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Zypern-Frage wird Beitrittsgespräche mit der Türkei belasten

22. September 2005

Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU werden sich schwierig genug gestalten, aber ohne eine Lösung der Zypern-Frage sind Verhandlungskrisen geradezu vorprogrammiert. Bernd Riegert kommentiert.

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Zypern hat lange gepokert, um eine möglichst scharfe Erklärung durchzusetzen, in der die Weigerung der Türkei kritisiert wird, das EU-Land völkerrechtlich anzuerkennen. Wochenlang wurde um den Text gerungen. Fünf Tage lang führte der EU-Botschafter Zyperns in Brüssel ein nervenaufreibendes Bäumchen-wechsel-dich-Spiel aus Bedenken, Zustimmung, Widerspruch und schließlich wieder Zustimmung auf. Dass die Regierung in Nikosia nun doch noch einen gemeinsamen EU-Text gebilligt hat, der die Türkei zur Anerkennung während der mindestens zehnjährigen Verhandlungen über einen Beitritt auffordert, heißt noch lange nicht, dass von nun an alles reibungslos geht.

Einstimmigkeit bei jedem Verhandlungsschritt

Jeder Verhandlungsschritt mit der Türkei muss von den Mitgliedsstaaten einstimmig gebilligt werden. Da über 35 Politik- und Rechtsfelder verhandelt werden wird, haben Zypern und andere Regierungen 35 Mal die Chance, die Gespräche auf unbestimmte Zeit anzuhalten. Außerdem muss die Türkei bis zum Frühjahr die Zollunion mit Zypern konkret umsetzen, das heißt zyprische Schiffe und Flugzeuge in türkischen Häfen und Flughäfen akzeptieren. Diese Kröte zu schlucken dürfte bei Ankara besonders großen Widerwillen hervorrufen. Der Außenminister der Türkei, Abdullah Gül, hat sich ja bereits beschwert, die EU müsse mehr Rücksicht auf türkische Empfindlichkeiten nehmen.

Mit Zypern und der Türkei werden zwei Verhandlungspartner am Tisch sitzen, die den EU-Diplomaten noch viele graue Haare bescheren werden. Natürlich wäre es für die geteilte Insel, deren Norden von türkischen Truppen besetzt wird, besser gewesen, vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und noch vor der Aufnahme Zyperns in die Union eine tragfähige Lösung zu finden. Doch diese Chance wurde 2004 verpasst, als die griechischen Zyprer den Wiedervereinigungsplan der Vereinten Nationen ablehnten.

EU-Initiative gefordert

Jetzt muss die Europäische Union selbst die Initiative ergreifen und zusammen mit den Vereinten Nationen einen neuen Anlauf wagen, um die Zypernfrage zu regeln. Diese Möglichkeit hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan am Rande des UN-Gipfels vergangene Woche angedeutet. Beide Regierungen, sowohl die türkische als auch die zyprische, müssen über ihren Schatten springen und eine Lösung finden, denn sonst drohen die Beitrittsverhandlungen zum jahrelangen Nervenkrieg zu werden.

Eigentlich hatte die EU schon nach den Erfahrungen im Nordirland-Konflikt zwischen Alt-Mitglied Großbritannien und Bewerber Irland seinerzeit beschlossen, dass territoriale und ethnisch-religiöse Konflikte vor dem Beitritt angepackt werden müssen, doch diese Lehre wurde im Falle Zyperns sträflich missachtet. Sie muss jetzt zumindest in der Zukunft beachtet werden, wenn die Länder des westlichen Balkans in die EU drängen.

Sträfliches Versäumnis

Kritisch muss man fragen, ob die Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen und zwischen den Staaten wirklich so weit fortgeschritten ist, dass sich die Union nicht neuen politischen Sprengstoff unter das eigene Dach holen würde. Die Aussicht auf Mitgliedschaft muss als Hebel genutzt werden, diese Konflikte zu regeln. Künftig muss das einleuchtende Prinzip gelten, dass Bewerber alle Mitglieder des Klubs anerkennen müssen, in den sie eintreten wollen. Das wurde leider im Falle der Türkei sträflich außer Acht gelassen.

Über das Verhandlungsziel, nämlich Vollmitgliedschaft, besteht inzwischen Einvernehmen. Österreich hat mit Grummeln im Bauch seinen Vorstoß, alternativ eine privilegierte Partnerschaft anzubieten, aufgegeben. War das voreilig? Denn sollte der Verhandlungsprozess nach zehn Jahren wirklich scheitern, wäre die EU vielleicht ganz froh, wenn sie eine Alternative anzubieten hätte. Jetzt heißt es schlicht: Alles oder nichts. Und das ist ein Risiko.

Bernd Riegert, Brüssel
DW-RADIO, 21.9.2005, Fokus Ost-Südost