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Deklaration gegen religiöse Diskriminierung

Kersten Knipp28. Januar 2016

In Marrakesch haben Vertreter mehrerer Konfessionen über religiöse Toleranz im Islam diskutiert. Anschließend schlagen sie konkrete Schritte für ein religiöses Miteinander vor - und rechnen mit der bisherigen Praxis ab.

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Marrakesch: Stadtansicht mit Koutoubia-Moschee (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Die Organisatoren hatten es spannend gemacht. Mehrere Tage hatten die Teilnehmer einer Konferenz im marokkanischen Marrakesch bereits getagt, Perspektiven für jenes Thema entworfen, auf das ihre Tagung bereits in ihrem Titel verweist: "Religiöse Minderheiten in islamischen Ländern: Der juristische Rahmen und ein Aufruf zum Handeln". Für das Ende des Kongresses hatten die 120 Teilnehmer - Sunniten, Schiiten und Angehörige anderer Religionen - eine "Marrakesch-Deklaration" angekündigt. Nun endlich kann man diese nachlesen.

Die Deklaration erhebt sieben Forderungen mit unmissverständlicher Grundausrichtung: Spannungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen sollen so weit wie möglich, am besten ganz, abgebaut werden.

Konkrete Forderungen

Dazu fordert die Deklaration unter anderem: Muslimische Gelehrte und Intellektuelle sollen das Konzept der Staatsbürgerschaft entwickeln und in der islamischen Tradition verankern. Die Lehrpläne an den Schulen sollen auf diskriminierende Äußerungen gegenüber anderen Religionen untersucht werden. Zivilgesellschaftliche Akteure und Organisationen sollen sich für einen gerechten Umgang mit religiösen Minderheiten einsetzen. Die jeweiligen ethnischen und konfessionellen Bevölkerungsgruppen sollen ihre "selektive Amnesie" überwinden und auf ein Bewusstsein von übergreifender nationaler Gemeinschaftlichkeit hinarbeiten.

Mouhanad Khorchide (Foto: Marie Coße)
Für eine Praxis der Verständigung: Mouhanad KhorchideBild: Marie Coße

Die Deklaration sei begrüßenswert, sagt der an der Universität Münster lehrende Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Bislag habe es zwar viele gutgemeinte Appelle gegeben, doch seien diese oft folgenlos geblieben. Das müsse sich ändern. "Es reicht nicht, nur daran zu appellieren, dass Muslime und Christen sich einander annähern. In Moscheegemeinden, im Religionsunterricht und an den theologischen Fakultäten müssen praktische Schritte folgen."

Wichtiger Anstoß

Auch die "Deklaration von Marrakesch" werde sich nicht unmittelbar in eine neue religiös-gesellschaftliche Wirklichkeit übersetzen, erwartet Michel Dubost, Leiter des französischen Bistums Évry-Corbeil-Essonnes. Der Geistliche hat an der Konferenz teilgenommen und äußerte sich vorsichtig optimistisch. Die Deklaration stoße aber womöglich einen Prozess an. "Es kommt jetzt darauf an, dass die Verantwortlichen die Dinge in die richtige Richtung treiben", erklärte er im Interview mit "Radio Vatikan".

Wie nötig dass ist, zeigte sich auch auf der Konferenz selbst. So war ursprünglich auch Louis Raphael Sako, der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche des Irak, zur Konferenz eingeladen worden. Doch dann hatte er seine Teilnahme absagen müssen: Er hatte kein Visum enthalten.

Irakische Christin in einer Kirche in Mossul (Foto: Reuters)
Schutz vor Verfolgung: Eine irakische Christin in einer Kirche in MossulBild: Reuters

In einer auf der Konferenz verlesenen Note beklagte er die Verfolgung und Diskriminierung der christlichen Minderheit im Irak. So hätten einige Imame den Gläubigen verboten, Christen zum Weihnachtsfest zu gratulieren. Einige muslimische Handwerker wollten nicht mehr in christlichen Klöstern arbeiten.

Unglückselige Verflechtung von Politik und Religion

Worauf gehen religiöse Verhärtungen dieser Art zurück? Auf zweierlei, sagt Mouhanad Khorchide, der in Münster am "Centrum für Religiöse Studien" lehrt. Zum einen gründeten sie oft in politischen Spannungen. Diese haben seit dem Jahr 2011, als es in mehreren Ländern der Region zu Aufständen kam, enorm an Schärfe gewonnen. "Und die Religion legitimiert solche Spannungen oft nachträglich", sagt Khorchide. Umso mehr komme es darum auf eines an: "Theologen müssen die Religion vor politischem Missbrauch schützen."

Allerdings reiche es nicht, nur zu sagen, die Religionen würden durch die Politik missbraucht. "Die Religionen müssen sich immer wieder auch kritisch mit ihrem Exklusivitätsanspruch auseinandersetzen."

Terror regt zu Umdenken an

Diese Einsicht setze sich auch in der islamischen Welt immer stärke durch. Das gehe zu Teilen auf die Terrororganisation "Islamischer Staat" zurück, sagt Khorchide. Die rechtfertigt ihre Gräueltaten mit dem Islam. Dadurch sähen sich viele Muslime - einfache Gläubige ebenso wie Theologen - herausgefordert, die bisherige Auslegung kritisch zu hinterfragen. Dies geschiehe auf vielerlei Ebenen - auch durch eine Revision der religiösen Lehrbücher.

Innenhof der Al-Azhar-Universität in Kairo (Foto: picture alliance)
Zentrum eines toleranten Islam: Die Al-Azhar-Universität in KairoBild: picture alliance/Bibliographisches Institut/Prof. Dr. H. Wilhelmy

Die Universität Münster betreibe zusammen mit der Azhar-Universität in Kairo ein gemeinsames Projekt, in dem die in Ägypten verwendeten Schulbücher auf religiöse Diskriminierung hin untersucht würden. Dabei habe man durchaus einen Wandel beobachten können. "Viele Bücher sind verändert worden. Man hat sich von vielen Inhalten verabschiedet, die nicht mehr zeitgemäß sind. All das wäre undenkbar, wenn der IS innerhalb der islamischen Welt nicht mit einer solchen Brutalität aufgetreten wäre."

Ein weiterer Schritt in Richtung Toleranz ist nun in Marrakesch getan worden. Jetzt kommt es darauf an, dass auch die große Zahl der Gläubigen ihn tun.