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Werkstattgespräch zum Glauben

18. Januar 2014

Gott ist allen Menschen nah, gerade auch denjenigen, die zweifeln oder suchen. Das kann man immer erleben, zum Beispiel beim Schuster. Klaus Möllering beschreibt für die evangelische Kirche eine solche Begegnung.

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Italien Sizilien Kathedrale von Cefalu Christus Pantokrator
Christus, der Weltenherrscher (Kathedrale von Cefalu, Sizilien)Bild: CC BY-SA-Gun Powder Ma

Viele Menschen zweifeln an Gott, aber würden gerne glauben

„Ach, mich werden Sie sonntags nicht so oft in der Kirche finden.“ Sätze wie diesen höre ich nicht selten als Seelsorger, gerade wenn das Gespräch über die Sorgen des Alltags hinausgeht. „Ich bin einfach nicht so der fromme Typ“, folgt dann manchmal als Begründung. Oder: „Ich würde ja vieles gerne glauben. Aber dann kommen mir doch immer wieder Zweifel.“ Beziehungen, Geschmacksfragen oder den eigenen Lebensstil stellen nicht wenige später im Leben immer wieder mal in Frage. Aber seit sie ihren Glauben aus Kindertagen, wenn sie denn einen hatten, hinter sich gelassen haben, lassen sie zu Gott und wo er zu finden wäre vorsichtshalber lieber keine neuen Fragen mehr zu. Und trotzdem, so merke ich oft, hätten sie gerne etwas, woran sie sich halten können. Etwas, mit dem sie Gott vielleicht doch nahe sein können, irgendwie.

„Zum Glück habe ich meine Frau“

So wie mein Schuster. Neulich, kurz vor Weihnachten, lieferte ich einige Schuhe bei ihm ab. Schnell noch besohlen, nähen, kleben vor den Feiertagen. Ein freundlicher Mann, mein Schuster; sein Lebensweg hat ihn aus dem hintersten Polen, wo heute die Ukraine ist, durch wechselhafte Zeiten mit wechselnden Wahrheiten geführt. Nun hat er seit ein paar Jahren einen gelben Container als Werkstatt, seine Frau nimmt die kaputten Schuhe an und gibt die reparierten heraus. Die beiden sind ein gutes Team, sie haben offenbar im Leben schon viel so miteinander geschafft. Er arbeitet, sie behält den Überblick.

Das muss sie auch, denn es gibt nicht viel Platz. Vor die Ladentheke passt höchstens ein Kunde, man ist sich gleich nahe. Hinter der Theke surren die Schleifscheiben und Polierbürsten, es riecht nach Leder und Kleber. Mein Schuster freut sich immer, wenn mal einer für einen Moment länger bleibt, mit ihm plaudert. Und wo er sich schon so um meine Schuhe kümmert, will ich nicht gleich wieder rausstürzen, trotz Weihnachten. Ein Wort gibt das andere, obwohl doch so viel zu tun ist in diesen Tagen. „Was machen Sie denn?“, fragt er interessiert. „Ich bin Pfarrer“, sage ich. „Ach“, meint er erstaunt, „da wird sich meine Frau aber freuen. Olga!“, ruft er sie hinter dem Schuhregal hervor, „der Herr ist Pfarrer!“ Ihre Augen unter der sehr blonden Turmfrisur leuchten auf, sie lächelt mich an und schüttelt mir die Hand, lange und ausdauernd.

„Wissen Sie“, sagt der Schuster zu mir mit einem Achselzucken, „die einen glauben - so wie meine Frau. Die anderen glauben nicht. Ich bin da neutral.“ Er schaut halb entschuldigend über die Schulter zu seiner Frau – und es ist unübersehbar, dass die das mit dem „neutral“ für falsch hält. Für völlig falsch. Als ob es etwas Neutrales geben könnte zwischen Glauben und Nicht-Glauben. Aber wie das eben so ist in einer alten Ehe: Sie sagt nichts, schüttelt nur leise den Kopf. „Ja“, sagt der Schuster noch mal, „ich bin neutral. Aber zum Glück habe ich meine Frau.“ Und dabei zeigt er auf den Ausgang, über der Schiebetür. Ich sehe: Eine kleine Ikone hat die Frau dort hin gehängt. So blickt Christus, der Weltenherrscher, in diesem gelben Schustercontainer von oben segnend auf alle, Gläubige wie Ahnungslose. Auf den Schuster, der sich tagein, tagaus um deren Schuhe kümmert. Und auf die Frau, die findet, dass der Segen für die Seelen dabei nicht fehlen darf, ja letztlich doch viel wichtiger ist.

„Zum Glück habe ich meine Frau“, sagt der Schuster noch einmal, als wir uns verabschieden. „Gott schütze Sie“, sagt er dann zu mir, selbst davon etwas überrascht - und unsicher. Sagt man das so zu einem Pfarrer beim Abschied? „Ja, Gott schütze Sie“, wünsche ich den beiden auch und werfe noch einen Blick auf die kleine Ikone. Die Frau im Hintergrund lächelt nur - und nickt mir zu.

Gott kommt allen Menschen nahe

„Keinem von uns ist Gott fern.“ An diesen Satz des Apostels Paulus musste ich denken, als ich den Container verließ. Vor fast 2000 Jahren sagte Paulus dies zu den Athenern – ebenfalls Leute, die sich nicht so sicher waren im Blick auf Gott, aber da auch nichts falsch machen wollten. Eine unnötige Vorsicht, meinte Paulus damals. Gott kommt zu uns Menschen, er kommt auch euch nahe. Er wird Mittel und Wege finden dazu. Seid darauf gefasst: Er bleibt keinem von uns fern.

Auch meinem „neutralen“ Schuster nicht, glaube ich. Denn zum Glück hat er ja seine Frau.

Pfarrer Klaus Möllering Berlin
Pfarrer Klaus Möllering, BerlinBild: GEP

Zum Autor:

Klaus Möllering (Jahrgang 1953) arbeitet seit 2009 als Pfarrer und Seelsorger im Seniorenwohnstift Augustinum in Kleinmachnow bei Berlin. Seit vielen Jahren ist er Autor kirchlicher Radio- und Fernsehsendungen. Denn er war ab 1986 zunächst acht Jahre als evangelischer Beauftragter beim WDR tätig, danach zwölf Jahre als Beauftragter für Deutschlandradio und Deutsche Welle. Von 2007 bis 2008 leitete er in Berlin die Evangelische Medienakademie und die Evangelische Journalistenschule. Klaus Möllering ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und eine reizende Enkeltochter.