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Ökostrom: Bittgang nach Brüssel

Bernd Riegert7. November 2013

Die Energiewende hatten sich manche so schön vorgestellt. Aber nun bemängelt die EU das Strom-Gesetz und droht mit Strafe. Gesandte der Großen Koalition eilen nach Brüssel - obwohl es die Regierung noch gar nicht gibt.

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Der amtierende Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ist das ein Zeichen für den Ernst der Lage? Da unterbrechen Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und SPD-Politikerin Hannelore Kraft ihre Koalitionsverhandlungen und eilen zur EU-Kommission. Ihre Mission: Drohendes Unheil zu verhindern - oder zumindest abzumildern. Ein Feuerwehreinsatz, mit Blaulicht sozusagen. Und das für eine Große Koalition, die es noch nicht einmal gibt.

Der EU-Kommissar für Wettbewerbsrecht, Joaquín Almunia, hat seit Monaten das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Visier. Konkurrenten deutscher Unternehmen hatten sich bei ihm beschwert. Der Vorwurf: Viele deutsche Firmen erhalten per Gesetz unerlaubte Rabatte auf den Strompreis. Nun prüft der Kommissar, ob er ein Verfahren gegen Deutschland wegen unerlaubter staatlicher Beihilfen eröffnen soll.

Seite an Seite gegen die EU-Kommission

Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen und vertritt die Sozialdemokraten bei den Koalitionsverhandlungen zur Energiepolitik. Sie ging nach dem Krisengespräch in Brüssel davon aus, dass Kommissar Almunia das ungeliebte Verfahren einleiten wird. "Das war uns auch klar, bevor wir hierher gefahren sind. Wir haben ihm noch einmal deutlich gemacht, welche Probleme wir dabei sehen", sagte Kraft - in demonstrativer Eintracht mit ihrem konservativen Verhandlungspartner bei der Regierungsbildung, Peter Altmaier.

Falls die EU zu dem Schluss kommt, dass deutsche Firmen unerlaubt Rabatte erhalten haben, drohen den Unternehmen hohe Rückzahlungen. Altmaier, Kraft und auch Verbandsvertreter der deutschen Industrie warnten daher den EU-Kommissar und seine Mitarbeiter: Die Eröffnung des Verfahrens würde bislang begünstigte Unternehmen zwingen, viel Geld für den Fall einer Strafe zurückzulegen.

Altmaier und Kraft sehen Arbeitsplätze in Gefahr

Dies würde sich negativ auf die Bewertung der Unternehmen durch Ratingagenturen auswirken. Firmenpleiten und der Verlust von Arbeitplätzen könnten die Folge sein, fürchtet Hannelore Kraft, in deren Bundesland Nordrhein-Westfalen viele der Unternehmen arbeiten, die viel Strom verbrauchen und bislang den Rabatt einstreichen.

Und Umweltminister Peter Altmaier ergänzt: "Wir hatten den Eindruck, dass man auch bei der Kommission verstanden hat, dass dieses Thema in Deutschland sehr wichtig ist, weil es einen großen Einfluss hat auf Arbeitsplätze und auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen."

Das EEG ist allerdings auch in Deutschland selbst umstritten: Es sieht vor, dass alle Stromkunden einen Aufpreis bezahlen. So soll die Energiewende hin zu grünem Strom finanziert werden. Viele Unternehmen aber sind von dem Aufpreis ausgenommen - besonders jene, die viel Strom benötigen und harte internationale Konkurrenz haben. Das bedeutet auch, dass der Aufpreis für alle anderen höher ist, als er es ohne die Rabatte wäre.

Almunia schweigt und prüft

EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia (Foto: REUTERS/Francois Lenoir)
Legt er sich mit Deutschland an? EU-Kommissar Joaquín AlmuniaBild: REUTERS

EU-Kommissar Almunia äußerte sich selbst nicht nach dem Gespräch mit der deutschen Delegation. Das ist in laufenden Verhandlungen auch nicht üblich. Ein Sprecher Almunias sagte lediglich, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Wann sie kommt, ließ er offen.

Kraft und Altmaier versuchten nach Kräften, die Entscheidung der Kommission zu beeinflussen. Die Große Koaliton werde das Erneuerbare-Energien-Gesetz bis Ostern 2014 reformieren und die Rabatt-Regeln neu formulieren, versprachen beide. Die beiden Unterhändler aus Berlin konnten allerdings nicht sagen, wie viele und welche Unternehmen künftig keine möglicherweise illegalen Vergünstigungen mehr erhalten sollen. Altmaier sagte, da seien sich die Verhandlungsgruppen bei der Regierungsbildung noch nicht einig: "Das wird noch schwierige Diskussionen zur Folge haben."

Reform des EEG ist in der Großen Koalition umkämpft

Die EU-Kommission kann die Vergünstigungen aus dem umstrittenen Erneuerbare-Energien-Gesetz für rechtens erklären. Sie kann sie aber auch als staatliche Beihilfen einordnen, die von Brüssel hätten genehmigt werden müssen. Diese Genehmigung könnte eventuell von der nächsten Bundesregierung nachgeholt werden.

Im für die deutschen Unterhändler schlimmsten Falle könnte EU-Kommissar Almunia bereits gewährte Rabatte für die vergangenen Jahre zurückfordern. Das würde die rund 2000 betroffenen Unternehmen viele Milliarden Euro kosten. Ob sich die Kommission durch die Vorschläge der künftigen Koalitionspartner besänftigen ließ, war nicht zu erfahren. "Der Inhalt der Gespräche ist vertraulich", so Peter Altmaier. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) appellierte noch einmal an die Kommission, kein reguläres Beihilfe-Verfahren zu eröffnen. Das würde ganze Branchen in Deutschland an den Rand der Existenz bringen, sagte BDI-Geschäftsführer Markus Kerber.

Letzte Station Luxemburg?

Strommast, Windräder und ein Kernkraftwerk bei Sonnenuntergang (Foto: k.A.)
Naht das Ende der Rabatte? Deutschlands Wirtschaft ist beunruhigtBild: Fotolia/Thorsten Schier

Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission gegen Unternehmen und Staaten sind nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist eher, dass sich Almunia gerade beim umkämpften Thema "Energiewende" mit dem größten Mitgliedsstaat anlegt, noch dazu in der Phase der Regierungsbildung.

Sollte die Kommissions-Entscheidung für Deutschland negativ ausfallen, könnte die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg klagen. Ein jahrelanger Rechtsstreit um das EEG wäre die Folge. Schon vor zwölf Jahren hatte der Europäische Gerichtshof das ursprüngliche Einspeisegesetz für geförderten Ökostrom grundsätzlich gebilligt.

Damals hatte ein Energieunternehmen geklagt, aber nicht wegen der jetzt umstrittenen Rabatte. Der Energieversorger "Preußen Elektra" hatte argumentiert, das Gesetz bevorzuge Ökostrom gegenüber Kohle- und Atomstrom, das sei ein unzulässiger Eingriff in den Wettbewerb. Das wiesen die Luxemburger Richter zurück. Sie haben also schon etwas Erfahrung mit dem EEG.