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Kein Paradies

5. Februar 2012

Deutschland nimmt neben Frankreich die meisten Asylbewerber in der EU auf. Besonders Menschen aus Nahost und Afrika suchen Zuflucht. Doch nicht immer sind sie auch willkommen.

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Asylbewerber im Wartezimmer einer Ausländerbehörde (Foto: dpa)
Asylbewerber im Wartezimmer einer AusländerbehördeBild: picture-alliance/dpa

Der Pfarrer sprach von Verhältnissen wie in Lampedusa. Die Bewohner in seiner Gemeinde Schöllnstein seien überfordert, ähnlich wie die Leute auf der italienischen Mittelmeerinsel, auf der jährlich zehntausende Flüchtlinge stranden. Viele Schöllnsteiner sagten, sie fühlten sich in ihrer Ruhe gestört, weil das Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden nicht stimme. Das war vor einem Jahr. Damals drängten sich Medienvertreter in den Vorgärten der Schöllnsteiner, um den einen oder anderen Dorfbewohner zu einer schlagzeilentauglichen Stellungnahme zu überreden. Das war den Menschen dort ebenso zu viel, wie es die Masse an Asylbewerbern war.

Heute sagt der Pfarrer, er sage nichts mehr gegenüber der Presse. Der Gemeindesprecher gibt sich kurz angebunden: Es gebe keine Probleme mit den Fremden, heißt es lapidar.

Warten auf den deutschen Pass

Doch die Menschen aus den fernen Ländern sind immer noch da. Zwar nicht mehr 90 wie vor Jahresfrist, aber immerhin noch 80. Und damit weiterhin mehr als die 70 Einheimischen in dem kleinen Ort in Niederbayern. Afrasiab Grami war auch schon da, als die Bewohner die Medien mobil machten. Oder war es umgekehrt? 

"Ich hoffe, dass Pass bekommen", sagt Grami mit leiser Stimme, und trotz des Lächelns erscheint sein Blick traurig. Grami ist 30 Jahre alt, kurdischstämmiger Iraner, der in seinem Land als Journalist gearbeitet hat. Als Angehöriger der kurdischen Minderheit und kritischer Zeitgeist bekam er immer wieder Ärger mit dem Regime in Teheran. Er lernt Deutsch, "ein bisschen", fügt er hinzu und hält sein kleines deutsch-persisches Wörterbuch wie einen Schutzschild in der Hand. Asylbewerber müssen nicht zwingend Deutsch lernen. Erst wenn ihr Antrag auf Aufenthaltsrecht in Deutschland positiv beschieden wurde, werden sie vom Staat zur Teilnahme an einem Sprachkurs angewiesen. 

Schild am Büro des Asylbewerberheims Schöllnstein mit dem Hinweis, dass nur Berechtigten Zutritt gewährt wird. (Foto: DW/Karin Jäger)
Bild: DW

Der lange Weg zum Deutschunterricht

Der Deutschkurs erfordert von den Schöllnsteiner Migrationswilligen Disziplin, und den Unterricht erreicht nur, wer einmal pro Woche den Schulbus nimmt, der morgens um 7:45 Richtung Deggendorf fährt. Für zwei Stunden Unterricht. Mehr nicht. "Ein Problem", sagt Grami, "wir haben keinen Kontakt, uns fehlt die Nähe zu anderen Deutschen, um die Sprache auch zu praktizieren."

"Problem". Das ist eines der Wörter, die alle Asylsuchenden verstehen und aussprechen können. Ein anderes ist "Katastrophe". Einige Immigranten bezeichnen ihre Lage als solche. Einen Linienbus gäbe es schon. Doch der Fußweg bis zur nächsten Haltestelle ist 1,5 Kilometer lang. Und eine Fahrt nach Deggendorf und zurück kostet 9,80 Euro. Einmal pro Woche fährt ein Bus die Flüchtlinge kostenlos in die Stadt. Viele von Gramis Mitbewohnern im Heim wünschen sich eine Fahrt an einen anderen Ort - ohne Rückfahrschein. Eine Ortsführung ist schnell erledigt. In Schöllnstein gibt es eine Kirche. Keine Kneipe, kein Geschäft. 

Warten ist wichtiger als die Freundin

Grami ist einer der wenigen, die der Unterkunft etwas Positives abgewinnen können. "Es ist nicht schmutzig im Heim", erzählt er. Gramis Freundin hat in Norwegen Zuflucht gefunden. Sie halten über Internet Kontakt. Sofern das möglich ist. Denn das Signal ist so schwach, dass die Verbindung nur selten zustande kommt. Nach Norwegen will er nicht. "Deutschland is better for me", sagt er im Deutsch-Englisch-Mix.

Afrasiab Grami, Asylbewerber aus dem Iran, untergebracht im niederbayerischen Schöllnstein (Foto: DW/ Karin Jäger)
Afrasiab Grami lernt schon mal Deutsch - freiwilligBild: DW

Das Regime in Teheran unterdrücke die Kurden. Die letzten drei Jahre verbrachte er im Gefängnis, weil er ein kritisches Buch geschrieben hatte. Er habe viel Geld bezahlt, erzählt er, um mit dem LKW in die Türkei zu reisen und sich dann weiter übers Mittelmeer bis nach Deutschland durchzuschlagen. Er sei zuversichtlich, in Deutschland zu bleiben. Zurück in den Iran? Kann er sich nicht vorstellen. Niemals. Er hat schon Freunde in Deutschland, er glaubt, das hilft, um bleiben zu können. 

Unterstützen, betreuen, belehren

40 Euro Taschengeld bekommt Grami pro Monat, und einmal pro Halbjahr werden Gutscheine verteilt für den Kauf von Kleidung und Schuhen. Auch mit Kleiderspenden werden die Asylbewerber versorgt. Ein Babystrampelanzug liegt vor der Tür eines Appartments. Gabi Stark schüttelt über solch verschwenderische Boshaftigkeit den Kopf. "Es gibt genügend Fußmatten, aber wenn manche Leute etwas nicht brauchen, schmeißen sie es lieber weg, als es anderen zu überlassen", beschreibt die langjährige Leiterin von Asylbewerberheimen die Mentalität vieler Immigranten. 

"Wenn manche Leute kochen, ist es normal, dass das Kochgeschirr schmutzig bleibt bis zum nächsten Einsatz. Das geht doch nicht. Das geht doch auf die Heimleitung zurück", beschreibt Gabi Stark ein weiteres Problem. Die Sauberkeit sei auf die kulturellen Unterschiede zurückzuführen. Sie müsse die Asylsuchenden ständig auf Missstände hinweisen. Sonst ließen sie ewig das Licht brennen und die Heizkörper auf Hochtouren laufen. Dazu kämen die mentalen Probleme, mit denen viele Bewerber zu kämpfen hätten. Das Warten auf den Bescheid, der über den Verbleib oder die Rückführung in das Herkunftsland Auskunft gebe, mache mürbe. Denn bis dahin könnten Monate, manchmal Jahre vergehen. 

Die Immigranten könnten einen 1-Euro-Job übernehmen, theoretisch, aber in Schöllnstein gibt es nur wenig Arbeit auf dem Gelände des Asylbewerberheims. So kommt jeder, der sich bewirbt, für einen Monat dran. Dann wird weiter rotiert. Die anderen langweilen sich. 

Zweistöckiges Asylbewerberheim in Schöllnstein (Foto: DW/Karin Jäger)
80 Bewohner leben im Asylbewerberheim SchöllnsteinBild: DW

Die wirklich Verfolgten kommen nicht bis Deutschland 

"Manche wollen gar nichts machen. Sie wollen überhaupt keinen Kontakt", hat Gabi Stark festgestellt. Aber traumatisiert sei keiner der Ankömmlinge, die sie je betreut habe, gewesen. Die meisten kämen ohnehin aus wirtschaftlichen Gründen. Sie hätten keine Arbeit in ihrer Heimat oder wollten ihre Familie unterstützen mit dem in Deutschland verdienten Lohn. "Das geben viele auch unumwunden zu", sagt Gabi Stark und fügt hinzu: "Es sind nur Ausnahmen, die behaupten, in ihrem Land gefoltert worden zu sein. Das ist nicht die Mehrheit." Die meisten haben viel Geld bezahlt für ihre Reise zum avisierten Ziel. Keiner wolle riskieren, wieder abgeschoben zu werden. "Das Problem dabei ist, ehrlich zu sein", erklärt die Heimleiterin. Gäben die Asylbewerber zu, dass sie aus wirtschaftlichen Motiven hier in Deutschland leben wollen, würden sie nicht als Flüchtlinge anerkannt.

"Die Zahl der Bewerber ist stark angestiegen, und alle 15 staatlichen Unterkünfte in dieser Gegend sind belegt", begründet Michael Bragulla die Situation in Schöllnstein, die eine Notlösung sei, so der Sprecher der Regierung Niederbayerns. "Wir waren froh, dass es einen Vermieter gab für so viele Leute. Die Regierung mietet an, was sie kriegt." 2011 stellten 45.741 Menschen in Deutschland einen Antrag auf Asyl, überwiegend aus muslimisch geprägten Ländern wie Afghanistan und dem Iran. Das sind elf Prozent mehr als 2010. Da die Zahl der Flüchlinge weiter steige, würden die Landesbehörden nun auch Landkreise und Kommunen direkt anweisen, geeignete Unterkünfte anzubieten.

Drei Asylbewerber aus Afghanistan sitzen im Asylbewerberheim Schöllnstein auf dem Bett (Foto: DW/ Karin Jäger)
Warten auf den Bescheid: Junge Afghanen in SchöllnsteinBild: DW

Doch was ist geeignet? Im Aslygesetz steht: "Die Verteilung der Asylbewerber soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern." Ein Satz, der reichlich Raum für Spekulationen bietet. Die Schutzsuchenden sollten in keiner Luxusherberge, sondern in einer zweckmäßiger Unterkunft unterkommen, relativiert Michael Bragulla. Ausziehen aus dem Heim darf, wer gesundheitlich angeschlagen ist, das Erstverfahren erfolgreich abgeschlossen hat, außerdem Familien und Alleinerziehende.

In Deutschland ist manches wie in der alten Heimat

Mohammad Ali Hosani, ist ein 23-jähriger Afghane, der mit vier Landsleuten im Schöllnsteiner Heim in einem geräumigen und hellen Zimmer wohnt. Er habe mit seiner Familie sieben Jahre im Iran gelebt, sei dann alleine in einem Lastwagen geflohen über die Türkei, Griechenland, weiter über den Seeweg nach Italien und Frankreich. In Paris habe er in Parks übernachtet, mit dem Ziel, irgendwann in Deutschland anzukommen.

Nun spricht er von vielen Problemen. "Hier gibt es nur Wald, keine Leute. Viele sagen: Hallo und Grüß Gott, aber sonst nix mehr",  bedauert Hosani, dass er keinen Kontakt aufbauen kann. Die anderen jungen Männer sitzen auf ihren Betten. Sie verstehen kein Deutsch. Der Fernseher läuft. Ein arabischer Sender. "Fernsehen ist die einzige Tagesbeschäftigung neben Schlafen und Essen", sagt Hosani.

Mohammad Ali Hosani, Asylbewerber aus Afghanistan trainiert mit einer Langhantel, an deren Ende zwei Bierfässchen befestigt sind (Foto: DW/Karin Jäger)
Mohammad Ali Hosani beim sportlichen ZeitvertreibBild: DW

Kalt sei es hier, beklagt ein Mann, der ohne Strümpfe in Badelatschen und im kurzärmeligen T-Shirt von draußen hereinkommt. Dass es in seiner Heimat Afghanistan mindestens ebenso kalt ist? Das hat er längst vergessen. 

Autorin: Karin Jäger
Redaktion: Thomas Latschan