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Kunst gegen harte Devisen: Wie die DDR Sammler beraubte

Annika Zeitler25. Mai 2015

In der DDR enteignete die Stasi Privatsammler und verkaufte ihre Kunst gegen Devisen in den Westen. Viele der Werke sind bis heute verschollen und vermutlich in Privatbesitz. Warum ist die Aufarbeitung so schwierig?

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Symbolbild Raubkunst (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Ossinger

Der Dresdner Kunstsammler Helmuth Meissner wird im Jahr 1982 in einem Brief aufgefordert, Steuern nachzuzahlen. Der Betrag beziffert sich auf eine Millionensumme. Zufällig entspricht die Höhe der Nachzahlung dem Wert seiner privaten Kunstsammlung. Kurze Zeit später steht die Stasi vor der Tür, um die wertvollen Gemälde altniederländischer Meister, antike Möbel sowie seltenes Meissner Porzellan zu beschlagnahmen. Die Kunstwerke des Privatsammlers verschwinden in geheimen Depots der ostdeutschen Kunst- und Antiquitäten GmbH und werden von dort aus über Strohmänner gegen Devisen in den Westen verkauft. Vor allem die Schweiz soll eine wichtige Drehscheibe im Antiquitätenhandel der DDR gewesen sein. Kunstsammler Meissner landet in der Psychiatrie.

Über 200 "kalte Enteignungen" in der DDR

Die Stasi enteignete willkürlich private Kunstsammler wie Helmuth Meissner - nicht anders als die Nazis es bei den Juden taten. Nicht einmal dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wiederholte sich die Geschichte mit anderen Vorzeichen in der DDR. Die Plünderungen fanden heimlich statt - oder es wurden fadenscheinige Gründe vorgeschoben: geplante Republikflucht, Ausreise oder Steuerstrafverfahren lauteten die Unterstellungen.

Das Geschäft mit der Kunst brachte dem DDR-Regime unter der Regentschaft von Erich Honecker in den siebziger und achtziger Jahren rund 30 Millionen Deutsche Mark jährlich ein. "In der rund vierzigjährigen Geschichte der DDR gab es über zweihundert Fälle so genannter kalter Enteignungen", erklärt der Berliner Rechtsanwalt Ulf Bischof. Der Berliner Rechtsanwalt hat als bislang einziger den DDR-Kunstexport wissenschaftlich untersucht und vertritt mehrere Erben, die heute ihre Eigentumsrechte an widerrechtlich entwendeten Werken geltend machen. Doch das ist - ähnlich wie im Fall Gurlitt - kompliziert: Die Frist ist längst verjährt, die Werke sind verschollen oder befinden sich in Privatbesitz und kommen, wenn überhaupt, nur per Zufall wieder ans Tageslicht. Und dann sind die Erben der einstigen DDR-Kunstsammler vom Goodwill und der Großzügigkeit der heutigen Besitzer abhängig.

D-Mark-Scheine (Foto: Fotolia)
Wichtig für die DDR: DevisenBild: Fotolia/Sascha F.

Abnehmer der Gemälde und Schätze aus Porzellan waren renommierte Auktionshäuser und Galeristen in der Bundesrepublik, den Niederlanden, England sowie der Schweiz. Woher die Kunstwerke kamen, wollte offenbar niemand so genau wissen. "Die Frage muss sich eigentlich aufgedrängt haben, sobald Käufer bei der Abholung durch die riesigen Geheimlager mit Hunderten von Gemälden geführt wurden. Doch die Antwort war ihnen vermutlich klar und so fragte wohl lieber niemand", beschreibt Ulf Bischof das Szenario von damals.

Kampf um die Rückgabe der "vier Kastanien"

Einer von Bischofs Klienten ist Helmuth Meissners Sohn, der seit Jahren das Stillleben mit vier Kastanien von Adriaen Coorte zurückfordert. Das Ölgemälde des niederländischen Barockmalers aus dem Jahr 1705 ist aus der DDR über die Niederlande und die Schweiz in den Besitz einer New Yorker Familie gelangt. Sie weigert sich, das Bild herauszugeben, da sie es 1989 "gutgläubig" von einem Zürcher Galeristen gekauft habe.

'Vier Kastanien' von Adriaen Coorte (Foto: Sammlung Henry H. Weldon)
Stilleben: "Vier Kastanien" von Adriaen CoorteBild: Sammlung Henry H. Weldon

25 Jahre nach dem Mauerfall steht die Provenienzforschung der DDR-Raubkunst noch ganz am Anfang. "Aber auch diese Geschichte muss wie die NS-Raubkunst aufgearbeitet werden", fordert Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. Man dürfe das nicht noch einmal falsch machen, sagt sie.

Wer kann die DDR-Raubkunst aufarbeiten?

"Bei der DDR-Raubkunst haben wir im Unterschied zu den Opfern der NS-Raubkunst noch die Möglichkeit mit Zeitzeugen zu sprechen", sagt Pfeiffer-Poensgen im Gespräch mit der Deutschen Welle. Außerdem sei noch ein Großteil der Unterlagen in den verschiedenen Archiven vorhanden. Ein paar Fälle konnten so auch schon geklärt werden. Der Sohn Helmuth Meissners hat zum Beispiel einige Kunstwerke aus deutschen Museen zurückbekommen. Doch derzeit liegt der Fokus der Recherche in den öffentlichen Institutionen vor allem auf der NS-Raubkunst.

Seit dem Fall Gurlitt hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Gelder für die Provenienzforschung von zwei auf sechs Millionen Euro verdreifacht und ein "Deutsches Zentrum Kulturgutverluste" eingerichtet. Die im Januar 2015 neu gegründete Stiftung soll neben der NS-Raubkunst auch dieDDR-Raubkunst aufarbeiten.

Pfeiffer-Poensgen verschafft sich derzeit mit ihrem Haus einen Überblick über die "kalten Enteignungen" in der ehemaligen DDR - ein Bericht zu den Recherchen soll noch im Sommer dieses Jahres vorliegen. "Wir müssen herausfinden, welche weiteren Untersuchungen notwendig sind, wer das am Besten leisten kann und wie sich das finanzieren lässt", so die Generalsekretärin. Vor allem die Frage, wer die Recherchen leisten kann, ist schwierig zu beantworten, denn in ganz Deutschland gibt es nur wenige erfahrene Provenienzforscher und im Moment auch nur einen Juristen, der sich intensiv mit Kunstraub in der DDR beschäftigt hat.

Isabel Pfeiffer-Poensgen (Foto: dpa)
Isabel Pfeiffer-PoensgenBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick