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Der Zweck heiligt nie die Mittel

6. August 2015

Die Atombombenabwürfe vor 70 Jahren waren ein Verbrechen, das den Täter Japan auch zum Opfer machte. Um des Friedens willen muss sich Japan seiner Vergangenheit stellen, meint Alexander Freund.

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Japan Gedenkzeremonie 70. Jahrestag Atombombenabwurf Hiroshima
Bild: Reuters/T. Hanai

Hiroshima ist eine mittelgroße Hafenstadt ganz im Westen der Hauptinsel, viele hundert Kilometer von der Hauptstadt Tokio entfernt. Auch Nagasaki ist eine mittelgroße Hafenstadt, noch weiter im westlichen Nirgendwo. Schöne Städtchen, nette Menschen, alles ganz normal. Das ist heute so und das war vor 70 Jahren nicht anders. Deshalb waren die beiden strategisch unbedeutenden Städte auch zunächst von den amerikanischen Bombern verschont geblieben. Und gerade deshalb wurden sie zu idealen Zielen für die neuen Wunderwaffen, die dort vor 70 Jahren zum Einsatz kamen.

Denn die Militärs und Wissenschaftler der USA konnten so erstmalig studieren, wie verheerend die Zerstörungskraft der Atombombe sein würde, wie ganze Städte im Lichtblitz der Bomben ausradiert wurden. Mehr als 200.000 Menschen starben, 90.000 sofort, die anderen wenige Tage später. Ein perfider Test unter Realbedingungen. Nagasaki hatte an diesem Tag übrigens Pech, denn über dem eigentlichen Ziel Kokura hingen an diesem Tag dunkle Wolken. In Nagasaki war der Himmel blau.

Sündenfall und Schrecken

Heute kennt die ganze Welt die Namen dieser beiden japanischen Städte, denn sie stehen für einen Sündenfall und die Schrecken der atomaren Zerstörung. "Mein Gott, was haben wir getan", schrieb der Copilot des Bombers in sein Tagebuch, nachdem er die tödliche Fracht über Hiroshima abgeworfen hatte. Nicht nur er wusste um seine Schuld.

Spätestens der zweite Bombenabwurf in Nagasaki war ein nicht entschuldbares Kriegsverbrechen, denn inzwischen wusste die ganze Welt um die verheerende Zerstörungskraft der Bombe. Die Amerikaner haben dieses Kriegsverbrechen später damit zu rechtfertigen versucht, dass der Pazifik-Krieg ohne Atombombenabwurf sonst noch viel länger gedauert hätte und bei einer Invasion viele unschuldige Menschen gestorben wären. Erst durch den Atombombeneinsatz sei Japan zur Kapitulation bereit gewesen.

Freund Alexander Kommentarbild App
Alexander Freund leitet die Asien-Programme.

Aber abgesehen davon, dass nach Ansicht der Historiker nicht die Atombomben, sondern der Kriegseintritt der Sowjetunion Japan zur Kapitulation zwang: Ein solches Verbrechen gegen die Menschheit lässt sich nicht rechtfertigen. Der Zweck heiligt niemals die Mittel. Die USA wollten schlicht und ergreifend eine neue Waffe testen und Stärke demonstrieren. Gegenüber den Japanern, vor allem aber gegenüber Russland.

Alle wollten die Bombe

Hier ließ die Supermacht USA zum ersten Mal ihre nuklearen Muskeln spielen und setzte damit die atomare Aufrüstungsspirale in Gang, deren Nachwirkungen wir noch heute spüren. Denn seit Hiroshima und Nagasaki wollten alle Supermächte und solche, die sich dafür halten, die Bombe: Russland, China, Frankreich, Großbritannien, später Indien und Pakistan, einige Staaten, die lieber nicht darüber sprechen und andere wie Nordkorea, die sich mit der atomaren Trumpfkarte am Leben halten wollen. Und natürlich der Iran, der will, aber möglicherweise noch gestoppt werden kann. Es sind die unheiligen Geister, die vor 70 Jahren gerufen wurden.

Durch die Atombombenabwürfe aber geriet der Kriegstreiber Japan zugleich in eine Opferrolle. An die erinnert Japan seit Kriegsende viel lieber als an die unzähligen Gräueltaten, die Japan vor allem bei seinen asiatischen Nachbarstaaten angerichtet hat. Das Opfer war aber in erster Linie Täter. Bis heute hat es Japan sträflich versäumt, sich seiner Vergangenheit zu stellen und die Aussöhnung mit den Nachbarn voranzubringen. Heute verneigt sich ein japanischer Premier vor den Atombomben-Opfern, der zwar Atomwaffen verbieten, der aber gleichzeitig die pazifistische Verfassung Japans ändern will, die der Sieger USA dem geschlagenen Japan verordnet hatte.

Gemeinsam mit dem ehemaligen Kriegsgegner USA will Premier Shinzo Abe Japan wehrhafter machen, um dem zunehmend aggressiver auftretenden China auch militärisch Paroli bieten zu können. Geostrategisch mag das nachvollziehbar sein, aber die Bevölkerungsmehrheit hat Abe auch 70 Jahre nach Kriegsende nicht hinter sich. Denn nicht Aufrüstung und die Demonstration von Stärke schaffen Frieden und Stabilität, sondern Aussöhnung und Wohlstand. Dies sollte für Japan als Täter und Opfer, aber auch für die anderen Akteure in der Region die Lehre aus den ungeheuren Schrecken des Krieges sein.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund