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Lachen streng verboten

Kersten Knipp10. Januar 2015

Viele arabische Satiriker und Cartoonisten spotten über die politischen Verhältnisse vor Ort. Die politischen Machthaber sind darüber wenig amüsiert. Mit oft fadenscheinigen Argumenten gehen sie gegen die Spötter vor.

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Marokko Verbotenes Cover Magazin Nichane 2006
Marokko lacht: Titelbild der Zeitschrift "Nichane"Bild: Abdelhak Senna/AFP/Getty Images

Der Kämpfer der Terrorbewegung "Islamischer Staat" ist ungehalten. Er solle das Radio abschalten, herrscht er den Fahrer des Taxis an, in dem er gerade sitzt. Radios habe es zu Zeiten des Propheten nämlich nicht gegeben. Im Übrigen dürfe auch die Klimaanlage nicht laufen. Denn auch von denen sei im Koran nicht die Rede. Ob es damals denn schon Taxis gegeben habe, fragt der Fahrer seinen Gast. Natürlich nicht, antwortet der. Worauf der Fahrer eine Vollbremsung macht und seinen Gast hinauswirft. Damit, erklärt er, bekenne er sich zum frühen Islam.

Der Scherz lief in der Sendung "Ktir Salbe Show" im libanesischen Fernsehen. Einer Sendung, die sich wie viele andere in den arabischen Ländern über die IS-Kämpfer und ihren kruden Fundamentalismus lustig macht. Das kann gefährlich sein, besonders in Syrien, wo der IS weite Landesteile beherrscht. Schauspieler, die den IS durch ihre Sketche lächerlich machen, ziehen es darum vor, mit bedecktem Gesicht vor die Kamera zu treten. Sie fürchten die Rache der IS-Kämpfer. Denn die stehen nicht im Ruf, einen besonders ausgeprägten Sinn für Humor zu haben.

"Die IS-Kämpfer präsentieren keineswegs den wahren Islam", erklärt Nabil Assaf, einer der Autoren und Produzenten der "Ktir Salbe Show" in einem Interview. Darum machen wir uns über sie lustig. "Damit zeigen wir, dass wir gegen sie sind und Extremismus ablehnen."

Kämpfer des "Islamischen Staats" in Syrien, 2412.2014 (Foto: AP)
Zielschreibe des Spotts: IS-KämpferBild: picture-alliance/AP Photo/Raqqa Media Center of the Islamic State group

Witze über Politik, Sex und Religion

Politische Witze und Karikaturen haben es schwer in der arabischen Welt. Viele, allzu viele derer, die in den Staaten des Nahen Ostens das Sagen haben, mögen es nicht, dass man über sie lacht. Wie ungehalten sie auf Spott und Satire reagieren, mussten auch die Macher der marokkanischen Wochenzeitschrift "Nichane" ("Direkt" oder "Frontal") erfahren. Im Jahr 2006 hatten sie eine Titelgeschichte über den marokkanischen Witz gemacht. Denn die Marokkaner mögen Witze. Gerne lachen sie etwa über Politik, Sex und Religion. Die Scherze kann man auf Schulhöfen, Universitäten und Büros hören. Nur eines darf man nicht: Man darf sie nicht drucken. Wer das tut, macht sich schuldig. Etwa wegen "Beleidigung der Religion". Oder auch wegen "Veröffentlichung und Verbreitung von Schriften, die Sitten und Moral" verletzten.

Genau diese Beschuldigungen erhob ein marokkanisches Gericht nach Erscheinen der Geschichte über den marokkanischen Humor auch gegen die Macher von "Nichane". Als Strafe verhängte es ein dreimonatiges Erscheinungsverbot über das Blatt. Dieses hatte mit seinen provokanten Titelblättern bereits des Öfteren Anstoß erregt. Und weil die Beiträge in "Nichane" im marokkanischen Dialekt formuliert waren, erreichte das Blatt auch besonders viele Leser. Als es 2009 eine Meinungsumfrage über den marokkanischen König veröffentlichte, reagierten große marokkanische Unternehmen mit einem Anzeigenboykott. Das Blatt musste sein Erscheinen einstellen.

