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Dämpfer für Merkel und Kauder

Richard A. Fuchs, Berlin 19. August 2015

Mit großer Mehrheit stimmt der Bundestag dem dritten Hilfspaket für Griechenland zu. Wie umstritten die Entscheidung ist, zeigte eine nervöse Debatte und 113 Nein-Stimmen, mehrheitlich aus dem Lager der Kanzlerin.

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Bundeskanzelrin Merkel und ihr Fraktionschef Kauder (Foto: Reuters/A. Schmidt)
Bild: Reuters/A. Schmidt

Um kurz nach 12 Uhr stand das Ergebnis fest. Zwei Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages stimmen für das dritte Hilfspaket für Griechenland – also für die Auszahlung von 86 Milliarden Euro an weiteren Hilfskrediten, die an strikte Spar- und Reformauflagen geknüpft sind. 113 Parlamentarier, darunter 63 Abgeordnete aus dem konservativen Regierungslager von Kanzlerin Angela Merkel, verweigerten dagegen ihre Zustimmung. Über zehn Parlamentarier aus dem Unionslager sollen dem Vernehmen nach aus Protest gegen die Rettungspolitik erst gar nicht zur Abstimmung angereist sein. Dennoch: Der Widerstand gegen die Linie der Kanzlerin fiel nur wenig größer aus als durch eine Probeabstimmung am Vortag vorhergesagt wurde. Vier Wochen zuvor, als der Bundestag über die Aufnahme neuer Verhandlungen mit Griechenland zu entscheiden hatte, rebellierten ebenfalls 60 Parlamentarier der Unionsfraktion gegen den Merkelschen Kurs auf. All jene, die jetzt eine Palastrevolution erwartet hatten, wurden enttäuscht.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (Foto: Getty Images/A. Berry)
"Entscheidung nicht leicht": Finanzminister Wolfgang SchäubleBild: Getty Images/A. Berry

Schäuble: „Diese Chance nutzen“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die Debatte im Namen der Regierung mit einer rund 20-minütigen Rede eröffnete, ging auf all jene Parlamentarier ein, die keinen Sinn in weiteren Hilfskrediten für ein chronisch überverschuldetes Euro-Land wie Griechenland sehen. Nachdenklich, und mit gebrochener Stimme, warb Schäuble für ein Ja, wohlwissend, dass auch er vor wenigen Wochen einen "Grexit auf Zeit" als beste Option unter vielen verhängnisvollen Lösungen favorisiert hatte. Weil die griechische Regierung jetzt aber deutlich kompromissbereiter sei und geliefert habe, sei ein neuerlicher Hilfskredit angebracht, so Schäuble: "Es wäre unverantwortlich, diese Chance für einen Neuanfang jetzt nicht zu nutzen."

Merkel und Bundestagsabgeordnete (Foto: Getty Images/A. Berry)
113 Nein-Stimmen musste Kanzlerin Merkel verkraften - die Mehrzahl von ParteigenossenBild: Getty Images/A. Berry

Es ist diese Bemerkung, die parteiübergreifenden Applaus aufbrausen lässt. Ein Applaus, bei dem im Plenum des Parlaments auch so mancher Seufzer mitzuschwingen schien. Denn nicht wenige Parlamentarier sehnen sich nach Wochen im Ausnahmezustand der Griechenland-Rettung nach einem Ende der Debatte. Nicht wenige, die eine Atempause in der griechischen Dauerrettungsschleife wünschen.

Schäuble sorgte dafür, dass Träumereien aber wieder abrupt beendet wurden. Er verstörte all jene, die glaubten, der einstige Hardliner Schäuble sei jetzt beinahe zu jedem Kompromiss in Sachen Griechenland bereit. Weitere Zugeständnisse, wie einen nominalen Schuldenschnitt, gebe es nicht, so Schäuble. Das sei ohnehin durch die europäischen Verträge ausgeschlossen, und auch für Schuldenerleichterungen wie längere Rückzahlungsfristen sieht der in Griechenland weithin zur Hassfigur stilisierte deutsche Finanzminister nur "begrenzt Spielräume".

