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Gleichstellung auf Koreanisch

Fabian Kretschmer27. Mai 2016

Ein tragischer Mordfall in Südkorea hat eine große Debatte über die gesellschaftliche Position der Frau entfacht. Jetzt wird der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit laut.

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Gedenkbotschaften am Ausgang der U-Bahnstation Gangnam in Seoul (Foto: Steven Borowiec)
Bild: Steven Borowiec

Als sich die Frauenrechtsaktivistin Kim Se-jeong vor den Ausgang der U-Bahnstation Gangnam stellte, waren die Spuren der Trauer längst verschwunden. Abertausende gelbe Klebezettel, beschriftet mit Gedenkbotschaften, waren bereits von der Glasfassade abgenommen worden. Statt Demonstranten passieren nur mehr geschäftige Anzugträger die engen Bürgersteige von Seouls noblem Geschäftsbezirk Gangnam.

Kim, die 22-jährige Studentin der Medienwissenschaften, ist dennoch zum einstigen Tatort zurückgekehrt. Demonstrativ hielt sie ein Schild vor ihre Brust: "Wir Frauen müssen nun gemeinsam handeln!" "Endlich ist die Zeit gekommen, um für unsere Rechte einzustehen", sagt sie in zuversichtlichem Tonfall. "Lange genug haben wir unsere Stimmen unterdrückt."

Frauenrechtsaktivistin Kim Se-jeong (Foto: DW)
Frauenrechtsaktivistin Kim Se-jeongBild: DW/F. Kretschmer

Brutaler Mord aus Hass

Nur wenige Meter entfernt hatte sich vor einer Woche ein offenbar psychisch kranker 34-Jähriger nachts in eine öffentliche Toilette eingeschlichen. Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen, wie er dort fast eine Stunde auf sein Opfer wartete. Währenddessen besuchten mehrere Männer den Raum, ohne dass etwas passierte. Sobald jedoch eine 23-jährige Frau die Toilette betrat, stach der Tatverdächtige die ihm völlig fremde Person mit einem Messer zu Tode. "Weil ich mich mein Leben lang von Frauen ignoriert fühle", sagte der ehemalige Theologiestudent später bei der Polizeivernehmung.

Schon bald hat sich aus dem zunächst singulär erscheinenden Mordfall eine bisher nie da gewesene Debatte darüber entfacht, wie die koreanische Gesellschaft mit ihren Frauen umgeht.

So verwandelten am nächsten Morgen tausende Trauernde den U-Bahnausgang gegenüber dem Tatort in einen öffentlichen Altar. Sie legten gelbe Chrysanthemen nieder und klebten kleine Zettel an die Glasfassade. "Ein grundloser Tod - auch ich hätte sterben können", steht auf einer der Nachrichten. Auf einer weiteren heißt es: "Wenn sie nur deswegen getötet wurde, weil sie eine Frau ist, dann bin ich nur eine weitere Frau, die Glück gehabt hat, am Leben zu sein."

Gedenkbotschaften am Ausgang der U-Bahnstation Gangnam in Seoul (Foto: DW)
Gedenkbotschaften am Ausgang der U-Bahnstation Gangnam in SeoulBild: DW/F. Kretschmer

Soziale Abschätzigkeit

Lange Jahrzehnte wurde nur wenig über die verbreitete Abschätzigkeit gegenüber Frauen in der südkoreanischen Gesellschaft geredet. Einige Statistiken zeichnen jedoch ein betrübliches Bild. So ist Südkorea laut einer UN-Studie eines der ganz wenigen Länder, in denen mehr Frauen als Männer durch Gewaltverbrechen ums Leben kommen. Die Nachrichtenagentur AP wiederum zitiert im Zusammenhang mit dem Mord an der Studentin eine Statistik der Staatsanwaltschaft Südkoreas, wonach im Jahr 2014 85 Prozent der insgesamt 34.000 Opfer von "heimtückischen Gewaltverbrechen, darunter Mord, Raub und sexuellem Verbrechen" Frauen waren. Laut einer anderen Erghebung haben über 40 Prozent aller verheirateten Frauen unter 65 Jahren nach eigener Aussage bereits unter häuslicher Gewalt gelitten. Das Seouler Frauenministerium hatte 2013 eine Umfrage durchgeführt. Dabei gaben schließlich vier von fünf aller befragten Südkoreanerinnen an, sich bei nächtlichen Taxifahrten unsicher zu fühlen.

"Unmissverständliche Blicke"

Auch Bettina Dirauf kennt solche Situationen nur allzu gut. "Bevor ich nach Südkorea gezogen bin, hätte ich nicht gedacht, hier jemals solche Erfahrungen zu machen", sagt die 24jährige Deutsche, die derzeit ein Auslandsstudium in Seoul absolviert. Mehrmals hätten sie Taxifahrer mit unmissverständlichen Blicken eingeschüchtert, einer wollte die Studentin gar am Aussteigen hindern. Tagsüber wurde Dirauf von wildfremden Männern in der U-Bahn mit eindeutiger Absicht in ein "Hotel" eingeladen. "Das Thema Diskriminierung gegen Frauen ist längst noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sexueller Missbrauch gilt als Schande und wird daher allzu oft ignoriert", sagt Dirauf.

Moon Hoon-jin: "Man(n) steht unter Generalverdacht" (Foto: DW)
Moon Hoon-jin: "Man(n) steht unter Generalverdacht"Bild: DW/F. Kretschmer

Wie wenig Problembewusstsein bisher vorherrschte, zeigen etliche öffentliche Belege. 2014 etwa veröffentlichte das koreanische Arbeitsministerium einen Ratgeber an junge Arbeitssuchende, die im Bewerbungsgespräch angeben sollten, sich nicht an sexuell anzüglichen Witzen zu stören, um "ihre Chancen für die Stelle" zu erhöhen. Im selben Jahr machte ein Professor während der Eröffnungsrede eines staatlichen Instituts zur Förderung der Gleichberechtigung freizügige Kleidung für sexuelle Übergriffe verantwortlich: "Wenn das Gold auf der Straße liegt, dann wird es auch jemand aufheben", lautete der makabre Vergleich im Wortlaut.

Jüngst im Februar wurde eine hochrangige Abgeordnete der Regierungspartei mit den Worten zitiert: "Viele Koreaner fühlen sich unwohl, wenn die Frauen um sie herum allzu schlau wirken. Ich halte es daher für vorteilhaft, einen wenig intelligenten Gesichtsausdruck an den Tag zu legen."

Der 25-jährige Moon Hoon-jin, der misstrauisch an der Aktivistin Kim vorbeigeht, glaubt dennoch, dass die öffentliche Debatte in Südkorea längst übers Ziel hinaus geschossen sei. "Bei manchen Feministen hat man fast den Eindruck, dass sie nur darauf gewartet haben, dass so etwas Schreckliches passiert", sagt Moon. "Als Mann steht man mittlerweile unter Generalverdacht, ein Gewalttäter zu sein." Für ihn handelt es sich bei dem Mord vor allem um den Einzelfall eines psychisch Kranken. Genau so sieht es auch die Seouler Polizeibehörde.