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Abbild der Natur

Karin Jäger27. Dezember 2015

Die Biodiversität ist bedroht. Landschaftsplaner wie Ulrike Aufderheide setzten deshalb auf heimische Pflanzen und Gärten, in denen die Natur sich breitmachen darf. Dann siedeln sich auch gefährdete Tierarten wieder an.

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Ein Garten mit Gartenhäuschen (Foto: Ulrike Aufderheide).
Bild: Ulrike Aufderheide

"Wenn ich während meiner Kindheit über Feldwege lief, sah ich immer Bläulinge", erinnert sich Ulrike Aufderheide. Heute gelten die blau leuchtenden Schmetterlinge als Rarität. Daher hat es sich die Biologin zum Ziel gesetzt, verschwundene Arten zurückzuholen.

"Wenn ich eine einheimische Pflanze einbringe, pflanze ich quasi Tiere mit. Denn die haben sich im Laufe der Evolution daran angepasst - und siedeln sich dort ebenfalls wieder an", erklärt Aufderheide das Prinzip der ökologischen Lebensgemeinschaften. Tier- und Pflanzenwelt sind wie Schlüssel und Schloss aufeinander abgestimmt. Auf naturnahen Flächen verwendet die Landschaftsplanerin daher ausschließlich alte einheimische Wildpflanzen.

Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) (Foto: Chris van Swaay).
Ein häufiger Gast in naturnahen Gärten: Hauhechel-BläulingBild: Chris van Swaay

Bläulinge fühlen sich in Blumenschotterrasen- und Blumenrasen wohl. Streut der Gärtner im Handel erhältliche Samenmischungen auf ein Substrat in Schotterboden, müsse er nur warten, bis die blauen Schmetterlinge vorbeiflattern, weiß Aufderheide. Eine Garantiepflanze ist Hornklee. Darauf fliegen Bläulinge. "Die riechen die Pflanze und siedeln sich sehr schnell dort an", hat Aufderheide beobachtet. Die Heilpflanze Ziest zieht die Wollbiene an.

Um den Stieglitz in den Garten zu locken, muss es nur dessen Leibspeisen geben: Die Samen der stacheligen Kaden und Insekten, die an Pflanzen saugen. Der Vogel des Jahres 2016 ist auch auf Schuttplätzen, an Straßenrändern mit Blumen und Wildkräutern sowie an Feldern und Wegen zu finden. Da 90 Prozent dieser Lebensräume in den vergangenen 20 Jahren verschwanden, ist auch der Bestand des Stieglitzes stark eingebrochen.

Wie wertvoll heimische Arten sind, zeigt sich an der Stieleiche. Der für Mitteleuropa typische Laubbaum kann 300 Insektenarten Nahrung bieten.

Viel Platz braucht es nicht, die Natur einzuladen: Selbst in einem Kübel oder auf dem Balkon in der Stadt lässt sich eine Naturoase gestalten, sagt Ulrike Aufderheide. "Viele Lebewesen sind so winzig, dass wir sie mit dem bloßen Auge gar nicht erkennen können." Aber die Tiere werden sofort angezogen, sobald die erste Pflanze da ist. Die dafür geeigneten 1500 ursprünglich heimischen Pflanzen bieten spezielle Gärtnereien an.

Fremdes Grün schadet

Der Klimawandel, wenige gleichförmige Arten, die "Egalisierung der Standorte", die Entwässerung von Mooren und Sümpfen, die Bewässerung von trockenen Arealen, Dünger, Abgase, Fäkalien in Boden und Grundwasser, Versiegelung, Zerstörung von Lebensräumen - sämtliche Eingriffe des Menschen haben zum massiven Artenverlust geführt.

"Das Ziel der Landwirtschaft ist es, einen guten, fruchtbaren Boden zu bekommen. Aber eben dieser mit Nährstoffen reich versorgte Boden führt dazu, dass andere Böden aus unserer Landschaft verschwinden - und damit auch der größte Teil unserer heimischen Pflanzen und Tiere", kritisiert Ulrike Aufderheide.