Linke fordert Schuldenkonferenz

Genau diese Spielräume forderte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, aber ein. Seine Partei hatte gegen das Paket votiert, so Gysi, um eine Rettungspolitik zu beenden, die nur Banken rekapitalisiere und Schuldzinsen tilge, nicht aber Investitionen und soziale Sicherungssysteme finanziere. Während Union, SPD und Grüne das aktuelle Hilfspaket mehrheitlich als die richtige Medizin für den Patienten Griechenland erachten, sieht die Linkspartei darin einen Weg, Griechenland völlig in die Abhängigkeit von den Gläubigern zu stürzen. Gysi forderte eine europäische Schuldenkonferenz, die für Griechenland und weitere Euro-Schuldenländer einen Schuldenschnitt organisieren solle. Thomas Oppermann, der für die mitregierenden Sozialdemokraten sprach, warf der Linkspartei vor, mit ihrem Nein zum Hilfspaket ihrer griechischen Schwesterpartei Syriza in den Rücken zu fallen. Das dritte Hilfspaket sei klüger als die Vorgängerprogramme, weil es soziale Härten vermeide und die Auszahlung weiterer Hilfsgelder an die Umsetzung bestimmter Reformschritte knüpfe. "Die griechische Regierung, auch wenn sie uns nicht gefällt, muss jetzt Erfolg haben", so Oppermanns Plädoyer.

Gregor Gysi (Foto: picture-alliance/dpa/P. Jensen)
Ein Rettungspaket, das niemand rettet: Gregor Gysi von der LinksparteiBild: picture-alliance/dpa/P. Jensen

Abweichler an den Rand gedrängt

Die Kanzlerin, die sich in der Debatte nicht zu Wort meldete, fiel vor allem durch beständiges Hin- und Herlaufen im Plenarsaal auf. Wenn Sie auf der Regierungsbank saß, scherzte sie mit dem sozialdemokratischen Vizekanzler Sigmar Gabriel. In Sachen Griechenland-Rettung gab es zwischen ihnen ohnehin kaum inhaltliche Differenzen. Nur wenn wiederholt ein Redner davon sprach, dass "Athen begriffen hat", horchte einer der beiden kurz auf, um sich dann Smartphone oder Beschlussvorlage zu widmen. Klaus-Peter Willsch, ein Hinterbänkler aus den Reihen der Unionsfraktion, ergriff das Wort, als wieder einmal von der neuen Tonlage aus Athen die Rede war. Für Willsch, der bereits seit langem als scharfer Kritiker immer neuer Hilfs-Milliarden gilt, sind weitere Kredite unverantwortlich für kommende Generationen, weshalb er mit Nein stimmte. "Griechenland wird es im Euro nicht schaffen", sagte Willsch. "Die Tür heißt Grexit".

Vertreter der oppositionellen Grünen betonten, dass die Bundesregierung jetzt dafür sorgen müsse, dass die anhaltende "Grexit-Debatte" nicht weiter befeuert werde. Auch wenn das Paket richtig sei, fehlten doch Investitionen, die die am Boden liegende Wirtschaft ankurbeln könnten. "Grexit isch over", entlehnte der Grüne Sven-Christian Kindler einen Satz, den Finanzminister Schäuble in anderem Zusammenhang gesagt hatte. Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Unionsparteien, lobte Kanzlerin und Finanzminister für die Verhandlungsführung, die zu diesem Rettungspaket geführt hätten. "Wenn die deutsche Regierung nicht so streng gewesen wäre, hätten wir dieses Ergebnis heute nicht." Ob das dritte Hilfspaket allerdings nicht schon in wenigen Monaten durch ein viertes ergänzt werden muss, auf diese Frage legte sich keiner der Redner im Deutschen Bundestag an diesem Tag fest. Nur soviel: Schon in wenigen Tagen könnten in Griechenland Neuwahlen ausgerufen werden. Ob die Regierungsmehrheit dann noch steht? Johannes Kahrs von der SPD spielte zum Ende der Debatte den Ball zurück: "Griechenland wird nur in Griechenland gerettet – von den Griechen".