1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erinnerung an die Demokratie

20. Mai 2015

Norbert Lammert möchte den ägyptischen Staatspräsidenten Al-Sisi nicht zum Gespräch treffen. Das ist kein protokollarischer Affront - der Bundestagspräsident vermisst die Rückkehr zur Demokratie, meint Christoph Strack.

https://p.dw.com/p/1FTHs
Deutschland Bundestag zu Massaker an Armeniern
Bild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Ja, Ägypten ist ein wichtiges Land. Wichtig für die Entwicklung der arabischen Welt hin zur Demokratie. Wichtig für Europa. Deshalb sind Kontakte und politische Gespräche von Bedeutung. Nun kommt der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi Anfang Juni nach Berlin. Und was macht Norbert Lammert, der Präsident des deutschen Parlaments? Er sagt mit öffentlichem Getöse ein Gespräch mit dem Gast aus Kairo ab!

Warum? Auch Norbert Lammert verweist im DW-Interview darauf - dass Ägypten "ein wichtiges Land" ist. Doch der bevölkerungsreichste arabische Staat ist derzeit eben keine Demokratie. Man kann sich fragen, ob er jemals wirklich stabile demokratische Grundzüge hatte. Aber klar ist, dass im Jahr 2012 eine demokratische Entscheidung fiel und das Volk ein Parlament gewählt hat. Doch die folgenden Wirren und dann der Putsch der Militärs um al-Sisi haben das, was da an Demokratie war, entleert, vernichtet.

Mehr als nur Symbolik

Lammerts Schritt mag zunächst nur symbolisch wirken. Aber er ist eine Geste für die Idee der Demokratie, für den Parlamentarismus. Al-Sisi hat mit vielen Schritten seine Herrschaft gefestigt - ein Bemühen um eine neue Beteiligung des Volkes ist dabei nicht zu erkennen. Der Feldmarschall setzt auf die Unterdrückung der Opposition, auf die Einschränkung von Grundrechten, auch die Missachtung der Meinungs- und Pressefreiheit. Seit Ende 2012 gab es zehntausende Verhaftungen, tausende Tote bei Demonstrationen. Und auch die Unabhängigkeit der Justiz ist nicht mehr gegeben.

Es mag sein, dass Regierungen mit so ziemlich allen Machthabern in der Welt reden sollten, um Einfluss zu nehmen. Auch mit politisch schwierigen Alleinherrschern oder Schurken. So bewerten auch führende Außenpolitiker in Berlin die Entwicklungen in Ägypten kritisch und bewerten sie als Besorgnis erregend - doch man müsse eben im Dialog bleiben, um Ägypten als stabilen Anker in einem instabilen Umfeld zu stützen.

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph Strack, Korrespondent im DW-HauptstadtstudioBild: DW

Aber ein Parlamentspräsident wie Lammert? Der Bundestagspräsident erinnert mit seiner Entscheidung daran, dass Parlamente als Volksvertretung ihren ganz eigenen Wert haben. Er erinnert an die Demokratie. Viele Gedenkreden der vergangenen Monate haben der demokratischen Tradition Lob gesungen.

Parlamentarier im besten Sinn

Lammert wird gelegentlich dafür belächelt, dass er gut und gerne redet und ausgesprochen pointiert formuliert. Damit ist er im besten Sinne ein Parlamentarier. Nur ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Über Wochen stritt Deutschland im April darüber, ob das Massensterben der Armenier im Osmanischen Reich als "Völkermord" bezeichnet werden solle oder dürfe. Niemand der führenden deutschen Repräsentanten sagte es so schnörkellos wie Lammert im Bundestag: "Das war ein Völkermord." Das Wort wird bleiben, der Parlamentspräsident sprach den Abgeordneten aus dem Herzen. Auch da.