Trauerort für Flüchtlinge
8. Juli 2011"Der Trauerort gefällt mir. Er wird uns helfen, weil wir da hingehen und sitzen können, um nachzudenken worüber wir wollen", sagt Jellahan aus dem afrikanischen Land Sierra Leone, in dem lange Bürgerkrieg herrschte. "Ich sehe immer wieder nach und beobachte, wie er fertig wird. Weil ich glaube, dass der Trauerort sehr schön wird." Jellahan ist Flüchtling und möchte nur ihren Vornamen veröffentlicht wissen. Seit sechs Jahren lebt sie in Deutschland. Aus ihrer Heimat sei sie geflohen, weil sie wegen der politischen Aktivitäten ihres Ehemannes überfallen und verfolgt wurde, sagt sie. Über das, was sie erlebt hat, spricht sie nicht gerne. Sie wird im Psychosozialen Zentrum PSZ in Düsseldorf betreut.
Das PSZ bietet Hilfe an für Menschen, die vor Folter, Krieg und Gewalt fliehen mussten und nach Deutschland gekommen sind. Annette Windgasse ist Therapeutin für traumatisierte Flüchtlinge und leitet das PSZ. Die Idee des Trauerorts sei aus vielen Begegnungen mit ihren Patientinnen und Patienten entstanden, sagt sie.
Windgasse hat beispielsweise eine junge Kurdin behandelt, die erst Monate später erfahren hat, dass ihr Cousin verschwunden war und wahrscheinlich tot ist. In Deutschland hatte die Frau keine Angehörigen und war mit ihrer Trauer dann ganz alleine, erinnert sich Windgasse. "Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dieses Gefühl anzuerkennen."
"Ein Raum mit einer klaren Mitte"
In der Nähe des Psychosozialen Zentrums Düsseldorf entsteht nun ein eigens konzipierter Trauerort für Flüchtlinge und Migranten. Eine Projektgruppe im PSZ kümmert sich um die Umsetzung. Finanziert werden die nötigen 80.000 Euro überwiegend aus Spenden. Im November soll der kleine Park im Hof einer alten Kirche in Düsseldorf offiziell eröffnet werden. Um sich Anregungen zu holen, habe die Projektgruppe bundesweit nach anderen Trauerorten recherchiert, aber nichts gefunden, sagt Windgasse.
"In der Gestaltung war wichtig, dass der Raum eine klare Mitte hat. Und dass er keine Materialien wie Stacheldraht enthält, die an traumatische Situationen erinnern, an Gefängnisse zum Beispiel", sagt Windgasse über den Trauerort. Wichtig sei auch, dass es ein Ort für Menschen aller Religionen werden soll: "Das heißt, es kommt keine eindeutig religiöse Symbolik vor."
Die Künstlerin Anne Mommertz hat einen durch hohe Bambuspflanzen geschützten Ort entworfen. Darin führt ein Weg spiralförmig in die etwas tiefer gelegene Mitte des Trauerortes. Auf einem Sockel in einem Wasserbecken können Kerzen, Blumen, Räucherstäbchen oder Opfergaben abgelegt werden. Und um den kleinen Platz herum lädt eine kreisförmige Bank ein - zum Ausruhen, Innehalten, Nachdenken.
Zwar fehlen bislang die eigentlich vorgesehenen Holzauflagen zum Sitzen, und auch die Verkleidung des Zaunes zum Nachbargrundstück ist noch nicht fertig. Dafür wird nämlich mehr Geld gebraucht - 13.000 Euro muss die Projektgruppe noch sammeln.
Nabintu will nicht mehr Zuhause nachdenken
Nabintu stammt aus der Demokratischen Republik Kongo, wo es bis heute Machtkämpfe von Rebellengruppen gibt. Sie geht schon jetzt immer wieder zum Standort des Trauerorts und ist froh, wenn er fertig ist: "Weil ich so viel bei mir Zuhause nachdenke. Aber das ist nicht gut für mich. Der Kopf schmerzt dann", sagt die Frau, die seit zehn Jahren als Flüchtling in Deutschland lebt. Auch sie nennt nur ihren Vornamen. "Der Trauerort ist für mich sehr gut, weil ich alleine bin. Vater, Mutter und Kinder, alle sind gestorben. Aber wenn ich an dem Trauerort bin, kann ich um sie weinen. Weil ich dafür nicht nach Afrika gehen kann." Auch Nabintu wird im Psychosozialen Zentrum Düsseldorf betreut. Es fällt ihr schwer, über ihre Gefühle zu reden. Doch sie wirkt entschlossen.
Rund 20 Einrichtungen wie das PSZ gibt es bundesweit in Deutschland. Doch nicht alle Flüchtlinge, die psychische oder soziale Beratung und Betreuung bräuchten, können aufgenommen werden. Die Nachfrage nach Plätzen ist laut Leiterin Windgasse deutlich höher als das Angebot, die Wartezeiten sind lang. In Düsseldorf können pro Jahr 400 Menschen aus 40 Ländern betreut werden - nur ein Drittel aller Anfragenden könne aufgenommen werden.
Trauer kann viele Facetten haben
Ein Ort zum Trauern oder Abschied nehmen im Exil könne die Betreuung traumatisierter Menschen aus Kriegsgebieten nur ergänzen. Wichtig sei er trotzdem, sagt Annette Windgasse, denn das Thema Trauer habe viele Facetten: "Es gibt zum Beispiel auch Kinder, die abgetrieben wurden, weil sie vielleicht aus einer Vergewaltigung stammten. Um die die Mütter aber auch trauern", sagt die Trauma-Therapeutin. Ein äthiopischer Klient von ihr hätte hingegen als ältester Sohn eigentlich bei der Beerdigung seines Vaters dabei sein müssen. Auch später habe er das Grab in Äthiopien nicht besuchen können, erzählt Windgasse. "Dass der Vater starb, hat er akzeptiert. Er war an die 100 Jahre alt. Aber nicht dort sein zu können, das hat den Mann sehr belastet."
Windgasse weiß auch von Flüchtlingen, die wegen der Atmosphäre auf deutsche Friedhöfe gehen. Doch Friedhöfe, Kirchen, Synagogen oder Moscheen könnten trotzdem nicht immer als Ersatz dienen. "Zum einen sind nicht alle religiös. Außerdem möchten wir signalisieren, dass wir das Bedürfnis erkannt haben, und hier einen Ort dafür schaffen."
Alleine oder zu Zweit
Dass der kleine Park mit dem Trauerort auf dem Gelände der alten Bergerkirche liegt, hält sie nicht für problematisch, denn die Kirche sei sowieso für viele Menschen geöffnet: Beispielsweise durch die kostenlose Essensausgabe an Bedürftige, die sogenannte Tafel. Durch die Lage mitten in der belebten Düsseldorfer Altstadt könnten sich sogar Leute im Vorbeigehen für den Trauerort interessieren, glaubt Windgasse.
Sollten sich andere Menschen dazusetzen, würde das Jellahan aus Sierra Leona nicht stören: "Da kann man gut alleine sein. Aber ich glaube, wenn jemand anderes dort auf der anderen Seite sitzt und über etwas nachdenkt, dann ist das auch kein Problem."
Autorin: Klaudia Prevezanos
Redaktion: Hartmut Lüning