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100.000 Tote durch Brände in Indonesien

Rodion Ebbighausen19. September 2016

In unregelmäßigen Abständen wiederholt sich in Indonesien eine Umweltkatastrophe gigantischen Ausmaßes. Fachleute können die Brände mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, doch verhindert werden sie nicht. Warum?

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Waldbrand auf Sumatra (Foto: EPA/AZWAR)
Bild: picture-alliance/dpa

100.000 Tote, 500.000 Kranke und 16 Milliarden US-Dollar Schaden für die indonesische Wirtschaft - das ist die Bilanz der illegalen Brandrodung in Indonesien im Jahr 2015. Während der wirtschaftliche Schaden und die Zahl der Kranken seit längerem bekannt sind, basiert die Zahl der 100.000 Toten auf einer aktuellen Studie der Universitäten Harvard und Columbia in den USA. Die Menschen sterben an Krebs, Hirnschlägen, Lungen- und Herzerkrankungen.

Der Gesundheitsexperte Jonathan Buonocore, der in der Studie die Wirkung von Luftverschmutzung auf den menschlichen Organismus untersucht hat, erklärt im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Wenn wir wissen, wie stark die Brände zur Luftverschmutzung beitragen, können wir ausrechnen, wie sehr die Gesundheit der Menschen dadurch beeinträchtigt wird." Um die Luftverschmutzung zu beziffern, hat ein Forscherteam mit der Atmosphärenchemikerin Shannon Koplitz die von Satelliten und Messstationen am Boden gesammelten Daten ausgewertet.

Tödlicher Feinstaub

Entscheidend ist dabei die Feinstaubbelastung. An der Beantwortung der Frage, wie viel Feinstaub durch die Brände 2015 in die Luft geraten ist, war unter anderem Miriam Marlier von dem Institut für Ökologie, Evolution und Umweltwissenschaften der Columbia Universität in New York beteiligt. Als Feinstaub werden Partikel von weniger als 2,5 tausendstel Millimeter Durchmesser bezeichnet. Marlier sagt. "Die Menge an Feinstaub ist insbesondere deswegen besorgniserregend, weil die Brände im äquatorialen Asien in einer sehr dicht bevölkerte Region der Erde ausbrechen." Mehr als 150 Millionen Menschen leben in den am stärksten betroffenen Ländern Indonesien, Malaysia und Singapur.

Die Wolkenkratzer in Singapur versinken im Rauch (Foto: EPA)
Singapur während des Höhepunkts der Feuer in 2015Bild: Reuters

Die Wirkung von Feinstaub ist gut erforscht. Die kleinen Partikel gelangen durch Mund und Nase sehr tief in die Lunge, wo sie Atemwegserkrankungen wie Asthma aber auch Lungenkrebs auslösen können. Außerdem überwindet der Feinstaub die Barriere zwischen Lunge und Blutkreislauf. Die Partikel können deswegen auch Herzinfarkte und Hirnschläge verursachen.

Wenn man weiß, wie viele schädliche Emissionen 2015 entstanden sind, lässt sich die Zahl der dadurch verursachten Todesfälle hochrechnen. Buonocore sagt: "Unsere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Brände für 100.000 Todesfälle in der Region verantwortlich sind."

Feuer trotz Vorwarnung

Angesichts dieser erschreckenden Zahlen kann der Physiker und Atmosphärenwissenschaftler Robert Field vom Goddard Institut der NASA nicht verstehen, dass nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um die Brände zu verhindern. "Es gab zwar umfassende Gegenmaßnahmen, aber erst als die Krise im vollen Gange war und nicht aufgrund der Vorhersagen." Dabei war bereits im Mai oder Juni klar, dass 2015 ein Hochrisikojahr sein würde. Darauf hatten Field und andere Meteorologen unter anderem aus Indonesien immer wieder hingewiesen. "Ich bin sicher, dass man viel erreicht hätte, wenn man die Einsatzkräfte, die man im September zur Bekämpfung der Feuer eingesetzt hat, bereits im Juli für vorbeugende Maßnahmen aktiviert hätte."

Rauchwolken über dem indischen Ozean (Foto: NASA)
Die Aufnahme der NASA zeigt die Ausbreitung der RauchfahneBild: NASA/J. Schmaltz

Vorbeugung ist nämlich entscheidend. Die Behörden hätten statt der Bekämpfung der Feuer mehr Energie in Aufklärung und Überwachung stecken sollen, um die Feuer vor ihrer Entstehung zu verhindern. Der Grund: Bei den Feuern in Indonesien handelt es sich unter anderem um Torffeuer. Von den 2,6 Millionen Hektar Land, die laut Weltbank 2015 brannten, waren nur 10 bis 15 Prozent Wald, etwa die Hälfte gerodetes Land und knapp ein Drittel Torfland. Torfland wird urbar gemacht, indem die Sumpflandschaft mit Hilfe von Kanälen trockenlegt wird. Erst dann lässt sich das Land bewirtschaften. Der Torf trocknet dann allerdings wie ein Schwamm aus und ist extrem anfällig für Brände. Feuer an der Oberfläche brennen unter der Erde weiter, wo der Torf weiterschwelt. Torffeuer sind deswegen weder zu löschen noch zu kontrollieren.

