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"Keine großen Unterschiede zwischen Ghani und Abdullah"

Waslat Hasrat-Nazimi15. April 2015

Das Ansehen der Regierung der nationalen Einheit in Afghanistan fängt bereits an zu bröckeln. Philipp Münch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erläutert im DW-Interview die Gründe.

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Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah bei der Bildung der Einheitsregierung im September 2014 (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images

Vor einem halben Jahr einigten sich Ashraf Ghani (Artikelbild, r.) und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung in der afghanischen Regierung. Damit war eine monatelange politische Pattsituation nach den Präsidentschaftswahlen beendet. Trotzdem gibt es bis heute immer noch kein vollständiges Kabinett, nicht mal einen Verteidigungsminister. Seit Anfang des Jahres gibt es vermehrt Gerüchte um das Erstarken der Terrorgruppe "Islamischer Staat" am Hindukusch.

Deutsche Welle: In der Bevölkerung breitet sich mittlerweile großer Unmut aus. Einige Stimmen aus dem Parlament forderten sogar den Rücktritt beider Staatsmänner, Ghani und Abdullah. Warum?

Philipp Münch: Der Hauptgrund sind die unterschiedlichen Interessen Ghanis und Abdullahs. In der Einheitsregierung sind zwei politische Lager vertreten. Sie müssten sich auf eine relativ gleichmäßige Verteilung der Posten einigen. Jetzt kommt auch noch das Parlament ins Spiel, das die einzelnen vorgeschlagenen Kabinettsmitglieder bestätigen muss. Einzelne Abgeordnete versuchen in solchen Verhandlungen Posten für sich und für ihre Parteifreunde in den Ministerien zu beanspruchen, als Gegenleistung für ihre Zustimmung. Das ergibt eine große Bandbreite von Akteuren, die beteiligt werden wollen.

Wie muss man sich das System der Günstlingspolitik in Afghanistan vorstellen?

Im Grunde durchziehen diese Abhängigkeitsverhältnisse die gesamte Gesellschaft. Das fängt in einer Familie an, wo das Familienoberhaupt das Sagen hat, bis hin zum Dorfältesten, der im Verhältnis zu politischen Akteuren steht, die dann wiederum in einem Patronageverhältnis zu einem Akteur auf Provinzebene stehen. Das sind persönliche Verhältnisse, die auf Tradition beruhen. Bei familiären Verhältnissen ist die Verwandtschaft entscheidend. Ansonsten können auch politische Verbindungen eine Rolle spielen, beispielsweise dass man derselben Partei angehört oder der kommunistischen Regierung 1978 gedient hatte. Am allerabstraktesten sind ethnische Gruppierungen.

Philipp Münch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Foto: SWP)
Philipp Münch von der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

Wie unterschiedlich sind die Interessen zwischen Abdullah und Ghani wirklich?

Beide sind von ihrer Klientel abhängig und wollen ihr Wahlkampfversprechen einlösen. Deswegen ist die Frage, ob zwischen beiden wirklich ein Konflikt besteht, oder ob beide selbst Gefangene der Günstlingspolitik sind. Die eigene Klientel droht nicht mehr mitzumachen, wenn sie nicht bekommt, was ihr versprochen wurde. Ich sehe keine so großen Unterschiede. Momentan zeichnet sich eher ab, dass sich Abdullah in eine untergeordnete Rolle gefügt hat. Zumindest tritt er so auf.

Vor welchen großen Herausforderungen steht die Regierung jetzt?

Die internationale Gemeinschaft fordert vor allem Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung. Das ist schwer möglich, wenn man mit einem System arbeitet, das auf solchen persönlichen Abhängigkeiten beruht und Leute informell versorgt werden, obwohl sie nichts dafür leisten.

Wenn man diese Verhältnisse andererseits von heute auf morgen nicht mehr bedienen würde, wäre absehbar, dass die Unterstützung für die Regierung wegbrechen und politische Instabilität drohen würde. Diesen Balanceakt muss man vor dem Hintergrund vollführen, dass die Finanzmittel für die Regierung wegbrechen, weil die Geldgeber weniger zahlen und die afghanische Wirtschaft noch nicht selbst die entsprechenden Haushaltsmittel erwirtschaften kann.

Vonseiten der Bevölkerung und der politischen Akteure wird Kritik laut, dass die Uneinigkeit der Regierung eine Verschlechterung der Sicherheitslage begünstige. Es wird berichtet, die Terrorgruppe "Islamischer Staat" sei jetzt auch in Afghanistan aktiv.

Die unvollständige Regierungsbildung trägt sicher nicht zu einer konsistenten Politik gegenüber den Aufständischen bei und verzögert zudem Entscheidungen, auch in diesem Bereich. Dass sich einige Kommandeure in jüngster Zeit zum "Islamischen Staat" bekannt haben, ist eher auf Fraktionierungen innerhalb der Aufstandsbewegungen zurückzuführen.

Meldungen über IS-Aktivitäten müssen zum einen auch als Versuche afghanischer Regierungsvertreter gesehen werden, hierdurch mehr internationale Aufmerksamkeit und damit auch Spenden auf sich zu ziehen. Zum anderen nutzen die ehemaligen "Gotteskrieger", die insbesondere bei der jüngsten Postenverteilung zu kurz gekommen sind, den IS als Argument dafür, sie wieder einzusetzen, da angeblich ohne sie die Sicherheitslage zusammenbrechen würde.

Hat die nationale Einheitsregierung eine Chance, auch in Zukunft zu bestehen?

Meine persönliche Einschätzung ist, dass man sich letztlich einigen wird. Es dauert in Afghanistan immer lange. Aber letztlich einigen sich die Akteure ja doch immer, auch wenn sie alle auf Zeit spielen. Alle haben ein Interesse daran, dass es weitergeht. Das ist die Voraussetzung für Gelder von der internationalen Gemeinschaft.

Philipp Münch ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.