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Begegnung mit Engeln

Petra Füchsel8. Juli 2003

"Five Angels for the Millennium" – so heißt die neueste Installation des amerikanischen Videokünstlers Bill Viola. Sie ist mitten im Ruhrgebiet, im Gasometer in Oberhausen, zu bestaunen.

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Aufsteigender EngelBild: Kira Perov

Samtene Dunkelheit umfängt die Besucher. Im zylindrischen Innenraum des Gasometers in Oberhausen hängen fünf überdimensionale Videoschirme, auf denen gleichzeitig Filmsequenzen ablaufen. Die Beschreibung von Violas Arbeiten ist auf den ersten Blick denkbar einfach: Auf den Leinwänden wird in unterschiedlichen, zyklisch ablaufenden Bildsequenzen gezeigt, wie ein Mann in weißem Hemd und mit ausgebreiteten Armen ins Wasser springt und durch ein Becken gezogen wird. Durch die künstlerische Nachbearbeitung und die in den Videos umgekehrte Bildfolge wird dieser schlichte Sprung auf den zweiten Blick jedoch zum Auftauchen; gleichsam zur Geburt. Die menschliche Gestalt durchbricht mit einer plötzlichen Explosion von Licht und Klang die Oberfläche, so dass die friedliche Wasseroberfläche zerstört wird. Leuchtende Blasen schweben wie Sterne in den Nachthimmel, wenn die menschliche Form den Spalt zwischen Himmel und Erde überquert.

Grenzsituationen

Videokünstler Bill Viola
Videokünstler Bill ViolaBild: AP

Viola will mit diesen Bildern eine Phase der Transzendenz und des Übergangs schaffen – eine Grenzsituation zwischen Leben und Tod. Und das gelingt tatsächlich: Das Betrachten der Installation wird zu einer Art kosmischen Erfahrung für den Besucher. Grenzsituationen menschlicher Existenz, Vergänglichkeit und Wiedergeburt werden dem Betrachter in abstrakter und zugleich spiritueller Weise nahe gebracht.

Die deutlichen Bildbezüge zu Gemälden aus der Renaissance und die christliche Ikonografie verstärken diesen Effekt. Auch die Namen, die der Künstler seinen Werken gegeben hat, sprechen für sich: Departing Angel (Engel des Abschieds und Neubeginn), Birth Angel (Geburtsengel), Fire Angel (Feuerengel), Ascending Angel (Aufsteigender Engel) und Creation Angel (Engel der Schöpfung).

Groß, größer am größten

Im Gesamtkonzept der Ausstellung jagt ein Superlativ den nächsten. Bill Viola hat mit "Five Angels for the Millennium" seine bislang größte Arbeit geschaffen und das Oberhausener Gasometer ist mit seinen 117,5 Metern das größte und höchste in Europa. Um eine Videoinstallation in diesen Ausmaßen zu realisieren, griff der Künstler auf die allerneueste Technik zurück. Auf fünf Leinwänden von jeweils 15 x 11 Metern projiziert er seine fünf bis neun Minuten langen Videosequenzen. Die geeigneten technischen Anforderungen erfüllten nur die allerneuesten digitalen Filmprojektoren, die ursprünglich für den Einsatz in Kinos entwickelt worden sind.

Der Prozess des Wartens

Bill Viola 5angels im Gasometer von unten mit Rosette
"Five Angels for the Millennium" im Gasometer in OberhausenBild: Wolfgang Volz

Die extreme Verlangsamung der Bilder, die "Entschleunigung", ist eines der künstlerischen Grundprinzipien des seit 30 Jahren die ästhetischen und technischen Möglichkeiten der Video-Kunst auslotenden Kaliforniers. Mit diesem Mittel will er die Betrachter zur Besinnung und zum Nachdenken bringen und damit einen gesellschaftlichen Trend aufhalten. In einem Interview beklagt der Künstler, dass in der westlichen Kultur der Ort der Besinnung langsam an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde.

Industriekathedrale im Ruhrgebiet

Auf der Suche nach einem Ausstellungsort für seine Installation war Bill Viola vom Oberhausener Gasometer, einem beeindruckenden Dokument der Bau- und Technikgeschichte, besonders fasziniert. Beim Betreten des gigantischen Zylinders stellte er fest: "Dasselbe Gefühl hat man, wenn man den Petersdom in Rom oder den Dom in Köln oder Westminster Abbey in London besucht", um sich Augenblicke später zu fragen: "Wieso kam ich mir vor wie in dem sakralen Raum einer Kathedrale?" Das gewaltige Raumerlebnis in dem 1929 erbauten Scheibengasbehälter hatte für Viola – wie er selbst feststellt – schon fast etwas Einschüchterndes.

Außergewöhnliche Akustik

Am meisten zeigte er sich jedoch von der Akustik des Raumes begeistert. Durch die runden Wände und die Oberfläche der harten Stahlkonstruktion wird jedes Geräusch deutlich intensiviert und ein achtfaches Echo erzeugt. Dieses einzigartige akustische Phänomen wollte sich der Videokünstler auch für die Geräuschkulisse zu seiner Installation zu nutze machen.

Stark verlangsamte Laute von Nachtheuschrecken und Grillen, Luft- und Windgeräusche, Vogelgezwitscher und die Geräusche einer Schnellstraße bilden den akustischen Hintergrund der Videosequenzen. Die zusätzliche Sinneserfahrung über das Ohr ist dem Künstler sehr wichtig. Denn laut Viola hat der dreidimensionale Soundtrack die Funktion, das zweidimensionale Bild zum Betrachter in den Raum hinein zu transportieren. "Geräuschlose Bilder bleiben," wie er sagt, "wo sie sind, an der Wand".

Internationale Museen-Kooperation

Der Erfolg seines Werkes ist Bill Viola jetzt schon sicher: Im Vorfeld der RuhrTriennale gaben die Londoner Tate Gallery, das New Yorker Whitney Museum und das Pariser Centre Pompidou bekannt, dass sie die Video-Installation gemeinsam erwerben werden. - Der Ankauf ist die erste internationale Kooperation von drei der weltweit bedeutendsten Museen, die sich gemeinsam für ein zeitgenössisches Kunstwerk in dieser Größe einsetzen.