1. Ir al contenido
  2. Ir al menú principal
  3. Ir a más sitios de DW

Kommentar: Schicksalsstunde Europas

Alexander Kudascheff 23 de junio de 2016

Die politische Torheit eines Einzelnen führt vielleicht die gesamte EU in die Krise. Das wird nicht ohne Folgen bleiben, ganz gleich wie das britische Referendum ausgeht, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

https://p.dw.com/p/1JBc4
Karte Brexit EU ohne Großbritannien Symbolbild

Ganz Europa starrt und hofft: dass die Briten in der EU bleiben, dass das Referendum über den Brexit zum Schluss glimpflich ausgeht. Ganz Europa hofft? Natürlich nicht. Die Gegner, die Skeptiker, die Feinde des europäischen Clubs - sie hoffen auf ein "leave". Denn wenn die Briten sich von der EU scheiden lassen, dann hat das natürlich eine Signalwirkung: für EU-skeptische Regierungen, aber vor allem für die EU-feindlichen Parteien - wie zum Beispiel den Front National in Frankreich oder die Freiheits-Partei von Geert Wilders in den Niederlanden. Man muss in diesem Zusammenhang nur daran erinnern: In beiden Ländern, Gründungsmitgliedern der EWG, ist bei Volksabstimmungen der erste Entwurf einer Verfassung der EU abgelehnt worden. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit würden beide Parteien in beiden Ländern versuchen, ebenfalls Volksentscheide über die Zugehörigkeit zur EU zu erzwingen. Deren Ausgang: mehr als ungewiss.

Reformen der EU sind dringend nötig

Also: Fast ganz Europa hofft. Genauer: das vernunftbetonte Europa. Das aber trotzdem weiß: Selbst wenn Großbritannien Mitglied der EU bleibt, sind Reformen dringend nötig. Die Antwort auf ein britisches "remain" wird zunächst ein Stoßseufzer der Erleichterung sein. Dann aber muss die EU anfangen, sich Gedanken zu machen, wie das zum Teil abgrundtiefe Misstrauen "gegen die da in Brüssel" überwunden werden kann. Der Sinn und der Nutzen der EU muss wieder deutlicher werden.

Kudascheff Alexander Kommentarbild App
DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Dem Gefühl, dass die europäische politische Klasse als abgehobene Elite agiert, darf nicht mit der üblichen Floskelrhetorik "mehr Europa sei jetzt dringender nötig denn je" begegnet werden. Das Gegenteil ist der Fall: Man muss die sachlich zutreffende Kritik an Missständen in der EU und in Brüssel - bei Kommission, Parlament und Rat - ernsthaft aufgreifen. Die EU braucht eine Reform und sie muss den Bürgern ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln.

Es gibt viele sachliche und ökonomische Gründe, warum es für Großbritannien besser ist, in der EU zu bleiben. Und es gibt viele sachliche und ökonomische Gründe, warum es für die EU besser ist, wenn Großbritannien ihr Mitglied bleibt. Weltpolitisch spielen Großbritannien ohne die EU und die EU ohne Großbritannien bestenfalls eine Nebenrolle auf der globalen Bühne. Eine Union ohne den Einfluss der Briten wäre ohne Zweifel weniger pragmatisch, weniger liberal, weniger weltoffen und weniger marktgläubig, als es die EU jetzt ist. Und Deutschland verlöre wohl seinen wichtigsten Partner, wenn es darum geht, die EU nicht nur als Geldumverteilungsmaschine zu begreifen.

Komplexe Fragen gehören ins Parlament

Wie auch immer das Referendum ausgeht - eines ist jetzt schon sicher: Der britische Premier Cameron hat ausschließlich aus innerparteilichen Gründen - um die Skeptiker in seiner konservativen Partei ruhig zu stellen - das Referendum gewollt und gewagt. Und er hat die EU damit in eine schicksalshafte Krise gestürzt. Er hat genau jene euroskeptischen Geister gerufen, die er eigentlich loswerden wollte. Er hat das Schicksal seines Landes und der gesamten EU in die Hände eines sinnlosen und völlig unnötigen Referendums gelegt. Und selbst wenn die Briten so pragmatisch und vernünftig entscheiden, wie in vielen Staaten der EU gehofft wird: Cameron hat einen Riss in sein Land getragen. Und er hat die Fundamente der EU an ihre Belastungsgrenze geführt. Politisch war der Entschluss zum Volksentscheid deswegen eine Torheit. Und der äußerst emotionale Verlauf der vergangenen Wochen - bis hin zur Ermordung der britischen Abgeordneten Cox - hat nur unterstrichen, dass solch komplexe Fragen fürs Parlament taugen, aber nicht für einen Volksentscheid.