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Brasilien versteigert Ölförderrechte - und keiner bietet mit

Jan D. Walter | Fernando Caulyt
22. Oktober 2013

Heftige Proteste haben die Versteigerung von Förderlizenzen am größten brasilianischen Ölfeld begleitet. Auch Experten kritisieren das Verfahren scharf und sehen einen Verstoß gegen die Interessen des Staates.

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Geharnischte Soldaten und Demonstranten stehen sich gegenüber(Foto: Tânia Rêgo/ABr)
Bild: Tânia Rêgo/ABr

Vorsichtshalber hatte die brasilianische Regierung mehr als 1000 Soldaten anrücken lassen, um das Hotel Windsor in Rio de Janeiro vor Demonstranten zu schützen. Seit Monaten kommt es am Rande der fast täglichen Kundgebungen gegen Korruption, schlechte Sozialsysteme und mangelnde Infrastruktur zu gewaltsamen Ausschreitungen. Und auch am Montag (21.10.2013) vor dem Hotel Windsor gab es acht Verletzte.

Drinnen ging es dagegen auffällig friedlich zu, dabei fand dort nicht weniger als die größte Auktion der brasilianischen Geschichte statt: Es ging um die Förderlizenz für das Ölvorkommen "Libra", rund 200 Kilometer vor der Küste von Rio de Janeiro, in dem zwischen acht und 13 Milliarden Barrel Erdöl lagern sollen. Allein, es gab nur einen einzigen Bieter.

Demostranten zwischen Palmen und Tränengas(Foto: Tânia Rêgo/ABr)
Acht Menschen wurden bei den Protesten gegen die Auktion verletztBild: Tânia Rêgo/ABr

Übergabe an internationales Konsortium

Eigentlich hatte die Nationale Energieagentur ANP erwartet, dass sich rund 40 Ölkonzerne aus der ganzen Welt an der Versteigerung beteiligen würden. Der Bieterwettbewerb aber blieb aus.

Denn nachdem einige Großkonzerne wie Exxon, Chevron und BP gar nicht erst die Teilnahmegebühr entrichtet hatten, sprangen immer mehr Interessenten ab. Am Ende blieb ein einziges internationales Konsortium übrig, bestehend aus der brasilianischen Petrobras (40 Prozent), der niederländisch-britischen Shell, der französischen Total (je 20 Prozent) und den chinesischen CNPC und CNOOC (je zehn Prozent).

Geringes Interesse an Ausschreibung

"Diese Ausschreibung war keine echte Versteigerung, sondern eher eine Übergabe", urteilt Ildo Sauer, Leiter des Energie- und Umweltinstituts der Universität São Paulo (IEE). Während sich die Nationale Energieagentur überrascht gezeigt hatte über das verhaltene Interesse, äußerten sich Experten weniger erstaunt - aus diversen Gründen: Das Verfassungsgericht prüft derzeit die Rechtslage, auf der die Förderverträge basierten, die Förderbedingungen selbst gelten als schwierig, da die Vorkommen mehr als 6000 Meter tief unter dem Meeresspiegel unter einer dicken Salzschicht lagern. Und es ist nicht einmal sicher, wie viel Öl überhaupt zu holen ist.

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Mit dem Megaölfeld "Pré-Sal", zu dem die Kammer "Libra" gehört, könnte Brasilien zur Erdölmacht aufsteigen

Als weitere Euphoriebremse gilt die Rolle der halbstaatlichen Petrobras, der von vorne herein eine Mindestbeteiligung von 30 Prozent zugedacht war. Der Direktor des Brasilianischen Instituts für Infrastruktur (CBIE) Adriano Pires meint: "Solange die Regierung so viel Einfluss auf die Konzessionen behalten will, ist es kein Wunder, dass sie bei privaten Unternehmen - zumal bei ausländischen - wenig Interesse weckt."

Zudem steckt Petrobras in Liquiditätsproblemen. "Die Ratingagenturen üben Druck auf Petrobras aus", erklärt der Handelsprofessor Marcos Antônio de Andrade von der Presbyterianischen Universität Mackenzie in São Paulo, "für externe Investoren ist das ein schwerwiegendes Problem."

Zumindest den Chinesen hätte Andrade aber mehr Engagement zugetraut: "Nach dem Lärm, den sie im Vorfeld gemacht haben, hätte ich mit einer höheren Beteiligung gerechnet." China ist Brasiliens größter Handelspartner und hat einen hohen Importbedarf an Erdöl.

Verstoß gegen die Interessen des Staates?

Zwar sollen die Lizenzen in den nächsten 30 Jahren immerhin 330 Milliarden Euro an Gebühren in die Staatskassen spülen. Doch IEE-Leiter Ildo Sauer, von 2003 bis 2007 Energie-Vorstand bei Petrobras, ist überzeugt, dass die Regierung den Staat durch das hastig durchgeführte Verfahren um Milliarden-Einnahmen bringt.

Bis zuletzt hatte er deshalb versucht, die Ausschreibung juristisch zu verhindern. Insgesamt wurden 24 Klagen gegen die Versteigerung eingereicht. Erst 18 davon sind abgewiesen. "Ich glaube immer noch, dass die Justiz diese Versteigerung für ungültig erklären wird. Wenn nicht, wird man den 21. Oktober wohl als Tag des Verbrechens gegen das Vaterland in Erinnerung behalten", sagte Ex-Petrobras-Vorstand Ildo Sauer im DW-Interview.

Wahltaktische Gründe werden vermutet

Fast einhellig halten die Kritiker die Ausschreibung für ein wahltaktisches Manöver der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff: Die Erdöl-Erlöse des Staates sollen zu 75 Prozent in das Bildungs- und zu 25 Prozent in das Gesundheitssystem fließen - zwei der Hauptforderungen der anhaltenden Demonstrationen in den Straßen Brasiliens. Mit der einmaligen Lizenzgebühr von fünf Milliarden Euro wolle die Regierung noch schnell das Haushaltsergebnis des laufenden Jahres aufbessern, glaubt CBIE-Direktor Pires: "Die Regierung kämpft ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen um ihr Überleben."

Eine Reihe geharnischter Soldaten vor dem Hotel, in dem die Auktion stattfand. (Foto: Tânia Rêgo/ABr)
Rousseff ersetze Überzugungskraft durch Militärgewalt, meint Ex-Petrobras-Vorstand Ildo SauerBild: Tânia Rêgo/ABr

Außerdem ist Brasiliens energetische Unabhängigkeit, die mit der Ausbeutung von Libra erreicht werden soll, ein Prestigeprojekt, das die regierende Arbeiterpartei seit Rousseffs Vorgänger Lula da Silva proklamiert.

"2010 hat Dilma Rousseff es noch als Verbrechen bezeichnet, das Ölfeld Pré-Sal und die Petrobras zu privatisieren", erinnert Ex-Petrobras-Vorstand Ildo Sauer. Heute habe sie so wenig Überzeugungskraft, dass sie das Militär braucht, um die größte Öl-Privatisierung der brasilianischen Geschichte durchzusetzen.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.