Corona-Auswirkungen auf die Schulbildung
21. Dezember 2020Der elfjährige Seydina Mohamed Touré geht in die sechste Klasse an der Schule Saint François d'Assise in Tivaouane Peul im Senegal. Nach dem Lockdown wegen der COVID-19-Pandemie hat seine Schule wieder geöffnet, aber die Infektionszahlen steigen stark an. "Ich habe wirklich Angst, weil die Krankheit tödlich ist. Ich habe die Nachrichten verfolgt, und es sterben jeden Tag viele Menschen", sagt Seydina im DW-Interview. "Im Falle einer neuen Ausgangssperre werde ich meine Online-Kurse auf Whatsapp mit meinen Lehrern wieder aufnehmen."
Sorgen vor dem Virus hat auch Mamadou Lamarana Bella Diallo in Guinea. Der Schüler geht auf ein Gymnasium in der Hauptstadt Conakry. Seit Dezember sitzt er wieder im Unterricht. "Wir hatten Angst, denn diese Krankheit ist global. Aber als wir in die Schule kamen, sahen wir, dass die Betreuer Masken trugen und dass Maßnahmen getroffen worden waren", sagt er im DW-Interview. "Jeder Schüler erhielt eine Maske. Wir waren beruhigt. In der Klasse sitzen wir zu zweit an jedem Tisch. Seither haben wir hier keinen einzigen Fall mehr gehabt. Aber wir müssen vorsichtig sein!"
Globale Lernkrise droht
Zur Schule gehen - dieses Glück haben nicht alle Schüler: Viele Schulen bleiben wegen der Pandemie weiter geschlossen oder öffnen nur für einige Klassen. "Unterricht bedeutete bisher in den meisten Gegenden in Ost- und Südafrika eher ein ständiges Öffnen und Schließen der Schule", sagt Juliet Kotonya, Erziehungsberaterin im kenianischen Regionalbüro der internationalen Kinderrechtsorganisation Save the Children. "Im Oktober waren bis zu 60 Prozent der Schulen in den Ländern des südlichen Afrika wieder geöffnet." Wenn es heißt, die Schulen seien teilweise wieder geöffnet, hätten häufig jene Schüler Priorität, die ihre Abschlussexamen schreiben, fügte sie an.
Am Horn von Afrika gehe die Öffnung nur langsam voran und die Mehrheit der Schüler aus der Grundschule könnten keinen Unterricht vor 2021 erwarten, schreibt Kotonya der DW. Im Südsudan sollen Schulen erst im April 2021 geöffnet werden. In Simbabwe seien die Schulen zwar geöffnet, aber nur die Hälfte der Lernenden in den Abschlussklassen sei zurückgekehrt, sagt Kotonya.
Soziale Ungleichheit wächst
Alle Kinder in die Schulen zurückzubringen - das bleibe eine Herausforderung. Daher warnen Organisationen wie Save the Children und Unicef vor einer globalen Lernkrise durch die Corona-Pandemie. Laut aktueller Statistik der UN-Bildungsorganisation UNESCO sind weltweit noch 17 Prozent aller eingeschriebenen Schüler (300 Millionen) von Schulschließungen oder teilweisen Unterrichtsstopp betroffen. In 25 Ländern sind Schulen komplett geschlossen.
Laut Save the Children sind die west- und zentralafrikanischen Länder stark von der Krise betroffen. Aber auch in anderen Teilen des Kontinents droht für viele Kinder Gefahr, dauerhaft nicht mehr zur Schule zu gehen und von den Folgen der wachsenden sozialer Ungleichheit noch stärker betroffen zu sein. Hauptgründe sind: Mädchen werden in ihrer Umgebung häufiger Opfer von sexualisierter häuslicher Gewalt und Zwangsehen, sagen Save the Children und Unicef. Aber auch die Angst vor Ansteckungen mit COVID-19 in der Schule ist bei Eltern und Kindern groß und so bleiben Schüler dem Unterricht oft fern.
