Alexander Zverev - Sieg über die Zweifler
1. Juni 2022
Am Ende des Matches konnte Alexander Zverev seine Emotionen nicht mehr unterdrücken. Drei laute Schreie standen für den Mix aus Freude, Genugtuung und Erleichterung beim 25-jährigen Hamburger, der soeben seinen Matchball gegen das spanische Tennis-Wunderkind Carlos Alcaraz verwandelt hatte. Selbst nach spektakulären Punktgewinnen hatte er sich bis dahin emotionale Ausbrüche verkniffen, wirkte fokussiert wie selten. Ein starker Wandel von jenem Zverev, der sich bis dahin des Öfteren durch eigene mentale Schwächen aus der Bahn werfen lies.
Nicht viele hatten dem Deutschen diesen Sieg zugetraut. Alcaraz galt bei den French Open schließlich als (Geheim-) Favorit. Der 19-jährige Spanier hatte zuvor 14 Spiele in Serie und vor dem Grand-Slam-Turnier in Barcelona und Madrid gewonnen. Entsprechend hoch bewertete Zverev seinen Sieg: "Ich habe den aktuell besten Spieler der Welt geschlagen," sagte er nach dem Spiel. "Im Ranking von der Spielqualität her steht dieser Sieg wahrscheinlich an Nummer eins."
Für Zverev war es der erste Erfolg gegen einen Top-Ten-Spieler bei einem der vier Grand-Slam-Turniere. Überhaupt scheint der Hamburger aktuell wieder auf seinem absoluten Topniveau angekommen zu sein. Das ist umso erstaunlicher, nachdem das erste Halbjahr 2022 für ihn alles andere als reibungslos verlief.
Fehlstart ins Jahr 2022
Der vorläufige Tiefpunkt des Jahres ereignete sich im Februar beim ATP-Turnier in Acapulco, als der Deutsche nach einem Wutausbruch im Anschluss an seine Niederlage im Doppel auch für die Einzelkonkurrenz disqualifiziert wurde. Der Olympiasieger hatte nach dem Match mehrfach mit seinem Schläger gegen den Schiedsrichterstuhl geschlagen, auf dem der Unparteiische noch saß. Die ATP verurteilte Zverev damals zu 25.000 Dollar Geldstrafe und einer achtwöchigen Sperre - beides greift allerdings nur, sollte er innerhalb eines Jahres erneut ausfällig werden.
Zuvor hatte sich der 25-jährige deutlich um eine bessere Außendarstellung bemüht. Eigentlich schienen die Zeiten, in denen die Nummer drei der Welt regelmäßig seine Schläger zertrümmerte oder seinen Anhang in der Coaching-Box anschrie, vorbei.
Nach dem Mach entschuldigte sich Zverev zwar für sein Verhalten: "Es ist schwer in Worte zu fassen, wie sehr ich mein Verhalten während und nach dem gestrigen Doppel bereue," schrieb er bei Instagram. "Ich habe mich privat beim Stuhlschiedsrichter entschuldigt, weil mein Ausbruch ihm gegenüber falsch und inakzeptabel war, und bin nur von mir selbst enttäuscht." Doch das Image der deutschen Nummer eins hatte durch den Vorfall wieder deutliche Kratzer bekommen. Es laufen immer noch Ermittlungen der ATP gegen ihn wegen bisher unbewiesener Gewalt-Vorwürfe seiner Ex-Freundin Olga Scharypowa. Zverev hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Grand-Slam-Titel "albern"
Sportlich reihte sich sein Ausraster in Acapulco nahtlos in seinen Fehlstart ins Jahr 2022 ein. eigentlich wollte der der 24-Jährige eigentlich an sein höchst erfolgreiches zweites Halbjahr 2021 mit dem Triumph bei den Olympischen Spielen in Tokio und den ATP Finals in Turin anknüpfen. Doch es lief ganz anders als gehofft. Bei den Australian Open in Januar war bereits im Achtelfinale Schluss. Glatt in drei Sätzen schied der Hamburger gegen Denis Shapovalov aus Kanada aus und sagte im Anschluss: "Im Moment ist es albern, über einen Grand-Slam-Titel zu reden. Aktuell bin ich sehr weit davon entfernt."
Auch zwei Wochen nach dem Vorfall in Acapulco fand Zverev nicht in die Erfolgsspur zurück. Nach der Niederlage gegen Tommy Paul in Indian Wells im März wirkte Zverev gar ratlos. "Ich habe keine Antworten gerade," sagte er. "Ich muss jetzt sehen, wie ich diese Saison umdrehen kann, denn momentan läuft alles in die falsche Richtung."
Doch spätestens mit dem Halbfinaleinzug bei den French Open scheint Zverev endgültig die Kurve bekommen zu haben. Zuvor hatte er sich bereits bei den Turnieren in Madrid und Rom deutlich verbessert präsentiert und scheint nun an diese Leistungen anknüpfen zu können. Von den starken Auftritten auf dem Platz abgesehen, wirkt der deutsche Tennisstar nun auch mental stärker als je zuvor.
Zverev: "Hatte viel zu kämpfen"
Erstaunlich offen äußerte sich Zverev am Rande von Roland Garros über psychische Probleme, die ihn dieses Jahr begleiteten. Auf die Frage, wie er mit dem mentalen Druck des Sports, auch abseits des Platzes, umgegangen sei, sagte er gegenüber Reportern: "Ich denke, einige Spieler sprechen öfter und offener darüber, ich mache das nicht gerne. Aber ich hatte dieses Jahr viel zu kämpfen und war manchmal auch ziemlich deprimiert."
Diese Phase scheint nun überwunden. Seit März wird Zverev vom früheren Weltklasse-Spieler Sergi Bruguera aus Spanien trainiert - eine Zusammenarbeit, die von Anfang an gut funktionierte. "Ich brauche einen Coach, ich brauche Führung und jemanden, der darauf schaut, was auf dem Tennisplatz passiert," sagte Zverev. "Ich denke, dass Sergi einer der besten Jungs dafür ist." Bisher scheint sich der Optimismus des Deutschen zu bestätigen. Auch die Unruhe abseits des Platzes nahm während der letzten Monate ab. Zverev präsentierte sich insgesamt reifer und bodenständiger und gewann wieder deutlich an Popularität.
Jetzt fehlt nur noch der Gewinn eines Grand Slams, um dem Aufschwung die Krone aufzusetzen. Zwei Spiele muss Zverev noch gewinnen, um sich den Traum vom ersten Grand-Slam-Titel (endlich) zu erfüllen. Für den Einzug ins Finale muss er nun allerdings mit einem Sieg gegen den "König von Paris" nachlegen. Im Halbfinale wartet niemand anderes als der 13-malige Turniersieger Rafael Nadal.