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Politik

Traurige Kinderaugen auf dem Spendenplakat

Sabrina Müller-Plotnikow
11. Dezember 2017

Große Kinderaugen, Frauen mit primitiven Werkzeugen, trockene Felder: In Spendenaufrufen bedienen sich Hilfsorganisationen der Klischees, die sie kritisieren. Vorsichtig beginnt ein Umdenken, das Kreativität erfordert.

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Spendendose UNICEF
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Schneeflocken haben sich in dem braun gelockten Haar eines jungen Mädchens verfangen, das nur im Pullover gekleidet schüchtern auf die Passanten blickt. Die hetzten durch die weihnachtlich geschmückten Einkaufsstraßen vorbei an dem Werbeplakat des Flüchtlingshilfswerks UNICEF. Niemand hält an, niemand hält bei dem Anblick inne.

Alle Jahre wieder sind sie da: die Spendenkampagnen für Afrika und andere Krisengebiete, die kaum ohne Kinderfotos auskommen. Wer kennt es nicht, das notleidende Kind aus Subsahara-Afrika, mit dem aufgeblähten Hungerbauch und dem kleinen, zerbrechlichen und abgemagerten Körper, das mit seinen großen traurigen Augen stumm, wahlweise von Prominenten und Stars auf dem Arm gehalten, in die Kamera schaut? Oder die lachenden Kinder, die sich freuen, dass ihnen durch Schulunterricht, Saatgut oder Nahrungsmittel geholfen wird. Dazu gehören die Bäuerinnen, die trockene Böden bearbeiten, und die Mütter, die ihre zarten Kinder auf dem Rücken tragen und schüchtern in die Kamera schauen.

Screenshot UNICEF Spendenaktion (Foto: unicef.de)
In Innenstädten und im Internet: Spendensammeln für Hunderttausende notleidender MenschenBild: unicef.de

Weihnachtszeit ist Spendenzeit

Hilfsorganisationen nutzen immer wieder die Afrika-Klischees, die sie eigentlich abschaffen wollen. Selbst die Kindernothilfe ist dieser Ikonografie verfallen - mit einem Unterschied: "Wir zeigen in unseren Kommunikationskampagnen Kinder, die auch Stärke mitbringen, die mutig sind und eine Persönlichkeit haben", sagt Angelika Böhling, Pressesprecherin des evangelischen Hilfswerks. Das Kinderhilfswerk hat sich zusammen mit weiteren NGOs vor einigen Jahren darauf verständigt, "dass wir nicht auf die Tränendrüse drücken wollen und dass wir nicht Kinder als Opfer darstellen", sagt sie im Interview mit der DW.

Nichtregierungsorganisation benötigen Spendengelder, um notleidenden Kindern und Menschen zu helfen oder sie auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu unterstützen. Dabei die Balance zu finden zwischen der Realität, in der die Menschen leben, und einem gewissen Maß an Emotionalität sei nicht einfach, sagt Böhling.

Kein differenziertes Bild von Afrika

Dabei tragen Werbevideos dazu bei, welches Bild von Krisengebieten in Afrika, Asien und Nahost sich in den Köpfen der Betrachter entwickelt. So wird Afrika zu einem Katastrophenkontinent, der von einer hilflosen und hoffnungslosen Bevölkerung bewohnt wird. Der europäische Betrachter, meistens weiß, soll zum Spendenzahler und Retter in der Not werden. Auf diese Art werden Identitäten gestiftet, unterschieden in Arm-und-schwarz-sein und Reich-und-weiß-Sein.

Hannover Plakat Kindernothilfe (Foto: Imago)
Starke Persönlichkeiten für ein differenzierteres AfrikabildBild: Imago

Diese Kampagnen zementierten das jahrhundertelang etablierte Machtverhältnis zwischen Europa und Afrika und zeichneten eindimensionale Bilder des globalen Südens, kritisiert Nadja Ofuatey-Alazard. Sie forscht an der Uni Bayreuth über Rassismus und Minderheiten in den Medien. "Europa tut heute so, als ob es keine geteilte Vergangenheit mit diesen Regionen hätte. Es verhält sich so, als ob es nicht nach wie vor knallharte wirtschaftliche und geopolitische Interessen dort hätte, also de facto auch an der Schaffung der Strukturen von Armut und Mangel beteiligt ist."

Rostige Heizung für misslungene Werbung

Der "Rusty Radiator Award", der "Rostige-Heizkörper-Preis", macht genau auf diese meist entmündigenden und entwürdigenden Videos aufmerksam. Eine internationale Jury kürt jährlich mit dem Negativpreis für Spendenwerbung Videos, die das Problem der Armut und ihrer Ursache vereinfachen. 2017 ging der Preis an eine britische Kampagne der "DEC Yemen Crisis Appeal", unterstützt von dem britischen Schauspieler Tom Hardy. Der Kurzfilm zeigt eine Aneinanderreihung von Kindern, die lebensbedrohlich unterversorgt sind. Dazu erzählt Hardy, warum es so wichtig sei, zu spenden.

