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Was folgt der Bluttat von München?

Kay-Alexander Scholz, Berlin23. Juli 2016

Noch stehen im politischen Berlin Trauer und Mitgefühl im Mittelpunkt. Dazu äußerte sich nun auch die Kanzlerin öffentlich. Der Bundesinnenminister warf erste Fragen nach den Konsequenzen auf.

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Nach Schießerei in München: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere vor der Presse in Berlin (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Nicht einmal 24 Stunden nach dem Amoklauf von München trat Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Berlin am Samstagnachmittag vor die Presse. Seinen Urlaub in den USA hatte er noch in der Nacht abgebrochen, um am Samstagmittag die Lage im Kanzleramt zusammen mit Angela Merkel und dem sogenannten Sicherheitskabinett zu beraten. Direkt im Anschluss flog er nach München zu einer Kranzniederlegung am Tatort.

In Berlin bestätigte de Maizière die Zahl von neun Opfern und elf Schwerverletzten des Amokläufers. Seine Gedanken seien bei den Angehörigen, die nun weinten oder beteten. Angesichts der vielen jugendlichen Opfer zerreiße es einem schier das Herz.

Der Attentäter, bei dem es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Einzeltäter gehandelt habe, sei vorher völlig unauffällig gewesen, weder Polizei, noch Staatsschutz oder Nachrichtendienste hätten ihn im Visier gehabt.

Merkel: "Immer sind es Orte, an denen jeder von uns hätte sein können" (Foto: dpa)
Merkel: "Orte, an denen jeder hätte sein können"Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Durchsuchung der Wohnung durch eine GSG9-Spezialeinheit habe gezeigt, dass sich der Attentäter für Amokläufe interessiert habe. Bisher gebe es keine Hinweise auf Verbindungen zum internationalen Terrorismus. Allerdings liefen die Ermittlungen noch.

Tödlicher Facebook-Flashmob?

Als besonders perfide bezeichnete de Maizière, falls sich bestätigen sollte, dass der Täter vorher über Facebook gezielt zu einer Art Flashmob im Einkaufszentrum eingeladen habe. Dann hätte er dafür den Account einer unbeteiligten dritten Person gehackt. Die Ermittler gingen dem nach.

Die Eltern des Täters seien Ende der 1990er Jahre als Asylbewerber aus dem Iran nach Deutschland gekommen.

De Maizière betonte mehrmals, wegen der noch laufenden Ermittlungen und der anhaltenden Trauer kein Wort über gesetzgeberische Konsequenzen verlieren zu wollen. Gleichzeitig warf er Fragen auf.

München: de Maizière zeigt Verständnis für Gefühle der Menschen

Strategien gegen Gewalttaten

Hätte es die Möglichkeit gegeben, vorher einzugreifen? Wie kann es ein gesellschaftliches Umfeld schaffen, so eine Explosion von Gewalt zu verhindern? Fehlt es generell an Achtsamkeit in unserer Gesellschaft? Diese Fragen warf ein sichtlich emotional getroffener Innenminister auf.

Das Gefühl, unwichtig, abgehängt und ausgestoßen zu sein, könne, dass zeigten viele Studien, zu einer Radikalisierung führen. Auch der Täter sei möglicherweise von Gleichaltrigen gemobbt worden. Oft sei bei Menschen mit einer Ich-Schwäche die Sehnsucht nach vermeintlicher Stärke ein auslösendes Moment für extreme Handlungen. Das alles könne keine Entschuldigung, aber vielleicht eine Erklärung sein. So dachte de Maizière laut nach.

Der Innenminister regte zudem eine Debatte über gewaltverherrlichende Spiele im Internet an. Das Ausmaß dieser Spiele sei unerträglich, das könne niemand mehr bestreiten.

Ausgesprochen nachdenklich äußerte sich de Maiziere auch zur Rolle der Sozialen Medien bei solchen Taten. Früher hätte die Polizei zunächst eine Informationssperre verhängt und sei dann an die Presse getreten. Im Zeitalter der Sozialen Netzwerke aber bestimme nicht mehr primär die Polizei, welche Informationen wann an die Öffentlichkeit gelangten. Das bringe Vorteile mit sich, weil viele Ermittlungserfolge inzwischen auf Bilder aus Sozialen Medien zurückzuführen seien. Andererseits aber verbreiteten sich so auch Gerüchte, die die Lagebeurteilung behinderten. Ein Beispiel dafür sei das Gerücht, es habe drei Täter mit Langwaffen gegeben.

Die Polizei müsse sich deshalb generell fragen, wie das Zeitalter der Sozialen Medien ihre Öffentlichkeitsarbeite verändere.

"Freiheit und Mitmenschlichkeit"

Zuvor war auch die Bundeskanzlerin vor die Presse getreten. Allerdings durften nach ihrem Statement keine Fragen gestellt werden. Merkel verwies auf die direkt anschließende Pressekonferenz des Bundesinnenministers, der auch Fragen beantworten werden.

Am Samstag tagte, wie in solchen Situationen üblich, das Sicherheitskabinett unter Leitung der Kanzlerin (Foto: dpa)
Am Samstag tagte, wie in solchen Situationen üblich, das Sicherheitskabinett unter Leitung der KanzlerinBild: picture-alliance/dpa/J. Denzel

"Hinter uns liegt eine Nacht des Schreckens", sagte Merkel. "Wir alle trauern mit schwerem Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden, und teilen die Trauer ihrer Angehörigen."

Sie könne jeden verstehen, der nach den schrecklichen Ereignissen heute mit Beklommenheit auf eine Menschenmenge zugehe. Zugleich lobte die Kanzlerin Polizei, Sicherheits- und Rettungskräfte für deren hervorragende Arbeit. Gleiches gelte für die Hilfsbereitschaft der Münchener in der Tatnacht, in der viele ihre Wohnungen Fremden zur Verfügung stellten. "In dieser Freiheit und Mitmenschlichkeit liegt unsere größte Stärke."

Die Bundeskanzlerin versprach, die Tat von München, ebenso wie die Motive des Attentäter von Würzburg nur wenige Tage zuvor, vollständig aufzuklären.

Die Nachricht von den Geschehnissen in München hatte auch die Bundeskanzlerin in ihrem Urlaub erreicht, den sie deshalb unterbrach. Es gab kritische Stimmen, Merkel sei zu spät vor die Presse getreten. Andererseits hieß es, sie habe abwarten wollen, bis sich die Lage beruhigt habe. In der Nacht hatte ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier versichert, die Kanzlerin werde über alle Geschehnisse auf dem Laufenden gehalten.