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Die ideale Schlaftablette

Brigitte Osterath17. September 2013

Schlafmittel haben einen sehr schlechten Ruf: Sie seien gefährlich und machten abhängig, heißt es. Aber für Menschen mit chronischer Schlaflosigkeit sind diese Substanzen oft die einzige Lösung.

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Frau liegt wach im Bett (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/Dan Race

Es begann vor 19 Jahren: Anne-Marie konnte einfach nicht mehr einschlafen. "Das waren 19 leidvolle Jahre", erzählt sie. "Schlaflosigkeit ist ein Kreuz. Leute, die nicht darunter leiden, können sich gar nicht vorstellen, was das bedeutet."

Ihre Schlaflosigkeit setzte ein, nachdem ihre Mutter verstorben war. Anne-Marie erinnert sich noch heute daran, wie sie den Körper ihrer toten Mutter berührte. "Ich wusste nicht, dass ein menschlicher Körper so kalt sein kann. Das war ein Schock." Sie lag nachts wach, unfähig, ein Auge zuzumachen. Nach ein paar Tagen wandte sie sich an einen Arzt. "Ich war so aufgelöst, ich habe in der Praxis geweint."

Jetzt ist Anne-Marie 68 Jahre alt und lebt in Lohmar, in der Nähe von Bonn. Sie braucht eine halbe Stunde, um von all den Ärzten zu erzählen, die sie in fast 20 Jahren besucht hat - es waren so viele. "Aber keiner konnte mir helfen." Schließlich fand sie einen Weg, mit ihrer Krankheit fertig zu werden: Jeden Abend nimmt sie eine viertel Schlaftablette. "Vor zehn Jahren dachte ich mir: Entweder du schluckst das jetzt, oder du stirbst. Schlaf ist so wichtig wie Essen und Trinken."

Frau schläft auf Laptop (Foto: Fotolia)
Wer nachts nicht schlafen kann, ist tagsüber müde und hat Probleme im JobBild: Fotolia© auremar #47175777

Feind des Schlafs: Anspannung

Laut Robert-Koch-Institut zeigen 25 Prozent der Deutschen Symptome von Schlaflosigkeit. In den USA litten 10 bis 15 Prozent aller Erwachsenen sogar an chronischer Schlaflosigkeit, schreibt das Nationale Zentrum für Schlafstörungsforschung.

Die Ursachen seien oft psychologischer Natur, berichtet Hans-Günter Weeß, Leiter des Schlafzentrums im Pfalzklinikum in Klingenmünster. "Die Patienten haben verlernt, im Schlafzimmer abzuschalten. Sie grübeln über Alltagsaufgaben nach."

Auch organische Krankheiten wie Fehlfunktionen der Schilddrüse können zu Schlaflosigkeit führen.

Das Gehirn in den Schlaf zwingen

Ganz natürlich einzuschlafen, ist immer die beste Lösung. Aber einige Menschen - so wie Anne-Marie - schaffen es nicht mehr ohne Einschlafhilfe. Daher forschen Wissenschaftler an der idealen Schlaftablette ohne Nebenwirkungen.

Vor einigen Jahrzehnten galten Barbiturate als solche idealen Schlafmittel. Aber in den 1950er Jahren realisierten die Ärzte, dass die Substanzen stark abhängig machen. Traurige Berühmheit erlangten sie, als sich Prominente wie Marilyn Monroe damit selbst umbrachten.

Marilyn Monroe (Foto: AP)
Marilyn Monroe starb an einer Überdosis BarbituratenBild: AP

Später eroberten die Benzodiazepine den Markt, darunter auch Valium, das wohl bekannteste. Wie auch die Barbiturate docken sie an Rezeptoren im Gehirn an, die empfindlich auf den Neurotransmitter GABA reagieren. Dadurch zwingen sie das Gehirn einzuschlafen. Bis zu 20 Prozent aller Nervenzellen im Gehirn produzieren den GABA-Neurotransmitter.

"Diese GABA-Rezeptoren agieren im gesamten Gehirn, auch in den Regionen, die für Wahrnehmung, Bewegungskoordination und Stimmung wichtig sind", sagt Jason Uslaner, Mitarbeiter bei dem Chemie- und Pharmazieunternehmen Merck im US-Bundesstaat Pennsylvania.