Screenshot der Webseite WikiSham, 31.8.2011 (Foto: dpa)
Der syrische Präsident Assad und der iransche Revolutionsführer Ajatollah Khamenei. Cartoon aus WikiShamBild: picture-alliance/dpa

Der Zeichner mit den gebrochenen Händen

Druck ganz anderer Art lernte der syrische Cartoonist Ali Farzat kennen. Er veröffentlichte kurz nach Ausbruch der Anti-Regierungs-Proteste in Syrien im Jahr 2011 einige Zeichnungen, in denen er sich kritisch mit Präsident Bashar al-Assad auseinandersetzt. Auf einer von ihnen zeichnet er den ehemaligen libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi in einem heranrasenden Auto, offenbar auf der Flucht vor den Revolutionären. Am Wegesrand steht Bashar al-Assad in Anhalterpose. Der fliehende libysche Diktator, so die Botschaft, möge den syrischen doch mitnehmen. Dann wäre man beide los. Das kam nicht bei allen gut an: Im August 2011 wurde Farzat überfallen, Schläger verletzten ihm die Hände. Mindestens eine wurde gebrochen. Die Täter sollen ihn gewarnt haben, sich nicht weiter lustig über das Regime zu machen.

Die beiden Beispiele zeigen: Cartoonisten in der arabischen Welt haben zahlreiche Gegner, religiös ebenso wie säkular motivierte. Im Namen des Glaubens werden sie ebenso angegangen wie im Namen rein irdischer Machtinteressen. In ihrer Abneigung gegen das ungebundene Wort, die provokante oder auch nur lustige Zeichnung unterscheiden sich die Regierungen und Regime der arabischen Welt im Zweifel wenig. Wie immer sie weltanschaulich orientiert sein mögen, eines eint die Machthaber der arabischen Welt: Sie fürchten das Gelächter, sind allergisch gegen den Witz, der die etablierte Ordnung - und mit ihnen auch sie selbst – herausfordern könnte.

Der syrische Karikaturist Ali Farzat, 17.6. 2011 (Foto: dpa)
Mit dem Bleistift gegen Assad: der syrische Karikaturist Ali FarzatBild: picture-alliance/dpa/Louai Beshara

Der Vorwurf der "Beleidigung" oder "Verunglimpfung" ist darum ein geeignetes Instrument, unliebsame Cartoonisten auszuschalten. Wo fängt Beleidigung an, und wo hört sie auf? Eindeutig lässt sich die Frage gar nicht beantworten: Jeder Mensch reagiert anders, ist auf ganz besondere Weise empfindlich. Der Tatbestand der "Beleidigung" oder "Verletzung" öffnet dem juristischen Missbrauch Tür und Tor. Für Cartoonisten in autoritären Regimen ist ihre Arbeit darum mit erheblichen Risiken verbunden. "Als arabischer und muslimischer Cartoonist, der im Nahen Osten lebt und arbeitet gehört die Furcht, die falschen Leute zu entrüsten zum täglichen Leben", erklärt der sudanesische Cartoonist Khalid Albaih dem Fernsehsender Al-Jazeera.

Zensur und Selbstzensur

Ähnlich sieht es auch die ägyptische Cartoonistin Doaa al-Adl. Cartoonisten stünden immer im Verdacht, im Dienste politischer Organisationen zu stehen. Es sei sehr schwierig, dem Lagerdenken zu entkommen, erklärt sie gegenüber der DW. "Das Hauptproblem ist, das man mich immer einer Partei zurechnet. Wenn ich Karikaturen zeichne, die die Regierung kritisieren, behaupten deren Anhänger, ich arbeitete für die Muslimbrüder. Kritisiere ich diese, wirft man mir vor, in Diensten der Regierung zu stehen. Dabei bin ich gegen die Gewalt, egal, von welcher Seite sie kommt."

Cartoonisten in der arabischen Welt seien vielfältigem Druck ausgesetzt, schreibt Khalid Albaih. Für die Arbeit habe das Folgen:"Es ist nicht einfach, einen Cartoon zu zeichnen, der sämtliche Ebenen der Zensur umschifft: die Selbstzensur ebenso wie die Zensur durch Regierungen."

Ein Graffiti in Tripolis verhöhnt den ehemaligen Staatschef Gaddafi, 15.11. 2011 (Foto: AFP)
"Der verrückeste Mensch der Welt": Ein Graffiti in Tripolis verspottet den ehemaligen Staatschef GaddafiBild: AFP/Getty Images/J. Eid

Aufgrund der eigenen Erfahrungen hält Albaih es für richtig, dass die westlichen Gesellschaften auf der absoluten Meinungsfreiheit bestehen. Er halte die Tendenz von "Charlie Hebdo" oft für verletzend und rassistisch. Trotzdem setze er sich auch in diesem Fall für die Meinungsfreiheit ein."Mit ganzem Herzen schließe ich mich all jenen an, die die Handlung der drei jungen Männer verurteilen."