1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schicksalswahlen für Zentralafrika?

Christine Harjes22. Dezember 2015

Eigentlich sollte am 27.12. in der Zentralafrikanischen Republik gewählt werden. Aus "organisatorischen Gründen" wurde die Wahl auf den 30.12. verschoben. Die Hoffnung ist groß, dass die Wahl dem Land Frieden bringt.

https://p.dw.com/p/1HRVz
Zentralafrika Wahlen
Bild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Die Menschen in der Zentralafrikanischen Republik haben seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 mehr Umstürze als Wahlen erlebt. Sylvestre, Beamter aus der Hauptstadt Bangui hofft jetzt auf einen Wandel: "Wir haben hier immer dasselbe gesehen. Die Situation im Land hat sich enorm verschlechtert. Jetzt ist unser absoluter Wunsch, dass es vorangeht und dass wir jemanden wählen, der etwas Gutes für dieses Land tun kann." Wer aber dieser Jemand sein könnte, ist schwer zu sagen bei 30 Präsidentschaftskandidaten. Deren Wahlprogramme sind kaum bekannt - ähnlich wie schon bei dem Referendum am 13. Dezember. Die Bevölkerung musste über eine neue Verfassung abstimmen, dessen Inhalt sie nicht kannte. Trotzdem stimmten ihr 93 Prozent der Wähler zu.

Beleidigter Bozizé

Bei aller Unsicherheit über den neuen Präsidenten - einer wird es definitiv nicht: der 2013 aus dem Amt geputschte Ex-Präsident François Bozizé. Das Verfassungsgericht hat ihn von der Wahl ausgeschlossen. Eine ungerechte Entscheidung, findet Bozizé, der sich 2003 an die Macht geputscht hatte. "Das ist gemein gegenüber einer Autorität von meinem Rang", empört sich Bozizé in einem Interview mit der DW. Zehn Jahre sei er Präsident des Landes gewesen. "Und heute kennt man mich nicht mehr. Ich werde einfach fallengelassen!" Tim Glawion, Wissenschaftler am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg (GIGA), hält es für eine richtige und mutige Entscheidung des Verfassungsgerichts, Bozizé nicht zu den Wahlen zuzulassen. "Ich finde interessant, was Bozizé da sagt. Ich glaube, einige seiner Bürger und Bürgerinnen würden auch sein Regime und seine brutale Herrschaft als gemein bezeichnen", sagt Glawion. Die Vereinten Nationen haben Bozizé mit Sanktionen belegt - ihm wird vorgeworfen, nach seinem Sturz die christlichen Anti-Balaka-Milizen für eine brutale Jagd auf Muslime im ganzen Land instrumentalisiert zu haben.

Francois Bozize AP Photo/Ben Curtis picture-alliance/AP Photo/B. Curtis
François BozizéBild: picture-alliance/AP Photo/B. Curtis

Seit drei Jahren bekämpfen sich in der Zentralafrikanischen Republik muslimische Rebellen und christliche Milizen. Im März 2013 hatten muslimische Rebellen den christlichen Präsidenten François Bozizé gestürzt. Seitdem kommt es immer wieder zu blutigen Übergriffen auf Muslime und Christen. Rund ein Viertel der 4,7 Millionen Einwohner ist laut Schätzungen wegen der religiös motivierten Gewalt auf der Flucht.

Ende der Übergangsregierung

Nicht zur Wahl stehen außerdem alle Mitglieder der Übergangsregierung sowie Mitglieder von bewaffneten Gruppen. Seit Januar 2014 wird die Zentralafrikanische Republik von der christlichen Präsidentin Catherine Samba-Panza und dem muslimischen Ministerpräsidenten Mahamat Kamoun geführt. Aber die Zeit des Übergangs müsse jetzt ein Ende haben, sagt Susanne Stollreiter vom Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Nachbarland Kamerun: "Wir haben einfach ein ziemliches Chaos im Land und die große Hoffnung ist, dass eine richtig gewählte Regierung das eher regeln kann als eine Regierung, die unter dem Einfluss internationaler Geber als Übergangsregierung nicht demokratisch legitimiert ist."

