Schneller testen in Österreich
24. Februar 2021Ein Watte-Stäbchen in Nase oder Rachen und 15 Minuten auf das Ergebnis warten. Corona-Antigen-Schnelltest versprechen in der Pandemie mehr Sicherheit, weil sie Träger des Virus informieren, die selbst noch keine Symptome spüren. Der Weg aus dem Lockdown in Deutschland sollte daher mit der Ausweitung dieser Tests begleitet werden. Doch anders als von Gesundheitsminister Jens Spahn geplant, wird daraus zum 1. März erst einmal nichts. Zu viele Fragen sind noch offen: Wie sollen die Tests organisiert werden? Wie oft dürfen sich die Menschen kostenlos testen lassen?Welche Rolle sollen Heim-Tests spielen, bei denen die Abstriche nicht von medizinischem Fachpersonal vorgenommen werden? Und sind genügend Tests zum Start verfügbar?
Die Nachbarn in Österreich haben mit diesen Fragen bereits seit mehreren Monaten Erfahrungen gesammelt. Schon im November wurde dort ein wohnortnahes niederschwelliges Schnelltesten für Personen mit Symptomen etabliert: ob in eigens aufgebauten Teststraßen - allein in Wien stehen derzeit sieben städtische Teststraßen kostenlos nach vorheriger Online-Anmeldung zur Verfügung -, in Apotheken oder beim Arzt: "Aus meiner Sicht war das ein Erfolg", sagt der Mediziner und Gesundheitswissenschaftler Martin Sprenger von der Universität Graz. Schon im Herbst hätten die Tester in Österreich die Erfahrung gemacht, so Sprenger gegenüber der DW, dass die Spezifizität dieser Tests in der Praxis deutlich höher ausfalle als sie die Hersteller selbst angeben. "Es gibt also viel weniger falsch positive Ergebnisse als erwartet", so Sprenger.
Gescheiterte Massentests
Angespornt von diesen Erfolgen und unter dem Eindruck steigender Infektionszahlen hat die Wiener Regierung die Schnelltests im Dezember ausgeweitet. Nun sollten alle Interessierte, auch diejenigen ohne Symptome, zu einem bestimmten Termin einen Massentest absolvieren können. Doch die Akzeptanz bei den Österreichern war verhalten - weniger als ein Viertel der Bevölkerung hat dieses Angebot angenommen. Ein für Anfang Januar geplantes zweites Massentest-Wochenende wurde abgesagt. "Die langfristigen Ergebnisse waren enttäuschend. Ähnlich wie bei vergleichbaren Massentests in Südtirol oder in der Slowakei", bilanziert Sprenger dieses Konzept, das sich in Europa trotz mehrfacher Versuche bislang nicht durchsetzen konnte.
"Ich war zunächst von der Idee, auch Menschen ohne Symptome oder Kontakt zu anderen Corona-Positiven zu testen, nicht überzeugt. Zwischenzeitlich habe ich aber meine Haltung geändert - auch wegen der geringen Falsch-Positiv-Rate", so der Gesundheitswissenschaftler.
Zwischenzeitlich wurde das zunächst noch punktuelle Angebot für die Tests ausgeweitet. Alle Österreicher - ob mit oder ohne Symptomen - haben heute die Möglichkeit, unkompliziert und kostenlos einen Corona-Schnelltest zu machen. In großen Teststraßen, wo das Bundesheer unterstützt, beim Arzt oder in den Apotheken.
Rund 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher können eine Teststation innerhalb von 15 Autominuten erreichen. Seit die Friseure Anfang Februar wieder geöffnet haben, ist ein aktueller negativer Schnelltest sogar Voraussetzung für einen Termin dort.