Ärmere Kinder nicht zurücklassen
Andile Dube ist Bildungsexpertin bei Unicef in Südafrika und bestätigt die Ernsthaftigkeit der Lage: "30 Millionen Kinder waren in Südafrika von den Schulschließungen betroffen - in privaten genauso wie in öffentlichen Schulen", sagt sie im DW-Interview. Die Mehrheit sei im September nach Schulöffnung wieder zurückgekehrt, aber der Lernverlust ist groß. Dazu kommt: "COVID hat die bestehenden Ungleichheiten ausgeweitet. Nur die Kinder der reicheren Familien haben Zugang zu virtuellem Lernen", fügt sie an.
75 Prozent der Schulkinder in Südafrika gehen laut Dube in weniger gut ausgestattete Schulen in ärmeren Gegenden und hätten somit größere Schwierigkeiten, verpassten Unterricht aufzuholen. Einen ähnlichen Trend gebe es auch in den anderen Ländern im südlichen Afrika. Dube plädiert für mehr Investitionen in Bildung, aber auch für ein Umdenken: Bildungssysteme müsse man sich ganz neu überlegen und sicherstellen, dass ärmere Kinder nicht zurückgelassen werden.
Motivation für Schule: Eine Mahlzeit
Auch Joan Lithgow, Mitarbeiterin im "Education Trust" in Südafrika erkennt die Probleme auf der Suche nach einer nachhaltigen Lösung. Südafrika brauche eigentlich kostenlosen Internet-Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger und Computer und Tablets für Schüler. Aber in der Realität werde es das nie geben. "Die Armut in den Townships ist groß und viele Menschen haben durch COVID-19 ihren Job verloren", sagt sie im DW-Interview. Oft gebe es wenig elterliche Unterstützung für Kinder. "In ärmeren Gegenden bieten Schulen jedem Kind pro Tag eine kostenlose Mahlzeit an - das ist ein motivierender Faktor für viele Kinder, denn das ist das einzige Essen, was sie am Tag bekommen werden."
Dazu kommt für Mädchen noch ein wichtiger Grund, in die Schule zu gehen: Für sie ist es sicherer im Klassenraum als zu Hause. Das sagt Florence Machio, Aktivistin bei der Frauenrechtsorganisation Equality now in Kenia. Dort seien im März, dem ersten Monat mit geschlossenen Schulen, 41 Prozent mehr Fälle von Gewalt gegen Kinder berichtet worden.
"Die Wahrscheinlichkeit für Frauen und Mädchen, schwanger zu werden, steigt durch zunehmende Gewalt, aber es fehlt an sicheren Zufluchtsorten für sie und an medizinischer Versorgung nach einer Vergewaltigung", sagt Machio im DW-Interview. Inzwischen kann ein Teil der Mädchen und Jungen wieder zur Schule: "Seit Mitte Oktober sind Schulen für ausgewählte Klassenzüge wieder geöffnet. Im Januar sollen alle Klassen in den Schulen wieder öffnen," sagt Machio.
Mehr Gewalt und Schwangerschaften: Eine verlorene Generation
"Unsere Gesetze in Kenia erlauben zwar, dass auch schwangere Schülerinnen zurück in den Unterricht kommen dürfen. Aber es ist entscheidend, dass die Täter gefunden werden, die die Mädchen im Lockdown misshandelt haben."
Einzelne Datensätze legen nahe, wie groß das Problem ist: In der nordkenianischen Stadt Lodwar hat sich im Zeitraum Juni bis August laut Rotem Kreuz die Zahl der Teenager-Schwangerschaften gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdreifacht. Im nahegelegenen Flüchtlingslager Kakuma wurden von März bis August 51 schwangere Mädchen behandelt - im selben Zeitraum 2019 waren es 15. "Das ist eine ganze Generation, die den Unterricht verpasst und oft nicht zurückkehrt, ", mahnt Machio. "Wir müssen die Täter bestrafen und gewährleisten, dass es für die ausgegrenzten Mädchen sichere Wege geben, in die Schulen zurückzukehren."