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Die Crystal-Babies von Leipzig

Gabriel Borrud/ nm21. April 2016

Viele Babies kommen im Mutterleib mit Crystal Meth in Kontakt. Die Ärztin Eva Robel-Tillig spricht über die hohe Dunkelziffer, die Folgen für die Kleinen - und warum Frauen während der Schwangerschaft Drogen nehmen.

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Baby kurz nach Geburt (Foto: Bildagentur-online)
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online

Das Bundesland Sachsen hat schon länger ein Problem mit Crystal Meth. Der Konsum in Sachsen ist vor allem wegen der Nähe zur Tschechischen Republik sehr hoch. Dort wird die Droge in großen Mengen produziert.

Laut offiziellen Angaben nimmt in Sachsen auch die Zahl der Mütter zu, die während der Schwangerschaft Crystal Meth konsumieren. Eva Robel-Tillig ist Kinderärztin und leitet die Klinik für Neonatologie im Klinikum St. Georg in Leipzig.

DW: Nach offiziellen Angaben kommen in ganz Sachsen jedes Jahr rund 35.000 Kinder zur Welt. In 160 bis 180 Fällen hat die Mutter während der Schwangerschaft Crystal Meth konsumiert. Sie gehen davon aus, dass die Zahl deutlich darüber liegt. Warum?

Eva Robel-Tillig: Ich kann Ihnen keine belastbaren Zahlen nennen. Aber aus meiner täglichen Erfahrung heraus würde ich schätzen, dass eines von zehn bis 15 Kindern betroffen ist.

Sie können das nur auf Verdacht sagen?

Eva Robel-Tillig (Foto: Klinikum St. Georg)
Robel-Tillig: "Es braucht mehr Forschung"Bild: Klinikum St Georg

Ja, wir können es meistens nur vermuten, wenn Mütter Crystal Meth während der Schwangerschaft genommen haben. Wir können uns nur sicher sein, wenn es die Frauen offen zugeben, oder wir die Neugeborenen testen und nachschauen, ob sie den Stoff im Blut haben. Dann haben wir Sicherheit - aber das passiert nicht oft.

Was geschieht denn mit dem Neugeborenen, wenn die Mutter Crystal Meth konsumiert hat?

Da können viele Dinge passieren. Einige Babies kommen kleiner auf die Welt und haben weniger Appetit. Andere werden mit Missbildungen am Herzen oder im Gehirn geboren, oder sie haben kleinere Köpfe. Manche sind auch einfach müder als normale Babies. Es gibt auch die, die sehr gereizt sind und keine Muttermilch trinken wollen. Bei anderen gibt es auch gar keine Auffälligkeiten.

Der typische Fall existiert also nicht?

Nein. Das ist nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen die Mutter während der Schwangerschaft Heroin nimmt. Da schreien die Kinder in der Regel nach der Geburt ohne Unterbrechung. Das ist bei Crystal Meth nicht der Fall.

Was genau passiert denn mit den Föten im Mutterleib?

Wir wissen es noch nicht! Was wir wissen ist, dass der Fötus das Crystal Meth über die Plazenta aufnimmt. Wir haben mehrere Bluttests gemacht und auch das Kindspech [die erste Ausscheidung des Kindes, die Red.] untersucht. Deshalb können wir da 100 Prozent sicher sein. Aber wir wissen eben noch nicht, wie der Fötus auf den Stoff reagiert. Da muss viel mehr geforscht werden.

Können die Babies auch daran sterben?

Ja, das kommt vor. Letztes Jahr hatten wir einen Fall von Zwillingen, die kurz nach der Geburt über die Babyklappe abgegeben wurden. Beide starben und hatten sehr hohe Werte von Crystal Meth im Blut. Das passiert nicht häufig, aber es ist möglich.

Sie sprechen auch mit Müttern, die auf sie zukommen und von ihrer Sucht berichten. Warum machen die Frauen weiter, wenn sie ein Kind erwarten?

Viele dieser Frauen nehmen Crystal, weil sie schwanger sind. Manche hatten den Konsum vollständig eingestellt und haben dann erst mit der Nachricht, dass sie schwanger sind wieder angefangen. Oft haben sie bereits mit 12 oder 13 Jahren damit angefangen. In der Schwangerschaft wachsen ihnen die Probleme wieder über den Kopf. Sie haben zum Beispiel Beziehungsprobleme mit dem Vater oder andere soziale Umstände, die sie in dieser Situation sehr mitnehmen - wie beispielsweise Arbeitslosigkeit. Diese Frauen können damit aufhören - es geht. Aber ganz häufig wollen sie nicht. Die Droge macht sie stark und sie fühlen sich deutlich besser mit als ohne.

Was sagen Sie denn einer Frau, wenn sie zu Ihnen ins Büro kommt und sagt. "Ich nehme Crystal Meth und kann nicht damit aufhören"?

Ich sage, dass ich ihr gerne helfen möchte und dass ich ihr Kind nicht wegnehmen möchte. Denn viele dieser Neugeborenen werden ganz häufig vom Jugendamt in Pflege genommen. Ich sage ihr aber auch, dass wir nur helfen können, wenn sie wirklich mit der Droge aufhört - und das ist sehr schwer.

Eva Robel-Tillig ist Kinderärztin und leitet die Klinik für Neonatologie im Klinikum St. Georg in Leipzig.

Das Interview führte Gabriel Borrud.