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Politik

Alle streiten, nur die Grünen nicht

29. Februar 2020

Die großen alten deutschen Parteien CDU und SPD sind schwer in der Krise. Die frühere Chaos-Partei der Grünen ist einig wie nie. Warum?

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Deutschland Berlin | Bundesvorstandssitzung der Grünen | Annalena Baerbock & Robert Habeck, Vorsitzende
Haben gut lachen: Die Grünen-Vorsitzenden Baerbock (links) und HabeckBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Sonntag vergangener Woche: Es ist Wahlabend in Hamburg, gerade sind die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme gelaufen. Die SPD hat die Wahl gewonnen, mit rund 39 Prozent der Stimmen, ein ungewohntes Gefühl für die leidgeprüften Sozialdemokraten. Auf Platz zwei liegen die Grünen, mit rund 24 Prozent. Sie haben ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Wahl vor fünf Jahren nahezu verdoppelt, wieder ein großer Sieg für die Umweltschutzpartei.

Robert Habeck, einer von zwei Parteichefs, sagt diesen Satz in die Kameras: "Es wird unsere Aufgabe sein, und etwas an dem wir wachsen und für das wir arbeiten, einem Land Orientierung und Vertrauen zu geben." Worte, die auch von einem Regierungschef oder Bundespräsidenten  stammen könnten. So haben sie sich verändert, die Grünen, die frühere Chaos-Partei. Am Tag darauf, dem Montag, wird die Co-Vorsitzende, Annalena Baebock, den Gedanken weiterspinnen und sagen, die Menschen erwarteten von der Politik, "zentrale Probleme nicht nur aufzugreifen, sondern wirklich Lösungen anzubieten, auch, wenn man dabei neue Wege aufzeigen muss, die man bisher vielleicht selber noch nie gegangen ist." Klingt schon ein bisschen nach einer Regierungspartei. Auch bei Anton Hofreiter, dem Fraktionschef im Bundestag. Er sagte der DW: "Es liegt eine ganz entscheidende Zeit vor uns. Es geht um die Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, um den Erhalt demokratischer Werte und um ein gefestigtes gemeinsames Europa. Die Stärke der Grünen in dieser Zeit ist unsere Geschlossenheit."

Infografik - DeutschlandTrend: Sonntagsfrage - DE
Seit Monaten liegen die Grünen stabil über 20 Prozent: Der ARD-Deutschlandtrend von Anfang Februar.

Eigentlich sind alle im Bundestag vertretenen Parteien gerade mehr oder weniger in der Krise, von den Rechts-Populisten der "Alternative für Deutschland" (AfD) vielleicht abgesehen. Und von den Grünen. Die CDU: Die Parteivorsitzende ist frustriert zurückgetreten. Die SPD: in bundesweiten Umfragen nur noch bei 13 oder 14 Prozent. Die FDP: Schwer angeschlagen nach dem Debakel von Thüringen, wo ein liberaler Ministerpräsident mit den Stimmen von CDU und AfD gewählt wurde. Die Grünen aber wirken stabil, sie streiten nicht mehr in der Öffentlichkeit wie viele Jahre lang. In nur drei Jahren ist die Zahl der Parteimitglieder von 65.000 auf fast 100.000 gestiegen. In bundesweiten Umfragen belegen die Grünen seit Monaten stabil Platz zwei hinter der CDU, mit Werten zwischen 20 und 24 Prozent.

"Wir müssen jetzt etwas tun!"

Franziska Brantner, 40 Jahre alt, ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und lebt in Berlin und Heidelberg. Sie erklärt im Gespräch mit der DW, warum ihre Partei derzeit so gut dasteht: "Das hat dann doch auch mit der derzeitigen Führung zu tun. Alle fühlen sich gut aufgehoben bei Robert Habeck und Annalena Baerbock." Tatsächlich ist das Duo an der Spitze, seit Anfang 2018 im Amt, auf dem letzten Parteitag in Bielefeld mir riesigen Mehrheiten im Amt bestätigt worden, Baerbock gar mit 99 Prozent der Stimmen. Beide Vorsitzenden vermeiden jeden Streit in der Öffentlichkeit, was bei der traditionellen Doppelspitze der Grünen in der Vergangenheit längst nicht immer der Fall war.

Anton Hofreiter
Anton Hofreiter. "Es liegt eine entscheidende Zeit vor uns."Bild: Getty Images/A. Berry

Inhaltlich spielt für Brantner auch eine Rolle, welch große Bedeutung das Kernthema der Grünen, der Klimaschutz, in der Partei selbst und in der Öffentlichkeit längst erreicht hat. Dass die Grünen nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 nach der Macht greifen sollten, ist in der Partei deshalb nicht mehr umstritten. Brantner schildert die Stimmung in vielen internen Debattenrunden zum Klimaschutz so: "Wir müssen jetzt etwas tun. Das ist ein wichtiges Argument."

Viele Veteranen kehren zurück

Bezeichnend ist ihre Schilderung, wie in ihrer Heimat, in Heidelberg, die Feiern zum 40-jährigen Bestehen der Grünen zu Jahresbeginn verliefen. Sehr viele Veteranen aus früheren Zeiten seien gekommen, auch solche, die die Partei in den langen Jahren im Streit etwa um die Kriegs-Beteiligung auf dem Balkan Ende der Neunziger Jahre verlassen hätten. Jetzt seien viele wieder bereit, einzutreten. Die Reihen schließen sich. Keine Angst haben die Grünen nach Brantners Ansicht auch davor, in einer immer polarisierteren Gesellschaft als mögliche Regierungspartei aufgerieben zu werden: "Da kann man doch den Dialog erst richtig organisieren. Nach dem Motto: Wir verlassen den Raum erst, wenn wir uns wirklich geeinigt haben."

Deutschland Franziska Brantner
Franziska Brantner: "Beim Klimaschutz müssen wir jetzt etwas tun!"Bild: picture alliance/dpa/S Stache

Bei so emsigen Streben nach der Macht machen viele Beobachter den Grünen den Vorwurf, allzu beliebig zu sein und Konflikte zu vermeiden. Tatsächlich gab es etwa innerparteilichen Streit um die Frage, ob homöopathische Leistungen von der Krankenkasse bezahlt werden sollten. Eine geplante Kommission sagte Parteichef Habeck kurzerhand ab, als der Streit zu heftig wurde. Jetzt soll der Konflikt im Parteivorstand gelöst werden.

Die Frage der Kanzlerkandidatur

Keinen Streit wollen die Grünen auch aufkommen lassen um die Frage, wer den die Partei als möglicher Kanzlerkandidatin oder Kandidat in den Bundestagswahlkampf führen soll. Baerbock und Habeck weichen der Frage regelmäßig aus. Für Brantner ist das verständlich: "Es ist absolut richtig, dass jetzt noch nicht zu entscheiden."

Abwarten sollten die Grünen auch, ob ihr Höhenflug in vielen Umfragen und auch bei den Wahlen wirklich anhält. Die Europawahl im vergangenen Mai war mit 20,5 Prozent der Stimmen ein großer Erfolgt, die drei Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern danach eher eine Ernüchterung. In Hamburg, bedeuteten die rund 24 Prozent das zweitbeste Ergebnis für die Grünen bei einer Landtagswahl überhaupt. In Großstädten sind die Grünen immer stark, auf dem Land und vor allem im Osten gibt es noch Nachholbedarf.