Obwohl Benzodiazepine noch immer auf dem Markt sind, gibt es inzwischen eine neue, bessere Alternative: die Z-Substanzen. Sie werden so bezeichnet, weil ihre Namen alle mit dem Buchstaben Z beginnen. Dazu gehören zum Beispiel Zolpidem und Zopliclon. Auch sie docken an GABA-Rezeptoren an, aber an eine ganz bestimmte Untereinheit, und haben weniger Nebeneffekte als Benzodiazepine. Sie gelten derzeit als Mittel der Wahl zur Behandlung von Schlaflosigkeit.

Auch natürliche Substanzen wie Baldrian können Menschen dabei helfen, sich zu entspannen und einzuschlafen. Aber sie wirken oft nur bei milden Formen von Schlaflosigkeit. Anne-Marie sagt, Baldrian helfe ihr nur manchmal, sehr oft verfehle es seine Wirkung.

Kein natürlicher Schlaf

Alle Schlafmittel haben eines gemeinsam: Sie verändern das Schlafprofil. "Es kommt zu Tiefschlaf- und REM-Schlafunterdrückungen", erklärt Weeß. REM steht für rapid eye movement (zu deutsch: schnelle Augenbewegung), dem Schlafstadium, in dem Menschen träumen.

Tabletten (Foto: dpa)
Schlafmittel können auch abhängig machenBild: picture-alliance/dpa

Auch wenn moderne Schlafmittel weniger Nebenwirkungen haben, heißt das nicht, dass sie nebenwirkungsfrei sind. Patienten fühlen sich am nächsten Morgen unter Umständen müde und wie erschlagen, möglicherweise können sie kein Auto fahren. Wer die Substanzen länger als zwei Wochen einnimmt, riskiert irgendwann nicht mehr ohne Tablette einschlafen zu können. Eventuell verlieren die Mittel nach längerer Zeit auch ihre Wirkung. "Schlafmittel sind nur für eine kurzzeitige Anwendung geeignet", sagt Weeß. Bis jetzt gibt es die ideale Schlaftablette eben noch nicht.

Hoffnung auf ein neues Schlafmittel

In Zukunft könnte ein weiteres Mittel Anne-Marie und ihren Leidensgenossen den langersehnten Schlaf bescheren: die Orexinrezeptor-Antagonisten, kurz DORAs. Wie Forscher vor kurzem entdeckten, spielt der Neurotransmitter Orexin eine zentrale Rolle dabei, den Tages- und Nachtrhythmus des Körpers zu kontrollieren. "Tagsüber sind die Orexinspiegel hoch, um dich wach zu halten", erklärt Uslaner. "Nachts fallen sie ab, damit du einschläfst."

DORAs blockieren diese Rezeptoren, so dass der Neurotransmitter nicht wirken kann. Uslaner und sein Team forschen bei Merck an dieser neuen Klasse von Schlafmitteln. "Im Gegensatz zu GABA wird Orexin nur in vereinzelten Gehirnregionen gefunden", sagt er. Die Forscher erwarten daher, dass DORAs nicht die Nebenwirkungen haben wie heutige Schlafmittel.

"Es sind sehr hoffnungsvolle Substanzen", sagt auch Weeß. "Sie scheinen den natürlichen Schlaf nur wenig zu beeinflussen." Bis jetzt haben die Substanzen sich aber nur in vorklinischen Experimenten an Nagetieren und nicht-menschlichen Primaten bewährt. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Forscher wissen, ob sie sich auch für den Einsatz am Menschen eignen.

Nur eine Notlösung

Anne-Marie sagt, sie habe wirklich alles versucht, um einzuschlafen. Sie gründete sogar eine Selbsthilfegruppe für Schlaflosigkeit. Die Gruppe existiere aber nicht mehr, erzählt sie, denn ständiger Schlafentzug koste Energie. "Die Leute waren abends zu müde, um zu den Treffen zu kommen." Ihre viertel Schlaftablette gibt ihr, was sie braucht. Ihr Arzt verschreibt die Pillen ohne Probleme, "weil er weiß, dass ich nicht so viel nehme".

Besser einschlafen - wirkungsvolle Tipps

Weeß aber warnt, dass Schlaftabletten nur eine Notlösung sind. "Sie haben keine heilende Wirkung, beseitigen nicht die Ursache der Schlaflosigkeit. Sie lindern nur die Beschwerden." Für Anne-Marie ist das aber mehr als genug.