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Aktivist mit Trauma

Jan Bruck3. Juli 2012

Hacker sollen harte Kerle sein, immerhin kämpfen sie im virtuellen Untergrund. Schwäche zu zeigen war in der Szene bisher tabu. Der Netzaktivist Stephan Urbach hat das Tabu gebrochen. Uns hat er erzählt, warum.

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Stephan Urbach (Foto: Ole Reißmann-cc-by-sa-nc)
Stephan UrbachBild: Ole Reißmann/cc-by-sa-nc

DW: Herr Urbach, Sie bezeichnen sich als Netzaktivist. Wie sieht der Arbeitsalltag eines Online-Kämpfers denn so aus?

Stephan Urbach: Man ist im Internet (lacht). Man unterhält sich mit Leuten, macht Kampagnen, programmiert Software, richtet Server für Leute an anderen Orten ein, die vielleicht nicht die Möglichkeit dazu haben. Ein Netzaktivist macht auch Politik und Lobbyarbeit, also da kommt schon sehr viel zusammen.

Als Mitglied der Netzaktivisten-Gruppe Telecomix haben Sie Oppositionelle in Ägypten und Syrien unterstützt. Wie sind Sie mit ihnen in Kontakt getreten?

Ich sage mal so, man kennt uns. Die Leute finden uns, wenn sie wollen, dazu gibt es bestimmte Chaträume.

Und wie sah die Unterstützung genau aus?

Genau kann ich Ihnen das nicht sagen, denn das würde Probleme nach sich ziehen. Bei Ägypten war es recht einfach, da haben wir alternative Infrastrukturen zur Verfügung gestellt, mit denen man sich ins Internet einwählen kann. Das Mubarak-Regime hatte das Netz abgeschaltet. Doch es gab ja immer noch ein funktionierendes Telefonnetz.

In Syrien ist es die Hauptaufgabe, Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, mit der man an der Netzüberwachung vorbei ins Internet gehen kann. Man kann sich das als eine Art virtuellen Tunnel vorstellen, den wir gegraben haben, durch den man sich unüberwacht im Internet bewegen kann.

Wie viel Zeit haben Sie in diese Arbeit investiert?

Bis zu 15 Stunden am Tag. Die Belastung war enorm, es war einfach alles zu viel.

Zum zeitlichen Stress kamen auch andere emotionale Belastungen hinzu. Wie sahen die aus?

Sie müssen sich vorstellen, Sie sitzen am Rechner und haben Menschen in Syrien, die in Homs leben oder in Damaskus. Da weiß man nicht, ob sie am nächsten Tag noch am Leben sein werden. Diese Menschen berichten dann von lebensgefährlichen Situationen, weil sie sonst niemanden haben, dem sie es erzählen könnten. Später kamen dann Bilder von Ermordungen einiger Aktivisten vor Ort, die wir dann veröffentlicht haben.

Sie kannten die Aktivisten, die in Syrien ums Leben gekommen sind, ja nicht persönlich. Warum haben diese Bilder Sie trotzdem so extrem belastet?

Dass ich sie nicht persönlich kannte, ist in meinen Augen schon eine falsche Aussage. Ich habe mich mit diesen Menschen unterhalten, das ist persönlich. Ob ich das mit jemandem online mache oder mit der Person im Café sitze, das ist völlig egal. Ich kann auch online enge Beziehungen zu Menschen aufbauen. Im Endeffekt sind da meine Freunde gestorben.

In Ihrem Blog haben Sie geschrieben: “Ich muss etwas gestehen. Etwas ziemlich Persönliches. Ich wollte sterben“. Wie kam es so weit?

Ich fühlte mich, als würde ich in einem Loch stecken und da nicht mehr herauskommen. Es war in dem Augenblick nicht ersichtlich, dass ich den Weg zurück in ein normales Leben finden würde.

Glauben Sie, dass Netzaktivisten anfälliger für Depressionen sind als andere Menschen?

Anfälliger würde ich nicht sagen. Aber ich denke, dass bei ihnen die Voraussetzungen eher gegeben sind. Was auch viel damit zu tun hat, wie wir in den letzten Jahren als Hacker und Netzaktivisten gearbeitet haben, nach welchen Maßstäben. Wir haben bei den Aktivisten nicht mehr Depressionen als woanders, bei uns ist es nur spannender, weil es auch viele wachrüttelt in der Szene. Aber im Endeffekt haben wir die gleichen Probleme wie jeder, der unter Leistungsdruck steht. Wir sind auch in der Aktivistenszene eine Art Leistungsgesellschaft. Wir machen unsere Menschen überall kaputt.

Liegt es an diesem Leistungsdruck, dass es in der Netzaktivistenszene so ein großes Echo auf ihr Eingeständnis gab? Passte Ihr Selbstmordgedanke einfach nicht ins Bild?

Ja, man sprach in der Szene nicht darüber. Und jetzt reden wir über solche Dinge und das ist neu und das ist gut. Aber darüber sollte nicht nur in der Szene gesprochen werden.

Warum war das ein Tabu?

Ich glaube, weil wir die harten Kerle sein sollen. Wir sprechen nicht über so was, das sind noch ganz alte Rollenbilder, die da vorherrschen oder vorherrschten. Es gibt diesen schönen Satz: "Beurteile den Menschen nicht danach, wer er ist, sondern was er tut" und dieses "tun" wurde immer mit "machen" gleichgesetzt, mit dem Abliefern von Ergebnissen. Aber das ändert sich langsam. Und das ist gut so.

Wie geht es Ihnen denn jetzt?

Mir geht es momentan sehr gut. Ich habe mich entschieden, dass ich gewisse Dinge einfach nicht mehr tue und gewisse Spielregeln nicht mehr einhalte - und bin auch bereit, dafür die Konsequenzen zu tragen.

Stephan Urbach lebt und arbeitet in Berlin. Er engagiert sich bei Telecomix, einer Vereinigung von Netzaktivisten und Hackern. Bekannt wurde Telecomix durch die Hilfe zur Umgehung von Netzzensur während des Arabischen Frühlings. Der gelernte Bankkaufmann verdient seinen Lebensunterhalt als Referent für Wissens- und Informationsmanagement der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus des Bundeslandes Berlin.