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Zeit der Entscheidung für Deutschlands Regierung

27. September 2024

Bei den meisten Themen gibt es Streit in der Regierung. Die FDP hat ein Ultimatum gesetzt. Die Koalition müsse liefern, andernfalls drohe das Aus.

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Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz sitzen im Deutschen Bundestag auf der Regierungsbank und machen ernste Gesichter
Die Ampel gilt als zerrüttet - dabei muss sie Ergebnisse liefernBild: Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopress/picture alliance

Es waren drei denkwürdige Landtagswahlen für SPD, Grüne und FDP. Die Ergebnisse spiegeln die Stimmung im ganzen Land. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war eine Bundesregierung so unbeliebt wie die sogenannte Ampel-Koalition. 

Wie geht es nun weiter? In der Woche nach den Landtagswahlen zogen die Grünen personelle Konsequenzen und wollen sich auch inhaltlich neu aufstellen. Die Sozialdemokraten sind erleichtert, dass es nicht noch schlimmer kam und wollen möglichst geräuschlos weiterarbeiten. Allerdings mit geschärftem sozialdemokratischem Profil. Doch auch die FDP setzt auf Profilschärfung. Durchsetzen will die Partei ihre Interessen, indem sie mit ihrem Ausstieg aus der Koalition droht. Neuwahlen wären für alle drei Parteien verheerend. Zusammen erreichen die Koalitionäre in Umfragen derzeit weniger Zustimmung als die größte Oppositionskraft CDU/CSU allein.

FDP drängt SPD und Grüne mit Rücken zur Wand

Die FDP droht trotzdem - in der Hoffnung, damit maximalen Druck für inhaltliche Zugeständnisse aufzubauen. Haushalt, Wirtschaft, Migration, Rente - es stehen zahlreiche Gesetzesvorhaben an, bei denen die beiden linken Parteien SPD und Grüne andere Ansichten vertreten als die wirtschaftsliberale FDP. Deren Parteichef, Bundesfinanzminister Christian Lindner, mahnt, die Koalition werde an ihren Ergebnissen gemessen - "und daran werden wir als FDP sie auch messen".

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Vizekanzler, sitzen nebeneinander. Lindner schaut die anderen, die mit ernstem Gesicht nach vorne blicken, auffordernd an.
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner (li.) setzt die Koalition unter DruckBild: picture alliance / BMF/photothek.de

Lindner hat den "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen und damit ein Ultimatum gesetzt. Kann das funktionieren und hat die Ampel- Koalition überhaupt noch eine Chance?

Ampel streitet um die Rente

Nur eine Woche nach der letzten der drei Landtagswahlen im Osten ist der Streit schon wieder voll entbrannt. Am Freitag (27.9.) wurde das Rentenpaket im Bundestag debattiert. Es ist ein Herzensthema der SPD, die das Rentenniveau bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens bis 2039 festschreiben will.

Die gesetzliche Rente finanziert sich aus Beiträgen und Zuschüssen aus der Staatskasse. Aktuell leben 21 Millionen Rentner in Deutschland. Der demografische Wandel führt aber dazu, dass in den nächsten Jahren immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner finanzieren müssen. 

Gesetzliche Rente oft einzige Alterssicherung

Die FDP will daher mehr private Vorsorge und den Umbau des Rentensystems zu einer Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg und die SPD will sicherstellen, dass in dieser Zeit jeder Rentner von seinen Altersbezügen leben kann. 

"Für die meisten Menschen in diesem Land ist die wichtigste und für viele Menschen übrigens die einzige Absicherung im Alter die gesetzliche Rente", so Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil im Bundestag. Die Regierung müsse in dieser Frage Sicherheit geben.

Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, sitzt im Bundestag und hört zu. Er hat seine Brille in die Hand genommen und hält sie vor sich.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Rentenreform ohne Abstriche durchbringenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Sozialabgaben in Deutschland bei 40 Prozent

Eigentlich hatte FDP-Chef Lindner im Frühjahr nach langen Debatten seine Zustimmung zum Rentenpaket gegeben, das auch den Einstieg in eine Aktienrente vorsieht. Seiner Partei reicht das nun aber nicht mehr aus. "Stabilisierung der Rente kann nicht bedeuten, wir erhöhen einfach die Beiträge für die arbeitende Mitte und für die Jungen immer weiter", kritisierte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Johannes Vogel im Bundestag. 

