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Gläubige schätzen Gläubige

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Klaus Krämer
26. September 2015

Trotz massiver Angst vor dem Islam begrüßen die Deutschen die überwiegend muslimischen Flüchtlinge freundlich. Für die Zukunft wäre mehr Verankerung in der christlichen Religion hilfreich, meint Klaus Krämer.

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Symbolbild Betende Muslime und Christen
Bild: picture-alliance/dpa

Wer hätte das gedacht: Deutsche applaudieren begeistert ankommenden Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Gastfreundschaft, Herzlichkeit und echte Freude in überquellenden Bahnhöfen. Unzählige freiwillige Helfer, eine riesige Spendenbereitschaft der Bürger: Szenen, die überall in der Welt beeindruckt haben.

Ausgerechnet eine Flüchtlingswelle hat den Jahrzehnte alten Gefühlsstau der Deutschen hinweg gespült. Mitleid, Erbarmen und Nächstenliebe im Zentrum des christlichen Abendlandes. Dies dominiert die Nachrichten aus Deutschland, und nicht die Bilder brennender Asylbewerberheime. Mehr noch: Über zwei Drittel der hier Lebenden befürworten, dass Deutschland seine Grenzen für verfolgte, geschändete und vom Tod bedrohte Männer, Frauen und Kinder geöffnet hat. Einer jener seltenen Augenblicke, zufrieden zu sein mit diesem Land.

Die Deutschen und ihre Angst

Mit der Ankunft dieser Menschen in Not scheint - zumindest für den Moment - auch eine große Angst der Deutschen verschwunden zu sein: Die an den Tag gelegte Gesinnungsethik verdrängt die Tatsache, dass die weit überwiegende Mehrheit der Geflohenen aus völlig anderen Kulturkreisen kommen. Konkret: Muslime sind. Dabei hatte sich die Angst vor dem Islam in den vergangenen Jahren in immer mehr deutsche Köpfe hineingefressen. Eine repräsentative Umfrage verrät, dass aktuell 49 Prozent der Deutschen Angst vor dieser Religion haben.

Was wird passieren, wenn diejenigen, die Not, Krieg und Elend entronnen sind, sich in der Fläche der Republik verteilen? Immerhin rechnet man in diesem Jahr mit mindestens 800.000 Menschen aus dem Nahen- und Mittleren Osten, Afrika und dem Westbalkan.Was also geschieht in deutschen Köpfen, wenn die größte Not gelindert ist? Wenn das kulturelle wie religiöse Anderssein insbesondere der Muslime wieder stärker in den Vordergrund rückt im Alltag von Kindergarten, Schule, Nachbarschaft oder Arbeitsplatz?

Angst vor dem Islam oder Angst vor dem Religösen?

Psychologen und Soziologen machen für die Angst der Deutschen vor allem die Deutschen selbst verantwortlich. Denen erschienen die bisher 4,5 Millionen hier lebenden Muslime wie ein mächtiger, monolithischer Block - fremd und undurchschaubar. Das selbstverständliche Wissen der meisten Muslime um die Inhalte ihrer Religion und die teils konsequente Art, wie sie sie ausüben, wirke auf Deutsche befremdlich, verstörend, sagen die Wissenschaftler.

Das ist nicht verwunderlich, denn der Traditionsbruch im ehemals christlichen Abendland schreitet rasant voran. Praktizierter Glaube ist eher die Ausnahme. Seit rund 50 Jahren verlassen die nominellen Christen in Scharen die deutschen Volkskirchen. Mit fast 220.000 Kirchenaustritten im vergangenen Jahr stellten die Katholiken einen neuen Negativrekord auf, bei den evangelischen Christen sieht es kaum besser aus. Gottesdienste werden nur noch von zehn Prozent der Katholiken und knapp vier Prozent der Evangelischen besucht. Da ist es nur verständlich, dass Wissenschaftler und Kirchenobere ein dramatisches Absinken des geistlichen Grundwasserspiegels in der Bevölkerung konstatieren.

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DW-Redakteur Klaus Krämer

Deshalb forderte kürzlich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel die Deutschen auf, sich wieder mehr mit dem Christentum auseinanderzusetzen. Es sei notwendig, dass Christen "noch mehr und selbstbewusst über ihre christlichen Werte" sprechen und die eigenen Kenntnisse ihrer Religion vertieften.

Der Wert des christlichen Standpunkts

Der Grund ist klar: Wer keinen eigenen Standpunkt hat, hat auch keinen Maßstab, einen anderen Standpunkt beurteilen zu können. Ein argumentatives Begegnen auf Augenhöhe mit Gläubigen anderer Religionen kann dann kaum stattfinden. Jene, die sich vor Krieg und Verfolgung ins christliche Abendland retten konnten, treffen auf weithin säkularisierte Deutsche, denen religiöses Wissen und erst Recht entsprechende Orientierung fehlt.

Immerhin: Restbestände christlicher Werte sind noch in unserer Gesellschaft verankert. Das haben die vergangenen Wochen gezeigt. Ob das jedoch ausreicht, die integrativen Herausforderungen dieser neuen Völkerwanderung bewältigen zu können? Es geht um viel - besonders beim Vermitteln unserer Werte wie Freiheit, Toleranz, Demokratie, Menschenrechte, die Ordnung zwischen Staat und Kirche. In den Augen von Muslimen sind deutsche Gesprächspartner ungleich glaubwürdiger, wenn sie selber einen Glauben und somit einen Standpunkt haben. Und denen könnte es helfen, ihre Angst vor der fremden Religion abzulegen.

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