1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die EU muss stärker aktiv werden"

Marco Müller3. Mai 2012

"Qualitätsjournalismus im vergessenen Teil Europas" heißt eine Veranstaltung, die Michael Klehm vom Deutschen Journalisten-Verband organisiert hat. Über Pressefreiheit in Europa sprach er mit der DW.

https://p.dw.com/p/14nsl
Michael Klehm, Deutscher Journalisten-Verband (Foto: privat)
Bild: privat

Deutsche Welle: Herr Klehm, was ist der "vergessene" Teil Europas?

Michael Klehm: Immer wieder ist die Rede vom ungarischen Mediengesetz und der Verschlechterung der Pressefreiheit. Man muss allerdings nur einmal in die umliegenden Länder schauen, beispielsweise in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, nach Rumänien, Bulgarien und, wenn man ein bisschen weiter geht, auch in die Türkei. Da sieht es nicht viel besser aus. Aber vieles, was dort passiert, findet bei uns in den Medien keinen Widerhall.

Wo genau liegen die Probleme?

Zum einen in intransparenten Eigentumsverhältnissen bei den Medien, im politischen Druck auf die Presse und in einer in Teilen nicht ausreichenden Gesetzgebung. Es gibt ein großes Problem mit Beleidigungstatbeständen: Da werden Journalisten oder ganze Medienunternehmen verfolgt, und es kommt bei Beleidigungsverfahren zu Strafzahlungen, die in keinem Verhältnis stehen. Das führt dann sehr schnell zu einer Existenzgefährdung. So etwas wäre beispielsweise in Deutschland unvorstellbar.

Sieht es denn so aus, als würde sich die Lage in den Ländern, die Sie eben aufgezählt haben, in absehbarer Zeit bessern?

Wir haben bei der Veranstaltung in Brüssel klar gesagt, dass die EU in diesem Bereich stärker aktiv werden muss, gerade in den Ländern, die den Beitritt anstreben. Die EU muss bei den Beitrittsverhandlungen ein größeres Gewicht auf die Einhaltung von Presse- und Meinungsfreiheit und auf den Schutz von Journalisten legen. Auch die rechtlichen Rahmenbestimmungen müssen entsprechend geändert werden, so dass sie stärker unserem westlichen Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit entsprechen.

Am 26. Mai findet in Aserbaidschan der Eurovision Song Contest statt. Aserbaidschan steht auf der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen jedes Jahr erstellt, aktuell auf Platz 162 von 179 Ländern. Würden Sie sagen, der Eurovision Song Contest ist eine Chance auf eine freiere Presse?

Eher nicht. Vielleicht werden die Medien kurzzeitig freier berichten können. Wenn der Eurovision Song Contest aber nicht noch einmal nach Aserbaidschan gehen sollte, ist der internationale Presse-Tross bald abgereist - und dann wird man wieder in die alten Mechanismen zurückfallen. Ich glaube nicht an eine nachhaltige Wirkung.

Deutschland steht auf der Rangliste immerhin auf Platz 16. Gibt es hier also keine Probleme?

Grundsätzlich ist Pressefreiheit natürlich auch etwas, das wir hier in Deutschland immer wieder verteidigen müssen. Nehmen Sie etwa die aktuelle Debatte um die Koranverteilung: Hier hat es Drohungen gegen Journalisten gegeben, und das gefährdet die Pressefreiheit. Wenn jemand Journalisten oder ihre Familienangehörigen in ihrer körperlichen Integrität bedroht und anspricht, dass sie im Internet persönliche Daten veröffentlichen, könnte das auch bei uns zu einem Klima der Einschüchterung führen.

Gibt es eine Möglichkeit, die Pressefreiheit in Europa insgesamt zu verbessern?

Ein Allheilmittel gibt es nicht. Ich glaube aber, dass auch in Europa die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden müssen - vor allen Dingen durch die Kommission und das Parlament. Es ist hochinteressant, dass es in den skandinavischen Ländern, die bei den Rankings sehr gut abschneiden, immer eine Form der Presseförderung gibt. Ich glaube zwar nicht, das dieses Modell in ganz Europa tragen würde, aber es ist zumindest ein Modell für Länder mit größeren Schwierigkeiten.

Sie haben die skandinavischen Länder erwähnt. Ganz oben auf der Rangliste  stehen Finnland, Norwegen, Estland, Niederlande, Österreich, Island, Luxemburg und die Schweiz. Im interkontinentalen Vergleich ist Europa also führend - oder? 

In der Tat steht Europa im weltweiten Vergleich sehr gut da, und das ist erfreulich. Ich glaube, dass die Journalisten in den vergangen Jahren daran aktiv mitgearbeitet haben.

Mit Michael Klehm ist beim Deutschen Journalisten-Verband für internationale Beziehungen zuständig.