Positive Schnelltests werden gemeldet
Beim österreichischen Apothekerverband trifft diese Test-Strategie auf große Zustimmung. Die Versorgung mit Test-Kits verlaufe reibungslos - trotz der hohen Anzahl von täglichen Tests. Kleinere Apotheken, so ein Verbandssprecher auf DW-Anfrage, testeten zwischen 30 und 60 Personen am Tag - in den größeren Apotheken der Ballungszentren sind es mit bis zu 200 täglichen Tests sogar noch deutlich mehr. Fällt der Schnelltest positiv aus, werden nicht nur die Getesteten, sondern auch die Gesundheitsbehörden über das Ergebnis informiert. Ein PCR-Test wird dann zur Überprüfung angeordnet - fällt wegen der geringen Fehleranfälligkeit in der Regel dann auch positiv aus.
Die freiwilligen und kostenlosen Tests werden in Österreich seit Anfang Februar auch von einer neuen Teststrategie für Schulen flankiert. Zweimal pro Woche werden Lehrkräfte sowie Kinder und Jugendliche getestet – wer sich weigert, muss von zuhause aus lernen. Die Kinder können ihre "Nasenbohrer-Tests" selbst vornehmen, da die Proben hierfür nur aus dem vorderen Nasenbereich genommen werden und nicht von der Rachenwand.
Die in Österreich seit Monaten etablierten Tests sollen nun auch nach Deutschland kommen. Am Mittwoch hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die ersten drei Sonderzulassungen für Corona-Tests zur Eigenanwendung für Laien erteilt. Auch hier werden die Proben durch einen Abstrich im vorderen Nasenbereich entnommen.
Zahl der Neuinfektionen steigt
Auch wenn die aktuell erfasste Zahl von infizierten Schülerinnen und Schülern in Österreich mit 0,01 Prozent außerordentlich gering ist, findet Martin Sprenger zumindest das Massentesten an höheren Schulen für Kinder ab 12 Jahren sinnvoll. Es erhöhe die Sicherheit in diesem Bereich und auch die Spezifizität dieser Tests sei höher als die Hersteller angeben und Fachleute zunächst erwartet hätten. Träger des Virus mit hoher Infektiösität würden mit dieser Methode aus der großen Masse wirksam herausgefischt.
Und doch gibt es trotz des hohen Testaufwandes Sorgen im Land vor der weiteren Entwicklung. Die Zahl der Neuinfektionen in Österreich steigt aktuell - von 107 wöchentlichen Infektionen pro 100.000 Einwohner Anfang Februar auf mittlerweile 136. Diese Entwicklung, erklärt Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober, müsse man aber in Bezug zur Zahl der Tests setzen. "Das bedeutet natürlich auch, dass die Infektionszahlen auch dadurch leicht ansteigen. Denn mit mehr Testungen sehe ich natürlich besser in die Dunkelziffer hinein und mache mehr sichtbar, was an realem Infektionsgeschehen in Österreich vorhanden ist."
Zehnmal so viele Tests wie in Deutschland
Der Blick auf die jüngsten Zahlen des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten scheint diese Analyse zu bestätigen. Demnach verzeichnet Österreich hinter Dänemark, das Schnelltest ebenfalls großflächig einsetzt, die zweitniedrigste Rate an Positiv-Tests in der EU. Mehr als 16.600 Tests wurden in Österreich pro 100.000 Einwohner Mitte Februar wöchentlich abgenommen - mehr als zehnmal so viele wie in Deutschland, das mit seinen geringen Testzahlen in den vergangenen Wochen zu den EU-Schlusslichtern zählte. Es ist damit anzunehmen, dass die österreichische Teststrategie das Infektionsgeschehen präziser abbildet als das Vorgehen in Deutschland.
Mit Ausnahme der Schülertests auf dem Schulhof sieht Österreich aber bislang keinen massenhaften Einsatz von Antigen-Schnelltests zur Eigenanwendung vor. Martin Sprenger hält diese Entscheidung auch für sinnvoll. Zu viele Fragen seien hier ungeklärt. Die wohl wichtigste: Reagieren positiv Getestete entsprechend verantwortungsbewusst, wenn sie von ihrem Testergebnis erfahren, ohne dass dies auch an die Behörden gemeldet wird?
Doch auch hier deutet sich Bewegung an: Ab dem 1. März sollen die rund 850 österreichischen Apotheken kostenlos fünf Schnelltests an jeden für den Heimgebrauch verteilen.