Wintervergnügen: Schlittschuhlaufen im Gorki-Park
3. Dezember 2015Ich habe Schlittschuhlaufen schon immer geliebt. Und damit meine ich nicht diese perfekte Show mit Pirouetten und Sprüngen. Ich meine dieses herrliche Vergnügen, auf Schlittschuhen zu stehen, die ersten, etwas wackeligen Schritte zu machen und plötzlich zu spüren: Ich gleite! Eis unter mir, kalte Winterluft um mich herum! Und bestenfalls noch die Möglichkeit, ab und zu eine Glühwein-, Kakao- oder Bratwurst-Pause zu machen.
Das alles gibt es im Moskauer Gorki-Park, auf der größten Schlittschuhbahn Europas. Im Westen kam der Park Anfang der 80er Jahre zu Ruhm durch den Agenten-Thriller "Gorky-Park", der allerdings nicht in Moskau gedreht wurde, weil das damals westlichen Filmteams nicht erlaubt war. Noch berühmter machten die Scorpions den Park mit ihrer Wende-Hymne "Wind of change". Sie sangen: "Follow the Moskva, down to Gorky Park, listening to the wind of change..."
Tatsächlich war Moskaus ältester Park - er wurde 1927 gegründet - nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ziemlich öde und heruntergewirtschaftet und alles andere als sexy. Dann aber kam 2011 ein neues Management. Seitdem ist der Gorki-Park die erste Adresse für alle, die inmitten von Moskaus Häusermeer joggen, Inlineskaten, Radfahren, Volleyball spielen oder eben im Winter Schlittschuhlaufen wollen. Hier trifft man Studenten, junge Familien, Rentner und Hipster.
Wenn Ende November die Eisbahn-Saison eröffnet wird, geht der Run los. Schlittschuhlaufen kann in Russland fast jeder. Es ist ein Event, ein Treffpunkt, ein Sehen und Gesehen werden.
Inmitten des Parks, der sich 10 Kilometer direkt am Ufer der Moskwa entlang zieht, steht ein riesiger Kubus. Sobald es dunkel wird, erstrahlt er lila, orange und blau. Dazwischen kleine Bäumchen, die pink, türkis und weiß glitzern. Ich fahre etwas vorsichtig los und bin völlig fasziniert von diesem grell-bunten Lichtermeer.
Die Eisstrecken im Gorki-Park sind vielfältig. Jedes Jahr im November werden einige der Wege, auf denen die Menschen im Sommer spazieren, geflutet und in Eisbahnen verwandelt. Bei jeder Runde kann ich deshalb eine andere Strecke wählen. 18.000 Quadratmeter Eisfläche! Das einzige, was ich beachten muss: fast überall gilt die Einbahnstraßen-Regel: Geisterfahrer werden sofort von den Aufsichtsleuten, die hier überall unterwegs sind, ermahnt. Das ist aber auch besser so, denn an einem Samstag Abend sind auf den Eisflächen im Gorki-Park schon mal 4000 bis 5000 Menschen unterwegs.
Ich treffe Irina, Alexej, Rita und noch eine Irina, alle Anfang 20, aus Moskau und begeistert von der Atmosphäre hier: "Die Musik ist toll, die Leute sind witzig drauf und der Eintrittspreis ist okay", finden sie. 550 Rubel kostet der Eintritt zur beliebtesten Zeit ab 17:00 Uhr am Wochenende, umgerechnet etwa acht Euro. Der Preis ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, aber der Service soll auch besser geworden sein. Irina findet besonders Klasse, dass man sich hier Schlittschuhe leihen kann. Dafür muss man zwar einen Pfand von 1000 Rubel (14 €) bezahlen, den man aber am Ende, beim Abgeben der Schlittschuhe komplett zurückbekommt.
Das Eintrittssystem läuft über eine Art Scheckkarte, die man am Einlass kaufen muss. Auf diese Karte wird alles gebucht, was man haben will, also zum Beispiel Leih-Schlittschuhe oder auch ein Fach zum Aufbewahren der eigenen Schuhe. Eigentlich genial und praktisch, allerdings zu Stoßzeiten am Wochenende zeitraubend. Jedenfalls habe ich fast eine halbe Stunde vor der Kasse angestanden, um überhaupt rein zu kommen. Das zeigt aber auch: offenbar gibt es genügend Moskauer, die sich dieses Vergnügen nicht entgehen lassen wollen.
Den nächsten Wow-Effekt habe ich, als ich von der Strecke rund um den riesigen Kubus abbiege. Unter mir leuchtet die Eisfläche plötzlich auf, immer woanders, immer neue Farben, immer neue Formen. Verblüfft halte ich an und gucke einfach nur. So etwas habe ich noch nicht gesehen. 33.000 Leuchtdioden unter dem Eis lassen die Eisfläche glühen.
Als ich weiterfahre, zischt ein junger Mann an mir vorbei, die Kufen seiner Schlittschuhe leuchten neon-grün. Vor mir halten sich zwei Männer, die noch ziemlich unsicher auf den Kufen sind, stützend an der Hand. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas mal in Moskau erlebe, in dieser Welt, in der Männer ansonsten immer so stark und cool tun.
Ich trinke einen Glühwein vor einer unglaublich bunten, kitschigen Weihnachtsdekoration und blicke auf das fröhliche Treiben um mich herum. Es sind minus 4 Grad Celsius, es ist Samstag Abend, überall tausende von Leuten, lachend, schnell, langsam, virtuos oder wackelig auf ihren Schlittschuhen. Laute Beats schallen durch den Park bis hin zum nahen Fluss, der durch die riesige Metropole fließt. Es ist eine Atmosphäre wie im Wintermärchen 2.0.