Für sie ist der aussichtsreichste Kandidat Martin Ziguélé von der MLPC, einer eher sozialdemokratischen Partei, die in den 1990er Jahren die Regierung stellte. Ziguélé war damals bereits Premierminister. Auch Tim Glawion tippt auf Ziguélé, einen Christen. Favorit der muslimischen Minderheit ist der frühere Minister Karim Meckasousa. Allerdings beides keine neuen Gesichter. Doch genau das wünschen sich viele Menschen in der Zentralafrikanischen Republik.

Nicht alle können wählen

Die Wahlversprechen der Kandidaten ähneln sich: Frieden, Wiederaufbau und Wachstum. Vorhersagen über das Wahlergebnis sind extrem schwierig: "Weder können wir das aus der letzten Wahl, die 2011 stattfand, rückschließen, weil die komplett manipuliert war. Noch können wir das durch Wahlumfragen einschätzen, weil diese nicht existieren", erklärt Glawion. Die Abstimmung über das Parlament droht neben der Präsidentschaftswahl in den Hintergrund zu rücken. Dabei dürfte die Parlamentswahl spannend werden, sagt Glawion. Er rechnet mit vielen Sitzen für die MLPC, die Partei von Martin Ziguélé. Er glaubt, dass sich die ehemalige Regierungspartei wieder etablieren könnte. Allerdings müssten die Wahlen dafür einigermaßen frei stattfinden.

Glawion glaubt zwar nicht, dass eine Partei im Land zurzeit genug Einfluss hat, um die Wahlen aktiv zu fälschen, aber er sieht massive Probleme bei der Organisation der Abstimmung. So könnten im Nordosten, wo überwiegend Muslime leben und wo die Rebellion vor drei Jahren ihren Ursprung hatte, kaum Wahlen stattfinden. "Dort sind noch Milizen unterwegs, die gegen die Wahlen sind und die diese wahrscheinlich auch mit Gewalt boykottieren werden", sagt Glawion. Auch viele Flüchtlinge werden nicht wählen können, sagt er. "Allein dadurch wird es eine riesige Stimmverfälschung im Land geben." Eine weitere Voraussetzung für demokratische Wahlen wird nicht erfüllt: Von einem Wahlkampf ist in der Zentralafrikanischen Republik wenige Tage vor der Abstimmung außerhalb der Hauptstadt nicht viel zu sehen.

Angespannte Sicherheitslage

Auch wenn die Afrikanische Union mit einer Registrierungsquote von 90 Prozent von einem Erfolg bei der Wahlvorbereitung spricht, bedeutet das noch nicht, dass die Wahl zu dem erhofften Erfolg wird: Bei der Abstimmung über die neue Verfassung am 13. Dezember sind nur 30 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen. Ein Grund dürfte die angespannte Sicherheitslage im Land sein. Rund 900 französische Soldaten und die UN-Blauhelmtruppe der MINUSCA-Mission sollen für Sicherheit sorgen. Aber schon während des Referendums kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Blauhelmsoldaten MARCO LONGARI/AFP/Getty Images
Blauhelme sollen für Sicherheit sorgenBild: Getty Images/AFP/M. Longari

Einige Beobachter halten den Zeitpunkt der Wahlen wegen der angespannten Sicherheitslage für falsch. Tim Glawion vom GIGA Institut sieht das anders: "Ich bin kein Fan davon, immer zu sagen, es ist verfrüht und in einem Jahr sieht alles besser aus. Vor einem Jahr hat man das Gleiche gesagt und jetzt haben wir ein Jahr später und es sieht nicht besser aus." Er warnt aber auch davor, die Wahlen überzubewerten. Um Dinge zu lösen brauche es vor allem Versöhnung und eine Debatte darüber, wie das Land vorangehen solle. Trotz aller Schwierigkeiten und Einschränkungen: Dazu können die Menschen in der Zentralafrikanischen Republik mit den Wahlen am Sonntag den ersten Schritt tun. "Im allerbesten Fall findet die Wahl halbwegs repräsentativ statt und alle Bürger fühlen sich von Parlament und Präsident einigermaßen vertreten", sagt Glawion.

Mitarbeit: Eric Topona, Hippolyte Marboua