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Am anderen Ende der Welt

Mirjam Gehrke28. November 2002

150 Jahre ist es her, seit die chilenische Regierung die ersten Deutschen "anwarb" und ihnen Zuflucht und Perspektive bot. Seitdem ist das Land immer wieder Ziel deutscher Auswanderer. Aus unterschiedlichsten Motiven.

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Deutsche und chilenische Trachten kommen auch heute noch "zum Tragen"Bild: DW

"Wir werden ehrliche und fleißige Chilenen sein." Mit diesem Bekenntnis zur neuen Heimat gingen 1852 Hunderte deutscher Familien nach viermonatiger Schiffspassage in Chile an Land. Sie waren dem Ruf der chilenischen Regierung gefolgt und sollten den Süden des über 4000 Kilometer langen Landes besiedeln. Chile war damals eine noch junge Republik, die Unabhängigkeit von Spanien lag keine 40 Jahre zurück.

"Arbeite hart und nähre dich redlich"

Der chilenischen Regierung galten die Deutschen als die idealen Einwanderer - eilte ihnen doch der Ruf voraus, arbeitssam und fleißig zu sein. Eigens von der chilenischen Regierung berufene Einwanderungsbeauftragte reisten nach Deutschland, um hier gezielt Fachleute anzuwerben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden ca. 20.000 deutsche Auswanderer in Chile eine neue Heimat. Deutschland bot ihnen keine Perspektive: Die Revolution von 1848 war gescheitert, die Menschen hungerten nach den Missernten der Jahre 1846/47. Die industrielle Revolution hatte das Handwerk in Europa in eine tiefe existenzielle Krise gestürzt.

Neuanfang mit Staates Hilfe

Der Staat übereignete den deutschen Einwanderern Land und gewährte den Siedlern ein hohes Maß an kultureller und religiöser Autonomie. Deutsche Schulen und Kirchen entstanden, bald entwickelte sich auch eine lebendige Vereinskultur. Wirtschaftlich gelangten die Einwanderer schnell zu Wohlstand. Ein Beispiel: Der Pharmazeut und ehemalige preußische Landtagsabgeordnete Karl Anwandter aus Calau bei Berlin gründete in Valdivia zunächst eine Apotheke und legte später mit seiner Brauerei den Grundstein für diese Branche im Süden Chiles. Obendrein ist ein großer Teil des Grundbesitzes im ertragreichen Süden bis heute in deutscher Hand.

Die "Braunen" von Chile

Das Land am anderen Ende der Welt war durch den Bau des Panamakanals ab 1914 wesentlich schneller und ungefährlicher zu erreichen als auf dem riskanten Weg um Kap Horn. Während des Dritten Reiches entwickelte sich die deutsche Minderheit in Südchile zu einem "Außenposten" der Nazis. Das braune Gedankengut wurde mitunter nur allzu bereitwillig aufgenommen. Das hohe Maß an Autonomie - oder anders herum: der geringe Grad an Integration in die chilenische Gesellschaft - bereitete der völkischen Ideologie den Boden. Das Paradoxe ist: Zur gleichen Zeit war Chile auch Zufluchtsort für deutsche Juden, die dem Holocaust entkommen konnten. Nach 1945 dann, als viele ehemalige Nazis Deutschland verließen, um anderswo unbehelligt einen Neuanfang zu versuchen, war auch Chile wieder ein Ziel.

Letzte Heimat der Honeckers

Der letzte "prominente Auswanderer", der in Chile Zuflucht suchte, war der ehemalige Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker. Ihm war 1993 die Ausreise aus der DDR nach Chile gewährt worden. Zuvor hatte sich Honecker mit seiner Frau Margot in Moskau in die chilenische Botschaft geflüchtet, um sich dem Zugriff der bundesdeutschen Justiz zu entziehen. Doch Boris Jelzin lieferte Honecker an Deutschland aus. Seine Frau flog direkt von Moskau nach Santiago de Chile zu ihrer Tochter Sonja. Diese hatte schon zu DDR-Zeiten einen Chilenen geheiratet und war nach Chile ausgewandert. Margot Honecker wohnt noch heute zurückgezogen in Santiago.