So kann es passieren, dass ein Feuer an einem Ort brennt, dort unter die Erde geht, und einige hundert Meter weit entfernt wieder an die Oberfläche kommt. Löschen kann das nur der Monsun, dessen Regenmassen den Boden bis in tiefe Schichten durchtränken. Der Forstexperte David Gaveau vom Zentrum für internationale Forstwissenschaft (CIFOR), der an der Studie nicht beteiligt war, sagt dazu: "Diese 30 Prozent Torfland waren entscheidend, denn die Torffeuer halten wochenlang an, können nur vom Regen gelöscht werden und sie produzieren den Großteil des Rauchs und der Gesundheitsprobleme."

Infografik Höhenwetterkarte NASA Satellit Aqua Oktober 2015 Deutsch
Die Karte zeigt, wie weit sich die Emissionen (in diesem Fall Kohlenmonoxid) der Waldbrände ausbreiten. Sie reichen vom Westpazifik bis nach Ostafrika

Korruption und Missmanagement

Die Gründe, die dazu führen, dass die indonesische Regierung so große Schwierigkeiten hat, die Feuer im Vorfeld zu verhindern, sind vielfältig. Wie heikel das Thema ist, lässt sich schon daran ablesen, dass einige der Interviewpartner der Deutschen Welle namentlich nicht zitiert werden wollten.

Ein Grundproblem ist, dass die Zentralregierung in Jakarta Gesetze zum Brandschutz erlässt, diese aber beispielsweise auf Borneo oder Sulawesi nicht oder nur halbherzig umgesetzt werden. Das zeigt ein Fall aus der aktuellen Feuersaison 2016. Sieben offizielle Brandermittler auf der Insel Sumatra wurden von einem rund hundertköpfigen Mob angegriffen. Der Mob drohte, die Ermittler bei lebendigem Leib zu verbrennen. Erst als schwerbewaffnete Polizisten anrückten, konnten die Ermittler befreit werden. Die Regierung spricht von einem Krieg, wie AFP berichtete. "Korruption spielte eine große Rolle", sagt einer der anonymen Experten im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Hinzu kommt, dass Indonesien ein Agrarland ist und ein erheblicher Teil der Bevölkerung nach wie vor auf die Landwirtschaft angewiesen ist, um zu überleben. Gutes Land ist knapp und deswegen werden immer mehr Felder auf dem eigentlich weniger fruchtbaren Torfland angelegt. "Populationsdruck ist auch ein Faktor", so ein anderer Spezialist.

Nicht zuletzt sei eine unklare Praxis der Landvergabe schuld an den Bränden. So würden zum Teil Areale für die Landwirtschaft freigegeben oder ohne Erlaubnis genutzt, die eigentlich geschützt werden müssten. Auch gebe es überlappende Ansprüche und viele Akteure wie Plantagenbesitzer, Spekulanten, Kleinbauern etc., die um das Land streiten. Kurz: "Das ganze Landmanagement ist einfach chaotisch und muss geordnet werden."

Harter Kampf für die Regierung

Die Regierung hat das Problem erkannt und will handeln. Gaveau lobt die Initiativen aus Jakarta ausdrücklich: "Die Zentralregierung und der Präsident bemühen sich wirklich." So hat Indonesien jüngst eine Behörde ins Leben gerufen, die den Auftrag hat, das Torfland wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen. Also eine Art Wideraufforstung für Torflandschaften. "Die Wiederherstellung von degradiertem Land, das ist der Weg nach vorne", ist Gaveau überzeugt. "Aber: Niemand weiß, wie das gehen soll. Das ist ein großes Experiment. Aber es ist gut, dass die Regierung es versucht."

Eine andere wichtige Möglichkeit, um die Brände zu verhindern und Leben zu retten, sieht Field in der Verbesserung der Prävention und Vorwarnung. "Kurzfristig sollten wir ein Frühwarnsystem installieren, das auf eine gefährliche Trockenheit hinweist." Fields aktuelle Studie zeigt, dass das Brandrisiko bei weniger als 4 Millimeter Niederschlag pro Tag über einen längeren Zeitraum stark ansteigt. Solche Trockenperioden könnten in Indonesien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Dann käme es allerdings auf die Regierung an, in den gefährdeten Regionen eine restriktive Brandrodungspolitik durchzusetzen.

Gelingt das nicht, ist davon auszugehen, dass die Zahl der Brände und die Zahl der damit indirekt verursachten Todesfälle weiter steigen werden. Und zwar nicht nur in der Region, sondern weltweit. Denn die Feuer haben auch einen beträchtlichen Anteil an der Emission von Treibhausgasen. Für 1997, das als bisher verheerendstes Brandjahr Indonesiens gilt, zeigen konservative Berechnungen, dass das Land 13 Prozent zu den weltweit ausgestoßenen Emissionen fossiler Brennstoffe beigetragen hat.