Alain Delon: Der eiskalte Engel ist tot
18. August 2024Wenn die Geschichte des Kinos auf ein paar Momente zusammengeschrumpft werden müsste, was bliebe dann? Charlie Chaplins Tramp, James Deans Coolness, der hochgewirbelte Rock der Marilyn Monroe, Hitchcocks Duschszene, ein paar andere Sequenzen mehr. Unbedingt zu diesen ganz großen Szenen der Kino-Historie würde auch der Auftritt Alain Delons in dem Film "Der eiskalte Engel" aus dem Jahre 1967 gehören.
Die bewegungslose Mimik, der eiskalte, starre Blick, das akkurate Äußere, das verschlossen-arrogante Auftreten - als Auftragskiller Jeff Costello dürfte Delon keinem Zuschauer mehr aus dem Gedächtnis gehen. Jean-Pierre Melvilles Regie-Meisterstück "Der eiskalte Engel" verdichtete das schon zuvor vorhandene Charisma des Franzosen noch einmal um ein Vielfaches.
Alain Delon: von überirdischer Schönheit und Eleganz
Der am 8. November 1935 in der Nähe von Paris geborene Delon war 1967 bereits eine bekannte Größe im europäischen Film. Doch nicht mit Auftritten bei den damals so revolutionären Regisseuren der Nouvelle Vague, François Truffaut oder Jean-Luc Godard, hatte Delon auf sich aufmerksam gemacht. Den jungen Wilden um Truffaut und Godard, die zu Beginn der 1960er Jahre das europäische Kino mit Furor und Leidenschaft umkrempelten, erschien der junge, smarte Darsteller möglicherweise zu unnahbar und vielleicht auch ein wenig zu überirdisch schön.
Delon gehörte zweifellos zu den bestaussehenden Schauspielern seiner Generation, seine Anziehung beschränkte sich nicht nur auf Frauen. Der große italienische Regisseur Luchino Visconti setzte ihn früh ein in zwei Filmen, die Kinogeschichte schrieben: "Rocco und seine Brüder" (1960) und drei Jahre später im Epos "Der Leopard". Viscontis Landsmann Michelangelo Antonioni ließ Delon an der Seite von Monica Vitti in "Liebe 1962" ebenfalls glänzen, als leicht verträumten Börsenmakler.
Der erotischste Killer der Filmgeschichte
Dann war es vor allem der Regisseur Jean-Pierre Melville, der Delon zu dem machte, was er heute noch in den Augen vieler Kinofans ist: der charismatischste und erotischste Killer der Filmgeschichte. Nach seinem Auftritt in "Der eiskalte Engel" sah man Delon noch in Melvilles "Vier im roten Kreis" (1970) und in "Der Chef" (1972). Alles, was danach folgte, war nur noch Zugabe.
Natürlich wären viele Schauspieler dankbar für eine Filmografie, wie sie Alain Delon in den 70er und 80er Jahre noch vorweisen konnte - doch verglichen mit dem, was er in den 60er Jahren spielte, wirkt das Spätwerk ein wenig müde und ausgelaugt. Zur goldenen Dekade des Alain Delon zählen auch noch Filme wie "Der Swimmingpool" (1969) an der Seite von Romy Schneider, mit jenen legendären Szenen, in denen sich beide nackt am Pool räkeln, das eindrucksvolle Polit-Drama "Die Hölle von Algier" (1965) und die Patricia-Highsmith-Verfilmung "Nur die Sonne war Zeuge" (1960).
Als Gangster und Bulle auf den Leinwänden
Später dann hat sich Delon auf viele routinierte Auftritte in mehr oder weniger gelungenen Gangster-Filmen konzentriert, die Titel wie "Flic-Story", "Killer stellen sich nicht vor" oder "Der Panther" trugen. In diesen Jahren war Delon - neben Jean-Paul Belmondo und Michel Piccoli - der unumstritten größte Star des französischen Kinos.
Ein paar wenige Engagements für große Künstler auf dem Regiestuhl hatte er nach den goldenen 1960er Jahren aber immerhin auch noch: 1976 spielte er in Joseph Loseys "Monsieur Klein" den elsässischen Kunsthändler Robert Klein in dem von deutschen Truppen besetzten Paris. 1984 verpflichtete ihn der Deutsche Volker Schlöndorff für seine Marcel-Proust-Verfilmung "Eine Liebe von Swann".
