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Die digitale Netzwende

Roxana Isabel Duerr30. April 2013

Computergesteuerte Stromnetze sind die Zukunft: Diese „Smart Grids“ sollen Energieerzeugung und Verbrauch klug koordinieren; intelligente Netze gleichen Schwankungen intern aus. Eine Chance für die Energiewende?

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Foto: Landschaftsansicht mit Windrädern und Hochspannungsleitung (Foto: Thomas Klewar/KfW-ARchiv)
StromnetzBild: KfW-Bildarchiv / Fotograf: Thomas Klewar

Jhoy Lavenga lacht herzlich: Ein Leben ohne Stromausfall? Für die philippinische Fischhändlerin ist das kaum vorstellbar. Auf dem Markt von Coron, im Westen der Visayas, verkauft sie Sardinen im Schein des Kerzenlichts. Häufig bricht das über drei Generatoren betriebene Stromnetz der Stadt zusammen. Stromausfälle sind auf den Philippinen, wie in vielen anderen Schwellen- und Entwicklungsländern, an der Tagesordnung.

Dezentrale Nutzung von Energieressourcen als Notwendigkeit

Offizielle Statistiken geben keine verlässliche Auskunft über den Stromzugang weltweit, die Zahlen sind oft geschönt. Das weiß auch Sridhar Samudrala, Vorsitzender von WADE, der Vereinigung zur dezentralen Energieversorgung, eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Entwicklung entsprechender Systeme weltweit einsetzt. Derzeit arbeitet Samudrala an einem Pilotprojekt in Thailand, wo erneuerbare Energien in ein sogenanntes "intelligentes Energienetz", ein "Smart Grid", integriert werden sollen. "Weltweit ist die Energiesicherheit durch instabile Ölpreise nicht mehr gegeben, lokale Ressourcen müssen daher intelligenter genutzt werden", betont der Energieberater.

Foto: Kerzen erhellen die Auslage des Fischmarkts in Coron. (Foto: Roxana Isabel Duerr)
Stromausfall an der Tagesordnung: Der Fischmarkt von Coron im KerzenlichtBild: Roxana Isabel Duerr

Smart Grid - das Internet der Energie

Was macht das Smart Grid nun "smart," also schlau? In erster Linie seine Fähigkeit zur Kommunikation. Es ist eine Art Internet der Energie: Jedes angeschlossene Energiegerät kann durch das computergesteuerte Netz Informationen flexibel senden und erhalten. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten läuft per Datenübertragung, über Modem oder eine ADSL-Verbindung. Konkret könnte das zum Beispiel so aussehen: Registriert das System Wolken über Solarzellen im Süden eines Landes, erhalten Windanlagen im Norden automatisch das Kommando zum Einsatz. Ist es an der Küste windstill, schalten sich andernorts von selbst Wasserkraft- oder Biogasanlagen zu. Wird mehr erzeugt als benötigt, kann die überschüssige Energie für den Bedarfsfall in einem Speicherkraftwerk aufgespart werden.

Das intelligente Netz ist per Definition ein Hybrid-System: Es integriert sowohl erneuerbare, als auch fossile Energien. Ein großangelegtes Smart Grid, das ausschließlich über Öko-Energie gesteuert wird, ist nach Experten-Ansicht für den heutigen Stand der Technologie noch zu kostspielig.

Italien als Vorreiter der smarten Energierevolution

"Das Smart Grid garantiert eine nachhaltige und sichere Energieverteilung, Angebot und Nachfrage stehen so ständig im Gleichgewicht", erklärt Marco Cotti vom italienischen Energieversorgungsunternehmen Enel. Italien hat bereits vor 12 Jahren das bislang erste und größte Smart Grid der Welt entwickelt. Mehr als die Hälfte der italienischen Bevölkerung ist heute mit dem sogenannten "Smart Meter" von Enel ausgestattet. Der digitale Stromzähler erfasst den individuellen Verbrauch und schaltet beispielsweise Waschmaschine oder Trockner dann an, wenn viel Ökostrom in das Netz gespeist wird und der Preis deshalb fällt. Weitere Smart-Grid-Projekte wurden in den letzten Jahren in Portugal, Deutschland, USA und den Niederlanden initiiert.

Foto: Ein Messgerät, das Stromeinspeisung und Stromverbrauch misst (Foto: Roxana Isabel Duerr)
Der Smart Meter ist ein wichtiger Bestandteil des intelligenten Stromnetzes: als digitaler Energiezaehler zeigt er dem Verbraucher Energiekonsum und Nutzungszeit an.Bild: Enel

Der erste Schritt in die richtige Richtung: Erneuerung existierender Energienetze

Ohne eine grundlegende Sanierung bestehender Netze wird die smarte Energierevolution jedoch ein Wunschtraum bleiben, prophezeit Samudrala. Damit sich die Investition in schlaue Energienetze auch wirtschaftlich lohnt, müssen Regierungen auch das produzierende Gewerbe ins Boot holen, um etwa den Energieverbrauch von Haushaltsgeräten besser in die Kalkulation einbeziehen zu können. Nur so läßt sich gewährleisten, dass die smarten Netze in Zukunft immer effizienter arbeiten. Für den Verbraucher bedeutet das Investitionen in effizientere Geräte - 500 bis 1500 US-Dollar müsse man kalkulieren, rechnet Samudrala vor, "langfristig eine sehr rentable Investition."

Eine Herausforderung für Schwellen- und Entwicklungsländer

Gerade für Entwicklungsländer ist eine flächendeckende Aufrüstung bisweilen die größte Herausforderung: Bevölkerungsexplosion und Industrialisierung heizen den Energiekonsum zusätzlich an, die Produktion kommt dabei vielerorts nicht hinterher.

"Für uns ist das Smart Grid momentan außer Reichweite. Die Kosten für Technik, Installation und Training sind einfach zu hoch", bedauert die indonesische Energieunternehmerin Tri Mumpuni. Ihre Mikrowasserkraftwerke für ländliche Regionen in Asien werden weitgehend durch öffentliche Mittel finanziert.

Foto: Eine Frau vor einer Mikrowasserkraft-Turbine (Foto: Roxana Isabel Duerr)
Hier sind Smart Grids noch außer Reichweite: Die indonesische Energieunternehmerin Tri Mumpuni vor einer Mikrowasserkraft-TurbineBild: IBEKA

Das dezentrale Energienetz bedarf nicht nur einer leistungsfähigen Infrastruktur, sondern auch hochausgebildeter Systemingenieure. Regierungen von Entwicklungsländern müssten daher vorgesehene Kredite multinationaler Instanzen transparent und effizient einsetzen, so Samudrala.

Der Verbraucher als treibende Kraft der Energiewende

Auch wenn diese Maßnahmen der Überwachung des privaten Energiekonsums nahe kommen und damit auch der Entstehung eines "gläseren Verbrauchers," gibt Samudrala sich zuversichtlich: "Letztendlich wird der Kunde zur treibenden Kraft der Energiewende. Er wandelt sich vom passiven Gebührenzahler zum engagierten Konsumenten auf dem Energiemarkt."

Auf dem Fischmarkt von Coron muss Jhoy Lavenga bis dahin wohl noch viele weitere Kerzen anzünden.