Ukraine: 2025 wohl keine Präsidentschaftswahlen
8. Februar 2025Wann wird die Ukraine die Präsidentschaftswahlen nachholen, die wegen des vor mittlerweile fast drei Jahren begonnenen russischen Überfalls ausgesetzt wurden? Diese Frage bekommt Wolodymyr Selenskyj immer öfter gestellt. Die Antwort des ukrainischen Präsidenten bleibt gleich. "Wahlen wird es nach dem Ende der heißen Kriegsphase geben, wenn das Kriegsrecht nicht mehr gilt", sagte Selenskyj diese Woche in einem Interview mit dem britischen Journalisten Piers Morgan.
Wahlen in der Ukraine als Trumps Plan?
Über die Wahlen wird immer lauter diskutiert, seit sich der US-Sonderbeauftragte für die Ukraine und Russland, Keith Kellogg, dazu geäußert hatte. Kellogg sagte Anfang Februar gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die USA wünschten sich Wahlen in der Ukraine eventuell schon bis zum Jahresende 2025, insbesondere dann, wenn sich Kyjiw und Moskau bald auf einen Waffenstillstand einigen würden. Wahlen seien "gut für die Demokratie". Bereits Anfang 2024 hatten einzelne US-Politiker die Ukraine aufgerufen, Wahlen trotz des anhaltenden Krieges abzuhalten.
Auch von russischer Seite gibt es seit rund einem Jahr Äußerungen zu Wahlen in der Ukraine. Präsident Wladimir Putin sagte mehrmals, er zweifele Präsident Selenskyjs Legitimität an, weil die Ukraine die für das Frühjahr 2024 geplante Wahl ausgesetzt hatte. Die ukrainische Verfassung verbietet es, Wahlen unter Kriegsrecht abzuhalten. Moskaus Haltung dazu: Man sei bereit, mit Selenskyj zu verhandeln, Vereinbarungen über eine Regelung zum Ende des Krieges würde man aber erst nach etwaigen erneuten Präsidentschaftswahlen in der Ukraine unterzeichnen.
Möglicherweise könnten Wahlen in der Ukraine ein Teil des von den USA vermittelten Plans für ein Ende des russischen Angriffskrieges sein. Details dieses Plans wurden bislang nicht bekannt. Der US-Sondergesandte Kellogg wird noch im Laufe des Februars in Kyjiw erwartet. John Herbst, früherer US-Botschafter in der Ukraine und heute Experte an der US-Denkfabrik The Atlantic Council, sagte der DW, er sei von der russischen Haltung nicht überrascht. Diese sei Teil der Versuche Moskaus, Verhandlungen über ein Kriegsende hinauszuzögern. Der frühere US-Diplomat lobte die Trump-Regierung für die "Anerkennung", dass "Putin ein Hindernis auf dem Weg zu Verhandlungen" sei. Er hält es jedoch für eine "Fehlkalkulation", sollte Washington das Thema Wahlen in der Ukraine dafür nutzen wollen, Verhandlungen zu fördern.
Darum besteht Russland auf Wahlen in der Ukraine
Auch der deutsche Publizist und Ukraine-Experte Winfried Schneider-Deters versteht die Haltung Moskaus. "Dass die Russen das fordern und propagieren, ist völlig klar. Sie wollen Unruhe stiften, die Bevölkerung während eines Wahlkampfs spalten", sagte Schneider-Deters der DW. "Was für ein Interesse die Amerikaner haben, kann ich dagegen nicht nachvollziehen". Der Publizist hält die Motive Russlands für "perfide" und empfiehlt der Selenskyj-Regierung, einem möglichen Druck aus Washington nicht nachzugeben.
Ob die Ukraine ihrem größten und wichtigsten Waffengeber gegenüber dazu in der Lage sein wird, ist offen. Präsident Selenskyj vermeidet bislang eindeutige Aussagen dazu. Die Ukraine sei zu Kompromissen bereit und möchte Wahlen durchführen, man benötige dafür aber bestimmte Voraussetzungen.
Der ehemalige Generalsekretär der Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (OSZE), Thomas Greminger, warnt vor einem zu schnellen Urnengang. "Ich denke, unter den aktuellen Bedingungen ist es schlicht und ergreifend nicht möglich, faire und freie Wahlen durchzuführen", sagte der frühere Schweizer Diplomat in einem DW-Gespräch. Große Teile des ukrainischen Territoriums befinden sich schließlich unter russischer Kontrolle. Insgesamt habe man mit "zu frühen Wahlen im Großen und Ganzen schlechte Erfahrungen gemacht", ob in Afrika, Asien oder Westbalkan, so Greminger: "Es braucht eine gewisse Stabilität und eine gute Vorbereitung." Die Gefahr bestehe, dass man ansonsten statt einer Stabilisierung des Systems das Gegenteil bewirke.
Voraussetzungen für Wahlen in der Ukraine
Sollte es tatsächlich Wahlen geben, sieht John Herbst eine Gefahr nicht für die ukrainische Demokratie, sondern für ihre Sicherheit: "Es gibt keine Zweifel, dass Russland diese Zeit zur Stärkung seiner militärischen Lage nutzen wird". Wahlen seien deshalb nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Als wichtigste nannte der frühere Diplomat solche, die auch einige Mitstreiter von Donald Trump bereits geäußert haben: mehr Waffen für die Ukraine, eine demilitarisierte Zone und die Präsenz europäischer Truppen. Sollte es eine "ernsthafte" Waffenruhe geben, seien Wahlen möglich, so Herbst. Allerdings sei Moskau mit allen diesen Bedingungen nicht einverstanden.
Thomas Greminger meint, für "freie und faire Wahlen" müsse es Bewegungsfreiheit für Wähler und Kandidaten sowie Medienfreiheit geben. Beides sei aber durch das Kriegsrecht eingeschränkt. Die OSZE könnte bei Wahlbeobachtung helfen, so der frühere Generalsekretär. Eine größere Zahl an Wahlbeobachtern im Vergleich zu vorherigen Wahlen sei aus seiner Sicht nicht zwingend notwendig. Wichtiger aber sei politische Stabilität und die Ukraine sei noch "meilenweit davon entfernt". Eine Wahl in der Ukraine sei frühestens ein halbes Jahr nach einem stabilen und überwachten Waffenstillstand möglich. Vor diesem Hintergrund schätzt Greminger die Chancen einer Präsidentenwahl in der Ukraine noch in diesem Jahr "im Promillebereich" ein.
Ähnlich sieht das auch Winfried Schneider-Deters: Das Land befinde sich in einem Krieg, der zur Zeit "nicht sehr gut läuft für die Ukraine". Aus Kyjiwer Sicht gebe es "keinen Grund, unter diesen Umständen den Anführer zu wechseln", der 2019 mit über 70 Prozent der Stimmen gewählt worden sei.