1990 machte er dann doch noch einmal in einem komplexen Kunstfilm des früheren Nouvelle-Vague-Regisseurs Jean-Luc Godard auf sich aufmerksam, der bezeichnenderweise schlicht "Nouvelle Vague" hieß. So, als ob er noch einmal mit aller Macht demonstrieren wollte, dass er auch Kunst kann - und nicht nur Kommerz.
Stippvisite in Hollywood
Doch Delon spielte da schon lange in seiner ganz eigenen Liga, die unabhängig von all den künstlerischen und kommerziellen Entwicklungen des französischen Films existierte. Hollywood hatte ihn wohl auch nicht dauerhaft reizen können. Der Auftritt 1973 in Michael Winners US-Produktion "Scorpio, der Killer" blieb eine der wenigen Ausnahmen im französisch geprägten Werk des Mimen. Das Zeug zum Hollywood-Star hätte Alain Delon ohne Zweifel gehabt.
Hollywoodreif waren viele seiner privaten Auftritte: seine Affären und Ehen, seine öffentlichen Kapriolen. Angefangen von der in allen Medien breitgetretenen Beziehung zu Romy Schneider über die Beziehung zu seiner späteren Frau Nathalie, der Schauspielerin Mireille Darc, bis hin zur Ehe mit dem niederländischen Fotomodell Rosalie van Breemen - für Gesprächsstoff war immer gesorgt.
Gerüchte um seine Verbindungen zur Unterwelt
Der Mord an seinem jugoslawischen Leibwächter, dem man nachsagte, er habe ein Verhältnis zu seiner damaligen Frau Nathalie gehabt, erschütterte 1968 die französische Öffentlichkeit. Die Vorwürfe gegen Delon in diesem Zusammenhang wurden erst Jahre später fallengelassen. Doch seither umschwirrten den Schauspieler die wildesten Gerüchte - er pflege enge Beziehungen zur Unterwelt, habe Verbindungen zur Mafia.
Diesen Ruf, ein unnahbarer Einzelgänger zu sein mit zwielichtigen Freunden, festigte Delon später auch mit seiner öffentlich gemachten Freundschaft zum Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen. Die Nähe zum "Front National" bedeutete für Alain Delon nichts Ehrenrühriges. Er stand zu ihr. Und seiner Karriere hat sie letztendlich auch nicht geschadet.
Vergessen ist sie allerdings nicht. Als Cannes-Direktor Thierry Frémaux zu Beginn des Festivals 2019 - Delon sollte die Ehren-Palme bekommen - gefragt wurde, warum man Delon einen solchen Preis verleihe, einem Mann, der zugegeben habe, früher seine Frau geschlagen zu haben, reagierte Frémaux patzig: "Wir geben ihm ja nicht den Friedensnobelpreis", lautete die Antwort.
Öffentlich ausgetragener Familienstreit und Waffenfund
In den vergangenen Jahren ist Alain Delon kaum noch vor die Kameras getreten. 2008 hatte er einen seiner wenigen komödiantischen Auftritte, als er die Zuschauer als Julius Cäsar in der Comic-Verfilmung "Asterix bei den Olympischen Spielen" zum Lachen brachte. Im Juni 2019 erlitt er einen Schlaganfall, der eine langwierige Rekonvaleszenz nach sich zog. Im Februar 2024 fand die französische Polizei bei einer Hausdurchsuchung bei Alain Delon Waffen, darunter auch solche, die als Kriegsgerät eingestuft wurden, sowie etwa 3000 Schuss Munition, obwohl Delon keinen Waffenschein besaß und als Waffennarr galt.
Zuletzt hatte auch ein öffentlich ausgetragener Familienstreit über Delons Gesundheitszustand für Schlagzeilen gesorgt. Seine Kinder überzogen sich in den Medien mit Vorwürfen und Klage-Androhungen. Jetzt ist Alain Delon im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in Douchy südlich von Paris gestorben. Bei seinen Fans wird er vor allem mit seinen Rollen aus den 1960er-Jahren in Erinnerung bleiben. Da schien er direkt aus dem Olymp des Kinos hinabgestiegen zu sein: engelsgleich, aber mit Pistole im Anschlag - ein eiskalter Engel eben.