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Ein Dorf im Goldrausch

Julia Hahn17. Januar 2013

36 Millionen Unzen Gold: Tansania sitzt auf einem milliardenschweren Schatz. Und von dem will auch das Dorf Kewanja profitieren - für ein paar Gramm riskieren hier viele Menschen sogar ihr Leben.

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Eine Verkäufern in Kewanja/Tansania zeigt die Goldsteine, die "Intruder" auf dem Schuttberg der Nord Mara Goldmine gesammelt haben, und die sie weiterverkauft (Foto: DW/Julia Hahn)
Bild: DW/J. Hahn

Kewanja im äußersten Nordwesten von Tansania, keine halbe Autostunde von der kenianischen Grenze entfernt. Es ist kurz nach Mittag, als die Nachricht die Runde macht. In der Goldmine wurde wieder gesprengt, die Lastwagen bringen neue Steine. Jetzt muss alles schnell gehen. Männer und Frauen, Alte und Junge stürmen den riesigen Berg, der neben der Dorfstraße in den Himmel ragt. Einige sind bewaffnet, mit Macheten oder Stöcken. Sie kraxeln und klettern, wühlen und sammeln - in der Hoffnung, im Geröll noch etwas Gold zu finden. Nur wenige Minuten später pfeifen Schüsse durch die Luft, auf der Bergspitze tauchen zwei Polizisten in grüner Uniform auf. Das Zeichen war eindeutig, die Dorfbewohner treten den Rückzug an. Zumindest für den Moment.

Eindringlinge und Plünderer

Der Sturm auf die Mine ist längst zum täglichen Ritual geworden in Kewanja - für viele hier ist er sogar ein Beruf. "Intruder" nennen sie sich - "Eindringlinge", denn der graue Schuttberg gehört dem Unternehmen African Barrick Gold (ABG), einer Tochter des größten Goldproduzenten der Welt: Barrick Gold aus Kanada.

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Die Steine sind ein Abfallprodukt aus dem Tagebau nebenan, trotzdem lässt der Konzern sie bewachen. Für die meisten Bewohner von Kewanja sind sie das einzige Einkommen. Etwa jeder Dritte, heißt es hier, arbeitet als "Intruder", vor allem junge Männer, Jugendliche - sogar Kinder. "Ich bin nicht stolz darauf, aber uns bleibt doch gar nichts anderes übrig", sagt ein junger Kerl im schmutzigen T-Shirt, der seinen Namen lieber nicht nennen will. "Wir haben keine Jobs, kein Einkommen. Es ist keine gute Arbeit, aber von irgendwas müssen wir ja schließlich leben." Die Intruder verkaufen die Steine an Zwischenhändler. Illegal werden sie weiterverarbeitet, zu Goldstaub und Nuggets.

Jumanne aus dem Dorf Kewanja sucht nach wertvollen Steinen auf einem Schuttberg der Goldmine. Er gehört zu den "Intrudern" (Eindringlingen), weil der Berg offiziell dem Minenkonzern gehört (Foto: DW/Julia Hahn)
Leben mit dem Risiko: Die Goldgräber von KewanjaBild: DW/J. Hahn

Immer wieder Tote

Täglich setzen die Intruder ihr Leben aufs Spiel, denn African Barrick Gold lässt das Minen-Grundstück von privaten Sicherheitsleuten und der tansanischen Polizei bewachen. Einige Polizisten seien korrupt, sagen die Intruder. Gegen ein Schmiergeld würden sie auch mal für ein paar Minuten wegschauen. Sobald die Lage aber eskaliere, werde scharf geschossen. Immer wieder gibt es Tote und Verletzte, sie füllen die Schlagzeilen der lokalen Zeitungen. Allein 2012 sind mindestens acht Menschen vor oder auf dem Minengelände in Nord Mara getötet worden.

Der Konzern selbst macht keine Angaben zu den Opfern. Bei den Intrudern wächst die Wut. "Barrick sind die Leute hier völlig egal, deshalb schießt man doch auf uns, als wären wir Hunde", schimpft der junge Mann im schmutzigen T-Shirt. Seine Freunde nicken stumm.

