Winter of Discontent
31. August 2012"Wir haben unter sehr heiklen Umständen gearbeitet", sagt Amr Waked. "Die Revolution war im vollen Gange, alles war durcheinander, Menschen waren überall", erinnert sich der ägyptische Schauspieler. "Aber wir wollten uns von den Ereignissen inspirieren lassen. Wir haben die kreative Energie genutzt, von der die Revolution umhüllt war." Seine blauen Augen scheinen zu funkeln. Seine Worte klingen wohl bedacht. "Die Energie war so enorm, dass wir ihr einfach zuhören mussten. Wir wurden von ihr angetrieben." Und am 10. Februar 2011, nur einen Tag bevor Hosni Mubarak als Präsident von Ägypten zurücktrat, fing die Filmcrew mit den Dreharbeiten an. Auf dem Tahrir-Platz. Dort, wo die größten Aufstände im Winter 2011 gegen das Regime ausbrachen. Es war die Bühne der Revolution. Der perfekte Ort für die ersten Szenen des Filmes "Winter of Discontent".
Das Team wurde in den Strudel der Revolution hineingezogen. "Wir dachten, dass wir uns einfach leiten lassen und mit den Dreharbeiten beginnen müssen. Wir wussten, was wir vermitteln wollten", erinnert sich Waked. Der Filmemacher Ibrahim El-Batout ("Ain Shams") hatte eine vage Idee im Kopf. Umgesetzt wurde sie durch die Kreativität und die Improvisation des Teams. Es gab kein Drehbuch und nur wenig Geld. "Wir wussten, wir benötigen kein gigantisches Budget, um etwas zu produzieren, was die Leute wirklich schätzen", weiß Salah al Hanafy, der nicht nur die Filmrolle eines eiskalten Mitarbeiters der ägyptischen Staatssicherheit spielt, sondern den Film außerdem produziert hat. Für al Hanafy war es das erste Mal, dass er vor der Kamera stand.
Energie des Tahrir-Platzes als Inspiration
Die Schwenks sind langsam, die Bilder bleiben lange stehen. Den Schauspielern bleibt genug Zeit, um ihre Charaktere intensiv zu spielen. Farah Youssef, die in dem Film eine junge Fernsehjournalistin darstellt, bricht wütend aus der Maschine der Staatspropaganada aus, die unter dem Mubarak-Regime die Medienlandschaft dominierte. Ihre Tränen der Verzweiflung und der Wut auf sich selbst und das System lässt sie minutenlang rollen. Sie ist die Freundin von Amr (Amr Waked), einem politischen Aktivisten, der aufgrund seiner Tätigkeiten von der Staatssicherheit entführt und gefoltert wird. Während eines Verhöres trifft er auf Adel (Salah al Hanafy), den Mitarbeiter der Staatsicherheit, der sich aufgrund seiner Liebe zum Vaterland nicht scheut, seine Mitmenschen zu demütigen und zu quälen. Während in Ägypten die Revolution ausbricht, finden die drei Hauptcharaktere zu ihren Werten zurück. Zu den guten wie zu den schlechten.
"Winter of Discontent" feierte Anfang September bei den 69. Internationalen Filmfestspielen im italienischen Venedig Premiere. Das ägyptische Filmteam präsentierte dort sein Land, das sich aufgrund der Aufstände nicht nur politisch, sondern auch kulturell verändert hat. "Die Revolution war die Geburtststunde für eine neue Kunstform. Es ist die Energie auf dem Tahrir-Platz, die wie ein großer Generator für das Land ist", meint Salah al Hanafy. "Die Künstler haben eine sehr aktive Rolle übernommen. Natürlich sind wir alle besorgt über die weiteren Entwicklungen. Dennoch feiern wir die neue kreative Freiheit", stimmt ihm Amr Waked zu.
Die Ägypter sind aufgewacht
Salah al Hanafy und Amr Waked kennen sich bereits aus Schul-und Universitätszeiten. Als sie sich viele Jahre später in einem Restaurant in Kairo über den Weg liefen, hofften sie gemeinsam auf Erfolg in der ägyptischen Filmindustrie. Mit "Winter of Discontent" haben sie es geschafft. Nun rebellieren sie gegen die maroden Strukturen. "Die meisten Produzenten haben viel Geld", weiß Salah al Hanafy, "diese Leute arbeiten ganz anders als wir. Für sie sind Filme eine Geldmachmaschine. Sie haben keine Leidenschaft. Wir dagegen kommen von der Graswurzel. Uns ist klar, was die Leute wollen. Sie lieben Kino."
Mit ihrer Einladung nach Italien erreicht der ägyptische Film endlich wieder internationale Aufmerksamkeit. Das Festival zählt zu den wichtigsten in der Branche. "Die Aufführung in Venedig ist ein Qualitätsstempel. Das gibt uns die Energie, um das fortzuführen, woran wir glauben: den guten Low-Budget Film", spricht der 40-Jährige weiter. "Es geht darum, eine gute Idee zu haben. Es ist unser erster Feature-Film, von dem wir mit unserer Firma 'ZAD- Kommunikation und Produktion' immer geträumt haben. Viele Leuten haben gedacht, die Filmindustrie in Ägypten sei tot. Aber das ist sie nicht. Wir hatten eine Revolution, die Äypter sind aufgewacht", sagt er hoffnungsvoll.