Ins Leben gerufen wurden die "Radi Aid Awards" von einer Gruppe norwegischer Kommunikationsstudenten, die den Internationale Hilfsfonds von Studenten und Akademikern (SAIH) gründeten. Im Gegensatz dazu prämiert die SAIH mit dem "Golden Radiator Award"  besonders gelungene Spendenfilme.

Das ist das Gewinnervideo des "Golden Radiator Awards":Die Deutschen haben von Januar bis September 2017 mehr als 3,1 Milliarden Euro für wohltätige Zwecke gegeben. Der Deutsche Spendenrat geht davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt und rechnet mit einer Rekordspendensumme für das gesamte Jahr von 5,5 Milliarden Euro. Besonders die Weihnachtszeit gilt als Hochzeit für Spendeneinnahmen.

Ethik in Spendenvideos

NGOs buhlen mit Wirtschaftsunternehmen um die Aufmerksamkeit potenzieller Spender. "Im Fundraising ist gerade Weihnachten, wenn wir mit einem limitierten Werbebudget in eine Kampagne investieren, nicht die Zeit für Experimente", sagt Sabine Wilke von CARE Deutschland. "Eine vollverschleierte Frau aus dem Jemen schafft keinen emotionalen Zugang zu dem Spender." Und dieser emotionale Zugang sei für eine Spende entscheidend. In Social-Media-Kanälen und auf der Internetseite der Organisation werden Geschichten der Menschen erzählt, die von deren Hilfe profitieren. Kein Voyorismus, keine menschenunwürdige Darstellung. 

Weg von schwarz-weißen Klischees

Plakat - Brot für die Welt
Selbst die Botschaft der Bildsprache entschlüsseln Bild: picture-alliance/dpa/W. Moucha

Action medeor hat das klassische Stereotyp "Weißer Arzt hilft armen schwarzen Afrikanern" aufgebrochen. Ihre Kampagne "Hilf den Helfern" ist nicht auf das betroffene Kind ausgerichtet. Ihr Spot zeigt ein europäisches Ärzteteam, das dabei zusieht, wie sich der Gesundheitszustand eines kranken Kindes verschlechtert. Der Fokus liegt allein auf dem Dialog der Ärzte, die nicht helfen können. "Wir wollen eine Botschaft vermitteln, dass wir eine Situation haben, wo Hilfe notwendig ist", erklärt Bernd Pastors, Vorstandssprecher bei action medeor und Vorstandsvorsitzender bei Aktion Deutschland Hilft "Die jüngeren Spender hinterfragen kritisch, wollen Transparenz, und sich nicht mehr mit dem Kindchenschema abspeisen lassen." 

Die Sensibilität bei der Verwendung von Stereotypen steige bei Hilfsorganisationen, bestätigt Lorenz Spinas, Kreations- und Agenturleiter von Spinas Civil Voices, einer Schweizer Agentur, die sich auf Werbung von NGOs spezialisiert hat. Ob in Nachrichten oder Social-Media-Kanälen, die Bevölkerung ist regelmäßig Bildern ausgesetzt. "Die Informationsflut hat dermaßen zugenommen, dass die Leute anfangen, Filter zu installieren", sagt Spinas im DW-Interview. Bei schockierenden Bildern schalte sich sofort ein Abwehrreflex bei jenen ein, die dies nicht mehr sehen wollen. So will Spinas mit seinem Team durch seine kreativen Inszenierungen positive Stimulanzen erzeugen. Wenn bei einer kreativen Bild oder Symbolsprache "der Zusammenhang zwischen Bild und Sprache entschlüsselt werden kann, ist das ein Glückmoment für jeden Menschen, in dem er bereit ist, sich auf die Problematik einzulassen."

Wunsch nach einer besseren Zukunft

Ein großer Teil der Spender möchte eine bessere Welt schaffen. Kinder funktionieren in diesen Kampagnen besser als Erwachsene, symbolisieren sie doch Unschuld und Zukunft, erläutert Spinas. Projekte für Kinder sind auch in der Entwicklungsarbeit ein Schwerpunkt. "Wir vermeiden Bilder, in denen das Leid abgebildet ist, wie Verstümmelungen oder Hungerbäuche, und versuchen, das Leid verbal zu inszenieren, indem wir den Empfänger in die Situation des Kindes versetzen. Die Bilder entstehen dann in den Köpfen", sagt er. "Das funktioniert sehr gut, weil der Empfänger sich selbstbestimmt und nicht manipuliert fühlt. So reagiert ein Spender sehr viel wohlwollender, als wenn wir mit der Schockmethode vorgehen würden." Gelungene Kampagnen fokussierten sich auf die Lösung, nicht das Problem.