Die Zahl der Todesopfer in den vergangenen Jahren sei "alarmierend", heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Legal and Human Rights Center (LHRC) in Daressalam. Und die Täter würden in den meisten Fällen nicht bestraft, kritisiert Helen Kijo-Bisimba, die Direktorin des LHRC. Im Herbst 2012 hat ihre Organisation Beschwerde eingelegt bei den Vereinten Nation und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Großes Geld unter der Erde

Nach der Sprengung im Tagebau transportieren Lastwagen Gold-Gestein in der Nord Mara Mine in Tansania (Foto: DW/Julia Hahn)
Streng bewachter Schatz: Goldabbau in Nord MaraBild: DW/J. Hahn

Der offene Tagebau in Nord Mara erinnert an eine gigantische Baugrube. Per Sprengung wird das Edelmetall aus dem Boden geholt, 2011 waren es 170.000 Unzen (4,8 Tonnen). In einer gigantischen Anlage wird das Goldgestein weiterverarbeitet. Mehr als 200 Millionen Euro Umsatz machte ABG 2011 allein in Nord Mara.

Schon mehrmals hat die Mine den Betreiber gewechselt, 2006 übernahm ABG. Der Konzern ist seit über einem Jahrzehnt in Tansania aktiv und betreibt inzwischen insgesamt vier Goldminen im Land. In Nord Mara kommen nach Angaben des Unternehmens 360 Minenangestellte direkt aus der näheren Umgebung. Weitere 1.500 Anwohner seien indirekt über Dienstleiter für ABG tätig. Ein Jobwunder ist das nicht: Die Mine schafft nur wenige Arbeitplätze für die geschätzt 70.000 Anwohner. Hohe Umsätze, wenige Jobs: das Problem ist typisch für den Rohstoff-Sektor.

Infografik: Wohin exportiert Tansania das Gold?

Buhlen um die Bevölkerung

Man habe auch eine soziale Verantwortung in Tansania, betont der Konzern immer wieder. In Nord Mara hat ABG dazu eine Abteilung für "Community Relations", also "Gemeindebeziehungen" eingerichtet. 17 Männer und Frauen sind in dem Team. Wie Sozialarbeiter touren sie durch die Gegend, knüpfen Kontakte zu Dorfältesten und Gemeindevorstehern.

Und sie überwachen die Sozialprojekte des Konzerns. Auf eines ist African Barrick Gold besonders stolz: Die Ingwe Schule (Ingwe Secondary School), nur wenige Autominuten vom Minengelände entfernt. Die heruntergekommenen Klassenräume hat der Konzern 2012 renovieren lassen. Eine Mensa und weitere Schulgebäude werden gerade gebaut - von lokalen Firmen, so würden Arbeitsplätze geschaffen, betont die Pressesprecherin. Schulleiter Joash Mageka im capucchinofarbenen Anzug lobt das Engagement des Konzerns in den höchsten Tönen. "Früher sind viele Schüler nach dem Unterricht als Intruder losgezogen. Jetzt sind es nicht mehr so viele. Die Bildung hilft".

Klassenzimmer mit Schülern der Ingwe Secondary School, die mit Geldern des Konzerns African Barrick Gold renoviert und erweitert wurde (Foto: DW/Julia Hahn)
Klauen statt lernen: Viele Schüler suchen als "Intruder" nach GoldBild: DW/J. Hahn

Die Schule ist nicht das einzige Projekt, auch ein Krankenhaus, eine Wasseraufbereitungsanlage, Fortbildungen, Malaria- und AIDS-Programme zählen zu den Investitionen des Konzerns. Insgesamt 20,6 Millionen US-Dollar hat ABG nach eigenen Angaben seit 2010 für soziale Projekte in ganz Tansania ausgegeben - weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes. Ein erheblicher Teil des Geldes sei nach Nord Mara geflossen. Aber wie passt das soziale Engagement des Konzerns mit der fast täglichen Gewalt in der Region zusammen? "Mit Zeit, Kontinuität und Vertrauensbildung zwischen uns und der Gemeinschaft werden wir es schaffen zumindest den Respekt der Gemeinden zu bekommen", sagt Gary Chapman, der Manager der Mine.

