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Als die Griechen den Deutschen die Schulden erlassen haben

25. September 2011

Die meisten Deutschen lehnen weitere Finanzhilfen für Griechenland ab. Doch viele wissen nicht, dass Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, Griechenland um Hilfe gebeten hat. Welche Lehren kann man heute daraus ziehen?

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dpa (nur s/w - zu dpa-Korr «Als Deutschland entschuldet wurde - Staatengemeinschaft half» am 19.09.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens am 27. Februar 1953Bild: picture-alliance/dpa

London 1953: Deutschland verhandelt mit 22 Staaten. Die deutsche Delegation bittet ihre Partner um einen Schuldenerlass. Zu sehr drücken die hohen Verbindlichkeiten aus dem Marshall-Plan und den Reparationen, die noch für den Ersten Weltkrieg zu bezahlen sind.

Die Bitte der Deutschen wird erhört. Die 22 Staaten, unter ihnen Griechenland, erlassen den Deutschen die Hälfte der Schulden. Der Zweite Weltkrieg war erst wenige Jahre zuvor 1945 zu Ende gegangen und für die junge Bundesrepublik Deutschland war der Schuldenschnitt eine große Hilfe, sagt Jürgen Kaiser, Koordinator der Entschuldungsinitiative 'erlassjahr.de': "Deutschland hatte danach eine Schuldendienstquote, die deutlich unter dem lag, was heute Entwicklungsländer oder auch Griechenland bezahlen müssen."

Die deutsche Wirtschaft jedenfalls legte in den Jahren nach 1953 kräftig zu. Zehn Jahre darauf hatte sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt glatt verdoppelt. Deutschland ist seitdem niemals mehr so stark gewachsen wie in der Dekade nach dem Londoner Schuldenabkommen.

Zwar sei der Schuldenerlass nicht alleine für das Wirtschaftswunder verantwortlich, meint Jürgen Kaiser, aber "ohne Schuldenerlass wäre das Wirtschaftswunder mindestens wesentlich später gekommen."

Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten

Pressefoto
Jürgen Kaiser: Koordinator der Entschuldungs-Kampagne 'erlassjahr.de'Bild: erlassjahr.de/presse

Seit langem setzt sich die Initiative 'erlassjahr.de', eine Koalition aus mehreren christlichen und entwicklungspolitischen Gruppen, für Insolvenzverfahren ein. Das Londoner Abkommen aus dem Jahr 1953 könnte Vorbild sein, wie man mit überschuldeten Staaten umgeht, findet Jürgen Kaiser von 'erlassjahr.de': "Genau wie während der Schuldenkrise der 1980er und 1990er Jahre viele Dritte-Welt-Länder mit einer solchen Regelung besser gefahren wären als mit den sehr langsamen, häufig wirkungslosen Entschuldungsmechanismen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, genauso könnte das Abkommen heute ein Vorbild für die Situation von Griechenland sein."

Der Schuldenstand der griechischen Regierung liegt heute bei etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Zum Vergleich: Vor dem Londoner Schuldenabkommen hatte Deutschland eine Schuldenquote von 21 Prozent, also weniger als ein Siebtel der Schuldenlast Griechenlands heute. Nachdem das Londoner Schuldenabkommen im Jahr 1958 voll umgesetzt war, konnte Deutschland seine Schuldenquote auf nur noch 6 Prozent reduzieren.

Von einer solchen Schuldenlast können Länder wie Griechenland, Portugal oder Irland nur träumen. Auch Deutschland liegt mit heute etwa 80 Prozent weit über den Verhältnissen der 1960er Jahre.

Griechenland entschulden oder zurück zur Drachme?

Hermann Josef Abs
Hermann Josef Abs verhandelte 1953 in London für DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

"Die Krise weiter zu finanzieren macht keinen Sinn", findet Jürgen Kaiser. Um aus der Rezession herauszukommen, hätte Griechenland heute eine Entschuldung dringend nötig.

Die in Deutschland und Europa immer wieder diskutierte Alternative, dass Griechenland einfach den Euroraum verlassen und zu einer eigenen Währung zurückkehren könnte, würde nach Ansicht von 'erlassjahr.de' dagegen das Schuldenproblem nicht lösen. "Das ist juristisch gar nicht möglich und ökonomisch vollkommener Blödsinn", sagt Jürgen Kaiser.

"Ökonomisch würde ein Ausscheiden aus der Eurozone und ein Wiedereinführen der Drachme bedeuten, dass die griechischen Banken auf der Stelle komplett zahlungsunfähig wären", warnt Kaiser. Die Banken würden ihre Euro-Verbindlichkeiten behalten, könnten gleichzeitig aber selbst keine Euro mehr einnehmen, weil in Griechenland dann anstelle des Euro mit einer drastisch abgewerteten Drachme bezahlt würde.

Insolvenzverfahren Teil des Koalitionsvertrags

Für Jürgen Kaiser ist klar: "So wie damals Deutschland müsste Griechenland eine geregelte und geordnete Umschuldung bekommen, also das, was man ein Insolvenzverfahren nennt."

Eine solche Insolvenzordnung für Staaten ist im Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Bundesregierung als politisches Ziel bereits vorgesehen. Allerdings, beklagt Jürgen Kaiser, wird diese Option derzeit von der Bundesregierung nicht offen diskutiert.

Der Appell der Entschuldungsinitiative 'erlassjahr.de' ist klar: Deutschland sollte sich an die Lehren aus dem Londoner Schuldenabkommen aus dem Jahr 1953 erinnern.

Damals haben die Griechen den Deutschen die Schulden weitgehend erlassen und trugen so ihren Teil zum deutschen Wirtschaftswunder bei.

Heute ist Griechenland überschuldet und könnte mit einem Schuldenerlass Deutschlands und anderer Gläubigerstaaten frische Luft bekommen, um wieder zu wachsen.

Autor: Johannes Beck
Redaktion: Lina Hoffmann/tko