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Mali: Der Zorn der Jugend

Hilke Fischer13. Juli 2016

Mehr Terroranschläge, mehr kriminelle Überfälle, mehr bewaffnete Konflikte: Das ist Malis traurige Bilanz ein Jahr nach Abschluss des Friedensvertrages. Bei den jungen Nordmaliern wächst der Frust.

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Mali Sicherheitskräfte eröffnen Feuer auf Demonstranten
Bild: Reuters/Souleymane Ag Anara

Es beginnt als friedlicher Protestzug. Dann brennen Autoreifen, Demonstranten werfen Steine auf Polizisten. Die Einsatzkräfte antworten mit Tränengas und scharfen Geschossen, drei Demonstranten sterben durch Polizeikugeln. Dies sind Szenen, die sich in der nordmalischen Stadt Gao abspielen, wo in diesen Tagen hunderte junge Menschen auf die Straße gehen, um gegen die geplanten Übergangsbehörden zu protestieren. Denn wer die Posten bekommt, wird nicht per Wahl entschieden, sondern von der malischen Regierung in Bamako - gemeinsam mit den verschiedenen Rebellengruppen, die den Norden noch vor wenigen Jahren beherrschten. So sieht es ein Friedensvertrag vom Mai 2015 vor.

"Die Bevölkerung ist mehrheitlich gegen diese Übergangsbehörden, weil sie befürchtet, dass dadurch ehemalige Rebellen an die Macht kommen", sagt Marcel Maiga. Er ist Vorstandsmitglied eines Vereins in Deutschland lebender Malier und reist mehrmals jährlich in den Wüstenstaat. Viele junge Männer dort fühlten sich vom malischen Staat betrogen: "Sie hatten sich während der Besetzung in Widerstandsgruppen formiert. Sie hatten sich für den Staat eingesetzt und versucht, den Rebellen Paroli zu bieten. Jetzt verhilft der Staat womöglich genau diesen Rebellen zu wichtigen Posten. Damit sind die Menschen natürlich überhaupt nicht zufrieden."

Mali Unruhen Protest Menschen auf den Straßen Polizeigewalt
Bei den Ausschreitungen wurden am Montag drei Menschen erschossenBild: Reuters/S. Ag Anara

Gefährlichster UN-Einsatz weltweit

Im Frühjahr 2012 hatten Tuareg-Rebellen und islamistische Milizen das Machtvakuum nach einem Militärputsch genutzt, um weite Gebiete im Norden Malis unter ihre Kontrolle zu bringen. Schon seit Jahrzehnten fordern Vertreter der Tuareg mehr Autonomie für das Gebiet, das sie Azawad nennen. Die Islamistengruppen vertrieben im Anschluss an die Eroberung jedoch die Tuareg-Rebellen aus den meisten Städten und drangen Anfang 2013 weiter nach Süden vor. Erst dann griff die französische Armee ein und drängte die Islamisten bis ins malisch-algerische Grenzgebiet zurück.

Inzwischen versucht eine UN-Friedensmission, den Wüstenstaat zu stabilisieren. Vor zwei Wochen beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Zahl der in Mali stationierten Soldaten um 2500 auf knapp 13.300 aufzustocken. Der MINUSMA-Einsatz gilt als die gefährlichste UN-Mission weltweit: Mehr als 100 Blauhelme wurden in den vergangenen drei Jahren getötet. Deutschland ist mit rund 500 Soldaten an der Mission beteiligt.

Tuareg Rebellen unterzeichnen Friedensabkommen in Bamako
Die wichtigsten Tuaregbewegungen unterzeichneten das Abkommen vom MaiBild: GettyImages/AFP/H. Kouyate

Streitpunkt Demobilisierung

Die Blauhelme sollen helfen, die Umsetzung des vor gut einem Jahr zwischen der malischen Regierung und verschiedenen Tuareg-Rebellengruppen geschlossenen Friedensabkommens zu überwachen. Das Papier sieht unter anderem vor, dass alle Gruppen die Regierung in Bamako anerkennen. Es gibt dem Norden des Landes aber auch mehr Rechte und den ehemaligen Separatisten mehr Einfluss - etwa durch Vertreter in den kommunalen Übergangsbehörden.

Im Rahmen des Abkommens sollen zudem alle Kämpfer ihre Waffen abgeben. Aufständische sollen in die malische Armee integriert werden oder andere finanzielle oder materielle Anreize erhalten. Ein Vorgehen, das nicht unumstritten ist: "Einige Gruppen werden verdächtigt, die Zahl ihrer Kämpfer viel zu hoch angegeben zu haben", gibt Paul Melly, Westafrika-Experte vom britischen Thinktank Chatham House, zu bedenken. "Es kann durchaus passieren, dass Männer, die nie Kämpfer waren, dafür aufgestellt werden, um an Ressourcen zu kommen." Auch das schüre den Ärger der Jungen, die jetzt in Gao auf die Straße gingen, sagt Marcel Maiga: "Als der Staat nach Gao zurückgekehrt ist, waren sie die ersten, die freiwillig ihre Waffen abgegeben haben. Deshalb werden sie in dem aktuellen Demobilisierungsprozess nicht berücksichtigt, ihnen werden keine Jobangebote gemacht."

Karte Mali Seperationbewegung Azwad Deutsch
Ursprünglich forderten die Rebellen die Unabhängigkeit des Nordens - nun soll ihnen mehr Autonomie eingeräumt werdenBild: DW

Die Gewalt hält an

Trotz des Friedensprozesses reißt die Gewalt in Mali nicht ab. Noch immer sind zahlreiche islamistische Milizen im Land aktiv - sie hatten gar nicht erst an den Verhandlungen teilgenommen. Die Islamisten werden für die Mehrzahl der Angriffe auf malische und UN-Soldaten verantwortlich gemacht und agieren längst nicht mehr nur im Norden des Landes: Im vergangenen November überfielen Islamisten ein Luxushotel in Bamako und töteten 20 Menschen. Seitdem gilt in Mali der Ausnahmezustand; an diesem Freitag soll er offiziell auslaufen. Die Gefahr von Angriffen bleibe aber weiterhin bestehen, sagt Mali-Experte Paul Melly. "Die echte Herausforderung ist, funktionierende Institutionen aufzubauen, Sicherheit herzustellen und die Menschen untereinander zu versöhnen. Dafür ist es unerheblich, ob der Ausnahmezustand gilt oder nicht."

Gleichzeitig gerät das Zentrum Malis immer stärker unter Druck: Die begrenzten fruchtbaren Landstriche reichen nicht aus, um die Bevölkerung zu ernähren. Das führt zu bewaffneten Konflikten zwischen Viehhirten und Ackerbauern. Seit einigen Monaten dehnt zudem eine neue islamistische Gruppierung ihren Einfluss in Zentralmali immer weiter aus. "Der Grund, warum solche Konflikte immer wieder auftreten können, ist die Abwesenheit des malischen Staates", sagt Marcel Maiga. "Wenn die Verwaltung und die Justiz nicht funktionieren, dann hilft das natürlich einzelnen Gruppen und Individuen, gewaltsame Konflikte zu schüren, von denen sie dann persönlich profitieren."

Mali Unruhen Polizei
Die UN-Mission in Mali soll auf knapp 13.300 Soldaten aufgestockt werdenBild: Getty Images/AFP/S.Aganara