Eine Problem-Region?

Bis 1992 war Tansania ein sozialistischer Einparteienstaat, ausländische Investoren durften nicht ins Land, eine moderne Bergbau-Industrie konnte sich nicht entwickeln. Lange bauten die Dorfbewohner das Gold selbst ab - in kleinen Mengen nur, aber es reichte zum Leben. Ende der 90er Jahre kamen die internationalen Konzerne. Seitdem ist kaum noch Platz für die nicht-industriellen Goldgräber.

Kewanja ist eines von insgesamt sieben Dörfern rund um die Goldmine. Sie zählen zu den ärmsten des Landes, abgelegen und vom Staat vernachlässigt. Die meisten Menschen hier gehören dem Stamm der Kuria an, traditionell Viehhalter und Ackerbauern, die im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tansania leben. Die Straßen sind mit Schlaglöchern gespickt, fließendes Wasser und Strom gelten als Luxus. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von weniger als einem Dollar am Tag.

Sospeter Muhongo, Minister für Energie und Mineralien in seinem Büro in Daressalam, Tansania (Foto: DW/Julia Hahn)
"Bildung ist der Schlüssel": Minister Sospeter MuhongoBild: DW/J. Hahn

Was also läuft schief in Nord Mara? Nachfrage bei der Regierung in der Wirtschaftsmetropole Daressalam. Sospeter Muhongo, der Minister für Mineralien, kommt selbst aus Nord Mara, ist Geologe und erst seit wenigen Monaten im Amt. Die internationalen Multis will er stärker in die Pflicht nehmen und auch die Steuern strikter eintreiben. Außerdem sollen die einfachen Goldgräber neue Abbauflächen bekommen. Doch wie genau das funktionieren soll, ist noch unklar. "Wir haben alles versucht und werden weiterhin unser Bestes geben, um Frieden und Sicherheit in dieser Region zu garantieren", sagt der Minister. "Um das zu erreichen müssen wir vor allem in die Bildung investieren. Wenn die Leute gut ausgebildet sind, werden sie anfangen anders zu denken." Von einem Versagen der Politik in der Vergangenheit will er nichts wissen.

Illegale Geschäfte boomen

Von wirtschaftlichem Aufschwung oder gar Boom zu sprechen - das wäre in Nord Mara maßlos übertrieben. Doch das Gold lockt auch über die Grenzen hinweg Menschen an. David Arumba zum Beispiel. Er kam vor gut einem Jahr mit seiner schwangeren Frau aus dem benachbarten Kenia. David ist 25 Jahre alt, hat als einziger in seiner Familie eine Schule besucht. In Kewanja hat er eine kleine Waschanlage aufgemacht, seine Frau verkauft Bananen und Benzin in Plastikflaschen.

In seiner Waschanlage putzt David Moses Arumba aus Kenia auch viele Motorräder der "Intruder", die illegal am Goldreichtum mitverdienen und es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben (Foto: DW/Julia Hahn)
Sein eigener Chef: David kam aus Kenia nach Nord MaraBild: DW/J. Hahn

Mit einem Hochdruckreiniger putzt David die Motorräder der Dorfbewohner. Seine besten Kunden sind die Intruder. Denn viele von ihnen haben es hier zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Auf den Karosserien prangen Fan-Aufkleber des Londoner Fußballclubs FC Chelsea, manche haben sogar kleine Radios und Lautsprecher an ihre Maschinen montiert. "Piki piki" heißen die Motorräder hier – Statussymbole in einer der ärmsten Regionen des Landes.

"Die meisten Intruder werden doch erschossen oder verletzt", sagt David und poliert noch mal gründlich nach. "Ich selbst will aber nicht ständig Angst haben müssen vor der Polizei, deshalb habe ich mir ein kleines Unternehmen aufgebaut. Auf diese Weise kann ich mich frei fühlen". 50.000 Tansanische Schilling verdient David am Tag, das sind umgerechnet 25 Euro. Kein Gold, sagt er, aber ehrliches Geld.