Al Jazeera in Sarajewo
24. September 2010Dass der arabische Medienriese aus Qatar den privaten Rundfunksender NTV 99 in der bosnischen Hauptstadt kaufte und damit langfristig die gesamte Region mit Radio und Fernsehprogrammen versorgen will, löst in Bosnien Ängste aus.
Kontrovers seien die Reaktionen auch vor Beginn des Bosnien-Kriegs gewesen, als Sarajewo regionaler Sitz des europäischen Fernsehsenders "Euronews" werden sollte, erinnert sich Boric Kontic, Leiter des journalistischen Aus- und Fortbildungszentrums in Sarajewo. Die Menschen fühlten sich beobachtet, wenn ein so großes, internationales Medienunternehmen auf den eigenen Markt komme. "Sie fürchten nun nicht gerade einen neuen Krieg, aber schon politische Umbrüche. Ich glaube aber, dass es sich um den Expansionswunsch eines großen Senders handelt", sagt Kontic.
Ernsthafte Konkurrenz
"Die Entscheidung von Al Jazeera ist interessant, weil Bosnien-Herzegowina keinen starken Werbemarkt hat. Zumindest kurzfristig kann der finanzielle Aspekt deshalb nicht der Grund für die Niederlassung in Bosnien sein", meint die Generalsekretärin des bosnisch-herzegowinischen Journalistenverbandes, Borka Rudic. Als positiv bewertet sie, dass Al Jazeera qualitativ hochwertige Nachrichten produziert und somit die Medienlandschaft auf den Balkan beeinflussen wird. Mit den Nachrichten in Bosnisch und anderen südosteuropäischen Sprachen würde der Sender zudem eine ernsthafte Konkurrenz für regionale und große Fernsehsender sein. Dass solch ein überregionaler Sender helfen kann, die kleinstaatlichen Interessen im ehemaligen Jugoslawien zu überwinden, sei ein weiterer positiver Aspekt.
"Kein Einfluss aus dem Osten"
Borka Rudic glaubt, dass Al Jazeera die öffentliche Meinungsbildung in Bosnien beeinflussen wird. Eine Stärkung radikal-islamischer Kräfte fürchtet sie indes nicht. "Ich glaube nicht, dass mit dem Kommen von Al Jazeera gleich auch der Einfluss aus dem Osten zunimmt, und auch nicht, dass dies das Motiv für Al Jazeera war, sich in Sarajewo niederzulassen". Die Generalsekretärin des bosnisch-herzegowinischen Journalistenverbandes weist zudem noch darauf hin, dass Al Jazeera der zweite ausländische Sender in Bosnien-Herzegowina ist. Sie erinnert daran, dass vor Jahren der serbische Privatsender Pink nach Bosnien kam und ebenfalls skeptisch verfolgt wurde. "Es wurde eine Einflussnahme der Milosevic-Politik befürchtet, eine insgesamt negative Politik gegenüber Bosnien-Herzegowina. Doch dies ist nicht eingetroffen". Nach Angaben des Katasteramts will Al Jazeera bis Jahresende in seine Niederlassung auf dem Balkan etwa elf Millionen Euro investieren. Stellenausschreibungen laufen bereits in Bosnien, Serbien und Kroatien.
Autoren: Samir Huseinovic / Mirjana Dikic
Redaktion: Gero Rueter