Die Sozialversicherungsbeiträge würden in Deutschland jetzt schon 40 Prozent der Löhne und Gehälter ausmachen. "Heute schon ist es ein Problem für unseren Standort, dass wir Weltmeister bei Steuern und Abgaben sind." Das Gesetzesvorhaben sei so nicht zustimmungsfähig, da müsse es Nachbesserungen geben.

Sozialdemokraten ärgern sich über die FDP

Für die SPD ist das ein neuerlicher Affront. SPD-Chef Lars Klingbeil pocht auf Vertragstreue. "Klar ist: Das, was wir verabredet haben, das muss kommen. Ich kann nicht ganz verstehen, dass die FDP-Fraktion sich jetzt gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden auflehnt", sagte Klingbeil gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

Viel Arbeit, wenig Geld: Altersarmut in Deutschland

Ähnlich wie bei der Rente droht Streit auch bei den anderen Themen, die die Bundesregierung noch bearbeiten will und muss. Größter Brocken ist der Haushalt für das kommende Jahr. Der Etat wird derzeit im Bundestag beraten, bis Ende November ist dafür Zeit. Im aktuellen Entwurf klafft eine Finanzierungslücke von rund zwölf Milliarden Euro. 

Verfassungswidriger Bundeshaushalt?

Um die Lücke zu stopfen, wird der Betrag als "Globale Minderausgabe" veranschlagt. Übersetzt heißt das, dass die Ministerien die Summe im kommenden Jahr im laufenden Betrieb irgendwie einsparen sollen. Sachverständige haben das in einer Anhörung im Bundestag als verfassungswidrig kritisiert. Der Bundeshaushalt dürfe durch einen solchen Posten nicht nur zum Schein ausgeglichen werden.

Dazu kommt, dass die Lücke sogar größer ausfallen kann. Ende Oktober wird die Steuerschätzung Klarheit bringen, mit welchen Einnahmen im kommenden Jahr zu rechnen ist. Angesichts der wirtschaftlichen Talfahrt in Deutschland könnte die Regierung eine böse Überraschung erleben. 

Ampel-Streit auch beim Wachstumspaket

Um die Unternehmen zu entlasten, plant die Regierung eine "Wachstumsinitiative", in der sie 49 Maßnahmen vorsieht. Doch auch hier prallen die unterschiedlichen politischen Denkschulen aufeinander. SPD und Grüne setzen auf staatliche Eingriffe und Finanzhilfen, doch die FDP hält eisern an der Schuldenbremse fest und will keinesfalls neue Kredite aufnehmen.

Deutschland | Habeck besucht VW-Werk in Emden. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei einem Rundgang durch die Elektro-Montage des VW-Werkes Emden mit Mitarbeitenden
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) möchte den Kauf von Elektroautos wieder fördernBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Für einige der Kernpunkte der Wachstumsinitiative hat die Bundesregierung bis jetzt keine Gesetzentwürfe vorgelegt, was die FDP argwöhnen lässt, SPD und Grüne wollten die Umsetzung ausbremsen. Wirtschaftswissenschaftler zweifeln bereits an, ob die Initiative überhaupt den gewünschten Effekt haben würde. Eine Steigerung des Wirtschaftswachstums von 0,5 Prozent im nächsten Jahr halten sie für zu optimistisch.

Minderheitsregierung nach Ausstieg der FDP möglich

So geht die Koalition genauso zerstritten in den "Herbst der Entscheidungen", wie sie aus dem Sommer herausgegangen ist. Ob das Ultimatum der FDP tatsächlich bis zum Beginn des Winters läuft, bleibt abzuwarten. Die Verabschiedung des Haushalts dürfte als Zäsur gesetzt sein. Am 14. November ist die finale Sitzung im Haushaltsausschuss des Bundestags angesetzt, dort fallen die Entscheidungen.

Sollte die FDP mit dem Ergebnis nicht leben können und die Koalition verlassen, würde das nicht automatisch das Ende der Bundesregierung und Neuwahlen nach sich ziehen. Bundeskanzler Olaf Scholz könnte mit seiner SPD und den Grünen auch in einer Minderheitsregierung weitermachen. Zwar hätten sie dann keine Mehrheit, um Gesetze im Parlament durchzubringen. Aber die Parteien hätten Zeit bis zur nächsten regulären Bundestagswahl im September 2025 - in der Hoffnung, bis dahin beim Wähler wieder besser anzukommen.