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PanoramaDeutschland

75 Jahre FFK in Deutschland: Die Szene schrumpft

Brenda Haas
5. November 2024

Mitten im kühlen Herbst feiert der Verband für Freikörperkultur am 6. November sein 75-jähriges Jubiläum. Eigentlich ein Grund zum Feiern - aber die Mitgliederzahlen schwinden. Hat der textilfreie Lebensstil ausgedient?

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Drei Nackte sitzen mit dem Rücken zum Betrachter auf Handtüchern am Strand neben einer Düne
Kein ungewohnter Anblick an deutschen Stränden: Nackte beim SonnenbadenBild: Bernd_Wüstneck/ZB/picture-alliance

So mancher ausländische Besucher reibt sich verwundert die Augen, wenn er in Deutschland auf nackte Tatsachen trifft. Im Gegensatz zu vielen Touristen haben die meisten Deutschen kein Problem mit komplett entblößten Körpern.

Zu beobachten ist dies vor allem im Sommer: Vielerorts sind Park- und Strandabschnitte extra für Nudisten reserviert. An anderen Stellen teilen sich diejenigen, die lieber Badekleidung tragen, den Platz mit denen, die sich hüllenlos in der Sonne aalen - völlig unbeeindruckt voneinander. 

Den entspannten Umgang mit nackter Haut verdanken die Deutschen der Tradition der Freikörperkultur (FKK). Diese Bewegung ist sogar in einem Dachverband organisiert - es ist der Deutsche Verband für Freikörperkultur (DFK), und der feiert in diesem Jahr sein 75. Jubiläum. Wir blicken zurück auf die Anfänge der FKK-Bewegung und fragen, wieso sie inzwischen ihre Fans verliert.

Auf einer Wiese liegen nackte und angezogene Menschen, dazwischen Fahrradfahrer und Passanten.
Mit oder ohne Klamotten: Im Englischen Garten in München ist das keine FrageBild: Jan Richter/imageBROKER/picture alliance

Gegenbewegung zur Industrialisierung

Die Wurzeln der FKK gehen auf das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert zurück. Es war das Zeitalter der Industrialisierung, das sich binnen kurzer Zeit verheerend auf die Gesundheit der Menschen auswirkte. 

Das Leben in engen, verschmutzten Städten beeinträchtigte das körperliche und geistige Wohlbefinden so sehr, dass eine Reformbewegung entstand. Sie setzte auf einen Ausgleich nach der Devise: Gib dem Menschen so viel Natur wie nur möglich - draußen und so, wie Gott ihn geschaffen hat.

Die Anhänger der Bewegung glaubten, dass das Gefühl von Sonne, Luft und Wasser auf der nackten Haut in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter heilsam sei. Es fördere nicht nur ein positives Körpergefühl, sondern trüge auch zur Heilung einer Reihe von Krankheiten bei, darunter Tuberkulose, Rachitis und Depressionen.

Es war auch eine Form der Rebellion gegen die starren Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts.

Gemälde: zwei nackte Personen am Strand.
1912 malte Ernst Ludwig Kirchner dieses Bild auf der Insel FehmarnBild: akg-images/picture-alliance

Nacktheit in der Öffentlichkeit galt damals noch  als "grober Unfug". Trotzdem gründeten 50 Gesinnungsfreunde in Essen im Jahr 1893 den ersten FKK–Verein der Welt und zelebrierten das nackte Sonnenbaden als gesunde, natürliche Aktivität.

1920 wurde in Deutschland der erste offizielle Nacktbadestrand auf Sylt eingerichtet. Einige Jahre später gründete der Pädagoge und FKK-Pionier Adolf Koch in Berlin sein Institut für Freikörperkultur und baute in ganz Deutschland Schulen auf. Schwerpunkt waren gemischtgeschlechtliche Übungen im Freien - textilfrei. 1929 richtete Kocch den ersten internationalen Nudistenkongress aus.

Nationalsozialistische Moralvorstellungen

Während der NS-Zeit wurde die Freikörperkultur argwöhnisch beäugt. Die Moralvorstellungen der Nazis deckten sich nicht unbedingt mit denen der Nudisten. Zudem sorgte man sich um den moralischen Verfall der Gesellschaft nach den "wilden 20er Jahren", der vermeintlich sittenlosen Zeit der Weimarer Republik. Außerdem wurde Nudismus mit Homosexualität in Verbindung gebracht, und so führte man 1933 Gesetze ein, die das gemischt-geschlechtliche nackte Treiben einschränken sollten. Und das, obwohl FKK auch in einigen Nazi-Kreisen beliebt gewesen sein soll.