Ulrike Aufderheide, Diplom-Biologin (Foto: DW/Karin Jäger).
Landschaftsplanerin Aufderheide: "Wildkräuter ausdrücklich erwünscht"Bild: DW/K. Jäger

Auch Neophyten, also invasive, exotische Arten, führen zum Verlust heimischer Flora und Fauna. Diese Pflanzen und Tiere werden vom Menschen mitgebracht - entweder ganz bewußt oder durch Beitransport von Handelsgütern. Der Riesenbärenklau, das Indische Springkraut und der Asiatische Marienkäfer sind dafür Beispiele. Sie sind mancherorts bereits zur Plage geworden. Mangels natürlicher Feinde oder weil sie den heimischen Tieren einfach nicht schmecken, ist deren Verbreitung kaum einzudämmen.

Durchlässige Schottersteine, Fugen oder Trockenmauern als Lebensräume, wenig gedüngte Magerrasenflächen oder Feldraine an Ackerrändern, fördern dagegen die Biodiversität für Lebensgemeinschaften, die Sonne und Trockenheit gut aushalten. Landschaftsplanerin Aufderheide würde daher niemals einen mageren Standort düngen, also mit Närhstoffen anreichern und auch nicht mit exotischen Blumen bepflanzen.

Von der Abdeckung mit Rindenmulch hält die Gärtnerin ebenfalls nichts. "Sie enthalten Phenole, die das Keimen von Unkräutern verhindern. Im naturnahen Garten wollen wir aber gerade die naturnahe Dynamik erhalten. Die Ausbreitung von Wildkräutern ist ausdrücklich erwünscht."

Ursprung in den Niederlanden

Sicher ist es kein Zufall, dass die Naturgartenbewegung in den Niederlanden entstand. Das Land wird für Ackerbau und Viehzucht sehr intensiv bewirtschaftet. Heimischen Arten werden dadurch seit Jahrzehnten verdrängt. Dank der Pioniere gibt es mittlerweile fast in jeder Stadt des Beneluxstaates einen naturnahen Schaugarten.

Rosa blühende Heidenelke und Taubenkropf-Leimkraut (Foto: Ulrike Aufderheide).
Wieder im Kommen: Rosa blühende Heidenelke und TaubenkropfleinkrautBild: Ulrike Aufderheide

Und in Australien unterhält jede Grundschule eine solche Anlage mit typischen Wildpflanzen. "Da träumen wir von", sagt Ulrike Aufderheide.

Ein auf den ersten Blick wild erscheinender Garten, in dem sich Natur entfalten kann, gefällt nicht jedem. Daher ist Aufderheides Strategie, gemeinsam mit den Nutzern zu planen. Weder üppig wachsende Wildnis noch ein exaktes Abbild der Natur soll der naturnahe Garten sein. Vielmehr soll ein künstlicher Mikrokosmos geschaffen werden, in dem Menschen, Tiere und Pflanzen miteinander in Einklang leben können. Ein Eigenleben ist durchaus erwünscht. Die Ordnung wird eher behutsam hergestellt. Die Pflanzen müssen sich niemals einem starren Schema beugen. Denn vorrangig geht es den Naturgarten-Anhängern um Funktion und Erhalt von vielfältigen Standorten.

Tiere in den Garten einladen

Die Pflege beschränkt sich daher auf das Nötigste, sagt Ulrike Aufderheide. "Der Anblick muss natürlich auch die ästhetischen Ansprüche der Nutzer erfüllen." Vorteil eines naturnahen Gartens: Man muss kaum schneiden, nicht wässern und eben nicht düngen.

"Luftverschmutzende Stickoxide, die in Nitrate und Ammoniak zerfallen, verändern die Natur. Sei bedrohen Magerstandorte, führen zur Vergrünung", sagt Aufderheide noch. Dann muss sie zurück in ihr Büro. Gärten plant die naturliebende Unternehmerin im Winter.