrogen hätte und sagte, dass er bei Beta Logistics bloß angestellt war. Weitere Auskünfte wollte sie nicht machen. Die Anfragen an ihren Mann blieben unbeantwortet.

Die Behauptung, Lajca sei ein einfacher Angestellter gewesen, kann damit zusammenhängen, dass es im Juni 2020, fast ein Jahr vor seinem Verschwinden, zu einem Wechsel bei der Geschäftsführung von Beta Logistics kam. An die Stelle von Krzysztof Lajca trat laut Handelsregister ein Mann Namens Edward Lawniczak. Doch alle Fahrer berichten, dass sie ihn nie gesehen hätten und die Geschäfte nach wie vor von Lajca geführt wurden. "Lawniczak war nur ein Strohmann”, sagt Adam Stelmaszyk. Für ihn ein Beweis dafür, dass der Betrug geplant war.

Lawniczak konnte bisher nicht erreicht werden. Der DW liegt aber die Kopie einer Abschrift vor, laut der Lajca im Juni, also nach seinem Verschwinden, Beta Logistics an Lawniczak verkauft haben soll.

Viele Fahrer von Amazon enttäuscht

Auf Anfrage teilt ein Sprecher von Amazon mit, der Konzern erwarte von seinen Subunternehmern, "dass sie ein erstklassiges Arbeitserlebnis für ihre Fahrer:innen bieten". Amazon prüfe die Vorwürfe und greife durch, sollten Gesetze nicht eingehalten werden. "Unsere Geschäftsbeziehung mit der Beta Logistics GmbH haben wir im Juni 2021 gekündigt", sagt Amazon. Doch zu dem Zeitpunkt war der Subunternehmer schon untergetaucht.

Viele Autos von Amazon-Subunternehmen sind entsprechend markiert
Viele Autos von Amazon-Subunternehmen sind entsprechend markiertBild: Grzegorz Szymanowski

Einige Fahrer sind von der Reaktion des Konzerns enttäuscht. "Wenn ich einen Fehler auf der Arbeit gemacht habe, dann wurde ich von Amazon gemahnt. Aber wenn ich meinen Lohn nicht bekomme, dann interessiert es Amazon nicht", sagt Ardian Lupu. Das bestätigt ein anderer Fahrer: "Wir wurden unserem Schicksal überlassen, Amazon hat uns nicht einmal mit einem Anwalt geholfen". Der Konzern bot ihnen stattdessen an, bei anderen Subunternehmen am gleichen Standort zu arbeiten.

Amazon hat für die Fahrer eine Hotline eingerichtet, unter der man auch anonym Probleme mit Subunternehmern melden kann. Doch das System scheint nicht für Betrugsfälle gerüstet zu sein. Die DW hatte Einsicht in die Korrespondenz eines Fahrers mit der Hotline. Dem Kurier wurde mitgeteilt, dass der Fall nicht weiter untersucht werde, weil Beta Logistics nicht zu erreichen sei.

Verdi fordert Direktanstellung

Um ähnlichen Fällen vorzubeugen, fordert die Gewerkschaft Verdi Amazon dazu auf, die Fahrer direkt anzustellen. "Das Modell der Subunternehmen begünstigt eindeutig solche Machenschaften", findet Stefan Thyroke, Leiter der Fachgruppe Logistik bei Verdi. "Das würde sich ändern, wenn Amazon mit eigenen Beschäftigten arbeiten würde".

Stefan Thyroke, Leiter Fachgruppe Logistik bei Verdi
Stefan Thyroke, Leiter Fachgruppe Logistik bei VerdiBild: Grzegorz Szymanowski

Für die betrogenen Fahrer ist jetzt vor allem die Frage dringend, wie sie die vorenthaltenen Löhne ausbezahlt bekommen können. Das 2019 verabschiedete Paketboten-Schutz-Gesetz erweiterte zwar die Nachunternehmerhaftung auf die Auftraggeber. Doch sie bezieht sich nur auf die Sozialabgaben, nicht auf die Löhne.

Der Fall stockt vor Gericht

Einige Fahrer zogen nun vor Gericht. Die Verhandlungen wurden aber in den Herbst verlegt, weil niemand von Beta Logistics zu den Gerichtsterminen erschienen ist und weil keine Post zugestellt werden kann. Die Fahrer sind empört: "Warum kann die Polizei den Typ nicht suchen?", fragt Adam Stelmaszek. Die Sprecherin des Arbeitsgerichts Dresden erklärte auf Anfrage, dass die Ermittlung der Anschrift des Angezeigten zunächst Sache der klagenden Partei sei. Erst wenn dies nachweislich scheitert, könne das Gericht eine öffentliche Zustellung bewilligen.

Adam Stelmaszek war Kurier und Disponent bei Beta Logistics
Adam Stelmaszek war Kurier und Disponent bei Beta LogisticsBild: Grzegorz Szymanowski

Der Frust der Angestellten wächst währenddessen weiter. "Niemand will dir helfen. Man fühlt sich einfach gedemütigt und weiß nicht, wie weiter", sagt Adam Stelmaszek. Fehlende Sprachkenntnisse, beim Kurierjob kein Problem, stellen sich nun als Hindernis bei Kontakten mit deutschen Behörden heraus.

"Es kommen viele junge Menschen aus dem Ausland, um hier schnell Geld zu verdienen und zurück zu fahren", sagt Stelmaszek über die Branche. Sein Chef musste gehofft haben, dass sich die Angestellten nirgendwo beklagen würden und die Spur des Betrugs im Sande verlaufen würde, sagt der Pole. "Nun, ich bin nicht mehr jung. Ich bin hierher gekommen, um noch einmal von vorne anzufangen", sagt Stelmaszek. "Und nachdem ich so behandelt wurde, werde ich nicht aufgeben".