Zwei nackte Frauen machen gymnastische Übungen im Freien. Schwarz-weiß-Aufnahme von 1950.
Je weniger Kleidung, umso besser: Hüllenlose Leibesübungen galten als gesundBild: akg-images/picture alliance

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden mit zwei deutschen Staaten (der Bundesrepublik und der DDR) auch zwei Philosophien der Freikörperkultur. Für die DDR-Bürger bedeutete das Nacktsein in der Öffentlichkeit individuelle Freiheit in einer ansonsten stark kontrollierten Gesellschaft. Die DDR-Führung versuchte zwar zunächst, FKK zu unterdrücken, weil sie befürchtete, dass sie die sozialistischen Ideale untergraben würde. Doch nach zahlreichen Protesten und Petitionen  gab sie schließlich auf.

Zahlreiche nackte Menschen beim Schwimmen und Sonnenbaden an einem Seestrand, Schwarzweiß-Aufnahme von 1986.
FKK-Strand am Müggelsee im damaligen Ostberlin (1986)Bild: Thomas Uhlema/dpa/picture alliance

Auch in Westdeutschland galt FKK als Zeichen für Freiheit - hier jedoch weitaus organisierter. 1949 wurde der Deutsche Verband für Freikörperkultur gegründet. Heute ist der DFK Teil des Deutschen Olympischen Sportbundes und das größte Mitglied des Internationalen Naturistenverbandes.

Steh zu deinen Pölsterchen

Was macht man eigentlich in einem FKK-Club, außer nackt zu sein? Im Grunde das Gleiche, was man bei jedem anderen gesellschaftlichen Treffen auch tun würde - nur eben ohne Kleidung. Die Aktivitäten reichen vom Schwimmen und Sonnenbaden bis hin zu Mannschaftssportarten wie Volleyball, und natürlich wird auch zusammen gegessen, getrunken und gefeiert. In Deutschland gibt es auch ausgewiesene Nacktwanderwege, auf denen FKK-Anhänger mit der Natur kommunizieren können. Oberste Direktive bei allem: keine Fotos, kein ungebührlich langes Mustern des Gegenübers und kein Sex.

Neben der besseren Luftzirkulation und der optimalen Vitamin-D-Versorgung des Körpers bietet FKK einen weiteren Vorteil: Die Menschen lernen, ihren Körper so zu schätzen wie er ist - mit all seinen Fettpölsterchen, Unebenheiten und Macken. Nackt sind alle gleich - egal ob sie sonst Designerklamotten tragen oder Discountkleidung.

FKK versus Instagram

Bei aller Begeisterung für die heilende Wirkung der FKK haben Plattformen wie Instagram oder TikTok der Freude am Nacktsein einen Dämpfer versetzt. Die Mitgliederzahlen in FFK-Clubs gehen zurück. Der Präsident des DFK, Alfred Sigloch, nennt als Grund den Kult um den vermeintlich perfekten Körper, der dort propagiert wird. "Es erhöht den Druck, sich vor anderen nicht ausziehen zu wollen", sagte er im Juni der "Bild"-Zeitung.

So ist es kein Wunder, dass die FKK-Vereine immer weniger junge Leute für sich begeistern können. Die Mitgliederzahlen im DFK sprechen eine deutliche Sprache: Waren es vor 25 Jahren noch etwa 65.000, so ist die Zahl heute auf etwa 34.000 geschrumpft. Die Gründe sind nicht nur bei Social Media zu suchen. Da sind auch Ängste mit im Spiel, denn so privat und sicher ist das Nacktsein längst nicht mehr. Heimliche Handy- oder Drohnenaufnahmen können schnell im Internet landen und Menschen im wahrsten Sinne des Wortes bloßstellen.

Am Strand steht ein Schild mit der Aufschrift "FKK-Strand - Filmen und Fotografieren verboten".
Hinweisschilder wie diese sind Standard in FKK-BereichenBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Ruhezeiten offenbar wichtiger als FKK-Nachwuchs

Außerdem gebe es einen Generationskonflikt zwischen den Alten und den Jungen, so DFK-Chef Alfred Sigloch. Auf vielen Vereins-Campingplätzen liegt der Altersdurchschnitt deutlich über 60 Jahre. Veränderungen würden oft abgelehnt. Alles solle so bleiben wie es immer war, beispielsweise die Ruhezeiten auf den Plätzen. "Diese konservative Einstellung vieler Älterer verhindert eine Verjüngung und Weiterentwicklung der Strukturen", sagt er.

Auch beim Camping allgemein sieht Sigloch eine für FKK ungünstige Entwicklung: "Gerade im Bereich Luxus-Camping lässt sich viel Geld verdienen. Da lohnt sich das Geschäft mit Bekleideten mehr als mit FKKlern."

Die Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag des DFK wurden aus Mangel an Interesse abgesagt. Doch Sigloch lässt sich nicht unterkriegen. "Wir werden um jeden Nackten kämpfen. FKK ist eine uralte Kultur, die nicht aussterben wird."

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch